Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 2.1907

DOI Artikel:
Besprechungen
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.3530#0421
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
BESPRECHUNGEN. 4 ] 7

tätig. Lust und Unlust sind nur Färbungen des Tätigkeitsgefühls. — Es scheint
mir, daß Lipps hier in dem Bestreben, Lust und Unlust möglichst weit von den
passiv »erlebten« Verstandesakten abzurücken, sie nun anderseits zu nahe mit dem
Streben zusammengebracht hat. Man mag ja immerhin auch im sinnlichen Lust-
oder Unlustgefühl etwas von Tätigkeit finden, aber das ist doch für unser Bewußt-
sein unwesentlich. Die starke Betonung derselben ist auch insofern bedenklich, als
daraus für die Abgrenzung der Einfühlung gegen die sinnlichen Gefühle eine
Schwierigkeit erwächst. Handelt es sich z. B. bei der sinnlichen Lust im Grunde
ebenso um Tätigkeit wie bei der »allgemeinen apperzeptiven Einfühlung« (nach der
Darstellung Lipps' S. 16/17 muß man das annehmen), so ist nicht einzusehen, warum
dort die Lust bloß auf den Gegenstand bezogen, Lust am Gegenstande bleiben,
hier aber an die (eingefühlte) Tätigkeit gebunden werden soll. In beiden Fällen
dringt doch die Art der Auffassungstätigkeit vom Gegenstande in uns ein und
ist die Apperzeption zunächst auf ihn gerichtet. Es müßte also von unserer Willkür
abhängen, ob wir das Gefühl auf den Gegenstand oder auf die in uns hervor-
gerufene aber in ihn verlegte Tätigkeit beziehen. Das ist jedoch nicht der Fall. Bei
sinnlichen Gefühlen tritt eine Einfühlung nur dann, und zwar unwillkürlich, auf,
wenn wir außerdem eine innere Veränderung, eine Art passiver Tätigkeit erleben,
wie sie z. B. durch das Anschwellen und Nachlassen der Empfindung hervorgerufen
wird. Gleichmäßiger Zahnschmerz beispielsweise ist einfach da an oder neben der
verursachenden Empfindung; wenn die letztere aber anfängt zu- und abzunehmen,
entsteht unwillkürlich der Eindruck des feindlichen Angreifens und des Zurück-
weichens von Seiten des schmerzenden Zahns als einer von ihm ausgehenden Tätig-
keit. Das Moment der Tätigkeit muß also im Gefühl als solchem eine ganz unter-
geordnete Bedeutung haben, da es nicht zur Einfühlung führt.

Lipps bestimmt dann von neuem die Stellung der Einfühlung zur Assoziation.
Die Beziehung zwischen den sinnlichen und den nichtsinnlichen Faktoren des ästhe-
tischen Gegenstandes ist eine symbolische Relation. »Mag beim Zustandekommen
derselben die Erfahrung noch so sehr beteiligt sein, so ist dieselbe doch nicht ein-
fach gleichbedeutend mit erfahrungsgemäßer Verknüpfung« (S. 31). Als Beweis
dafür, daß Assoziationen mit dem ästhetischen Verhalten nichts zu tun haben, wird
S. 30 angeführt, daß die Vorstellung des Fallens eines ohne Unterstützung in der
Luft schwebenden Körpers ästhetisch gar nicht in Frage zu kommen brauche. Das
schränkt Lipps aber S. 403 f. wieder ein, indem er ausführt, daß in solchem Falle
in uns eine Tendenz zur Vollziehung der Vorstellung des Fallens besteht, die in
den Gegenstand eingefühlt wird, und daß, wenn dieser als schwebend aufgefaßt
werden soll, die in ihm liegende Tendenz durch eine (auch eingefühlte) Gegenten-
denz aufgehoben werden muß. Nun ist hier zwar nicht eine bloße Assoziation
wirksam, sondern auf derselben hat sich die »Einfühlungsrelation« aufgebaut, aber
es ist doch zu viel gesagt oder doch mißverständlich, »daß die Erfahrungsassoziationen
rein als solche ästhetisch überhaupt nichts zur Sache tun«. Tatsächlich
wird ja das Schweben durch die Überwindung der Tendenz zu fallen ästhetisch
eindrucksvoller.

Von der Einfühlung im allgemeinen geht Verfasser zur ästhetischen Einfühlung
im besonderen über. Sie tritt nur dann ein, wenn erstens der einzufühlende Inhalt
nicht durch Gegenvorstellungen bestritten wird und wir uns zweitens diesem Inhalt
in der Betrachtung voll hingeben. Sie unterscheidet sich von der praktischen Ein-
fühlung dadurch, daß sie gegen die Existenz des Eingefühlten gleichgültig ist.
Treffender als bei Kant und Vischer wird der Gedanke dahin formuliert: »Praktisch
ist die Einfühlung, die nach der Wirklichkeit des Eingefühlten fragt, ästhetisch da-
Zeitschr. f. Ästhetik u. allg. Kunstwissenschaft. II. 27
 
Annotationen