KUNSTWISSENSCHAFT UND VÖLKERPSYCHOLOGIE. 307
material ist allerdings zu einem großen Teil zusammengebracht, dank
dem Fleiße der Kunsthistoriker. Allein Kenntnisse sind doch nur
Mittel zur Erkenntnis, im anderen Falle dienen die Berge von Wissen,
die man anhäuft, nur dazu, den Geistern Licht und Luft zu ver-
sperren.
Das ist auch meine Überzeugung von jeher gewesen, und wenn
er später abermals betont: »Die Kunstgeschichte hält sich in ihrem
Stoffreichtum gar häufig für die einzig mögliche und nötige —, ja
für die einzig zulässige und legitime Kunstwissenschaft; dieser satten
Selbstzufriedenheit aber kann man es nicht oft und laut genug zu-
rufen, daß das Ziel der Wissenschaft nicht die Kenntnis, sondern die
Erkenntnis der Dinge ist, und daß die erste nur den Wert hat, den
ihr die zweite gibt«, — so brauche ich das nicht mehr zu unter-
schreiben; denn ich habe seit Anbeginn meiner Lehrtätigkeit jenem
kurzsichtigen Dünkel entgegengearbeitet und habe mir darob den
Widerwillen mancher Zunftgenossen zugezogen, die nur mit Tatsachen
zu kramen und weiter nichts zu schätzen wissen.
Die Erkenntnis der Gesetze, welche das Leben und die Entwicke-
lung der Kunst beherrschen, wäre nach Grosse das Ziel, dem unsere
Wissenschaft zustreben muß. Vermag sie als menschliche Bestrebung
das Ideal nicht ganz zu erfüllen, so darf sie sich damit begnügen,
die Gesetzmäßigkeit der Erscheinungen in ihren allgemeinen Zügen
nachzuweisen.
Daraus ergeben sich seine weiteren Forderungen: die Kunstwissen-
schaft soll ihre Forschungen über alle Völker ausdehnen. An sich
haben alle Formen der Kunst den gleichen Anspruch auf ihr Interesse;
indessen unter den gegebenen Bedingungen versprechen nicht alle
Formen dem Studium den gleichen Erfolg. Niemand fordert von ihr,
daß sie auf die höchsten und reichsten Entwicklungsformen der Kunst
verzichte. Im Gegenteil; aber beim Steigen muß man von Unten an-
fangen. Niemand, dürfen wir hinzusetzen, kann von ihr verlangen,
daß sie die Beschäftigung mit der heimatlichen Kunst aufgebe; bei der
Orientierung im eigenen Hause muß sie überall einsetzen, und die
vaterländischen Denkmäler bleiben uns einerseits, die der letzten Jahr-
hunderte, der modernen Zeit anderseits immer die nächsten. Ihre Wür-
digung wird uns jedoch erst recht aufgehen, wenn wir unseren Blick
ausweiten an dem Kunstleben anderer Nationen, der Gegenwart wie
der Vergangenheit. Wenn wir aber jemals ein wissenschaftliches Ver-
ständnis der Kunst der Kulturvölker erreichen sollen, »so müssen wir
zuvor in das Wesen und die Bedingungen der Kunst der Naturvölker
eingedrungen sein«. Vor allem muß die Kunstwissenschaft sich jener
Gruppe zuwenden, die sie bisher am meisten vernachlässigt hat.
material ist allerdings zu einem großen Teil zusammengebracht, dank
dem Fleiße der Kunsthistoriker. Allein Kenntnisse sind doch nur
Mittel zur Erkenntnis, im anderen Falle dienen die Berge von Wissen,
die man anhäuft, nur dazu, den Geistern Licht und Luft zu ver-
sperren.
Das ist auch meine Überzeugung von jeher gewesen, und wenn
er später abermals betont: »Die Kunstgeschichte hält sich in ihrem
Stoffreichtum gar häufig für die einzig mögliche und nötige —, ja
für die einzig zulässige und legitime Kunstwissenschaft; dieser satten
Selbstzufriedenheit aber kann man es nicht oft und laut genug zu-
rufen, daß das Ziel der Wissenschaft nicht die Kenntnis, sondern die
Erkenntnis der Dinge ist, und daß die erste nur den Wert hat, den
ihr die zweite gibt«, — so brauche ich das nicht mehr zu unter-
schreiben; denn ich habe seit Anbeginn meiner Lehrtätigkeit jenem
kurzsichtigen Dünkel entgegengearbeitet und habe mir darob den
Widerwillen mancher Zunftgenossen zugezogen, die nur mit Tatsachen
zu kramen und weiter nichts zu schätzen wissen.
Die Erkenntnis der Gesetze, welche das Leben und die Entwicke-
lung der Kunst beherrschen, wäre nach Grosse das Ziel, dem unsere
Wissenschaft zustreben muß. Vermag sie als menschliche Bestrebung
das Ideal nicht ganz zu erfüllen, so darf sie sich damit begnügen,
die Gesetzmäßigkeit der Erscheinungen in ihren allgemeinen Zügen
nachzuweisen.
Daraus ergeben sich seine weiteren Forderungen: die Kunstwissen-
schaft soll ihre Forschungen über alle Völker ausdehnen. An sich
haben alle Formen der Kunst den gleichen Anspruch auf ihr Interesse;
indessen unter den gegebenen Bedingungen versprechen nicht alle
Formen dem Studium den gleichen Erfolg. Niemand fordert von ihr,
daß sie auf die höchsten und reichsten Entwicklungsformen der Kunst
verzichte. Im Gegenteil; aber beim Steigen muß man von Unten an-
fangen. Niemand, dürfen wir hinzusetzen, kann von ihr verlangen,
daß sie die Beschäftigung mit der heimatlichen Kunst aufgebe; bei der
Orientierung im eigenen Hause muß sie überall einsetzen, und die
vaterländischen Denkmäler bleiben uns einerseits, die der letzten Jahr-
hunderte, der modernen Zeit anderseits immer die nächsten. Ihre Wür-
digung wird uns jedoch erst recht aufgehen, wenn wir unseren Blick
ausweiten an dem Kunstleben anderer Nationen, der Gegenwart wie
der Vergangenheit. Wenn wir aber jemals ein wissenschaftliches Ver-
ständnis der Kunst der Kulturvölker erreichen sollen, »so müssen wir
zuvor in das Wesen und die Bedingungen der Kunst der Naturvölker
eingedrungen sein«. Vor allem muß die Kunstwissenschaft sich jener
Gruppe zuwenden, die sie bisher am meisten vernachlässigt hat.