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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 2.1907

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Dessoir, Max: Skeptizismus in der Ästhetik
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https://doi.org/10.11588/diglit.3530#0455
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SKEPTIZISMUS IN DER ÄSTHETIK. 451

Verallgemeinerungen bedeutet und den Leser zum Ephektiker machen
kann. Die Hauptsache bleibt, daß — abgesehen von dem allgemeinen
Rhythmus des uns umfließenden geistigen Lebens — im Wesen der
Ästhetik oder mindestens in ihrer gegenwärtigen Situation sachliche
Gründe zur skeptischen Haltung vorhanden sind.

Liegt es nun so, dann wird man diejenigen, die zu dieser Richtung
mehr oder weniger entschieden sich bekennen, nicht mit Skeptikern
anderer Art verwechseln dürfen. Aus einem, der geschilderten Denk-
weise gerade entgegengesetzten, Hochmut entspringt der grundsätz-
liche Zweifel am Neuen. Wer hat sie nicht kennen gelernt, diese aus
Unwissenheit und Überhebung stammende Skepsis? Ich persönlich
bin ihr damals begegnet, als über die Tatsächlichkeit der hypnotischen
Erscheinungen gestritten wurde. Ihr tritt zur Seite der verstandes-
mäßige Ausdruck wissenschaftlicher Müdigkeit und Übersättigung.
Indem auf objektive Begründung verzichtet und die Erfolglosigkeit
subjektiver Bemühungen der Unerreichbarkeit des Erkenntnisideals zu-
geschrieben wird, bildet sich eine stumpfe Oleichgültigkeit, die jede
Arbeit für unnütz erklärt. Aber der hier gemeinte Skeptizismus mahnt
vielmehr am lautesten zu eifriger Einzeluntersuchung. Auch darin be-
kundet sich sein Wert. Die mit dem Namen des Arkesilaos bezeichnete
Lehre verdankte ihre große Wirksamkeit nicht nur der Widerlegung
der metaphysischen Schulen, sondern auch dem Umstand, daß durch
den Wahrscheinlichkeitsbegriff positive Forschung möglich und ge-
rechtfertigt blieb.

Die Dogmatiker verwischen alle solche Unterschiede und erklären
rundweg jeden, der Ittoxt] übt, für einen Schwachkopf oder Schädling,
ja sie verwechseln nicht selten den praktischen Wert der Entschieden-
heit mit dem geringeren Wert, den die nämliche Eigenschaft für die
Feststellung wissenschaftlicher Wahrheit besitzt. Im Leben ist ent-
schlossener Mut eine der schätzbarsten Fähigkeiten, weil hier Wille
gegen Willen steht und Handeln — selbst objektiv falsch begründetes
und gerichtetes Handeln — immer noch vorteilhafter bleibt als wieder-
holtes Zögern. Die Wissenschaft dagegen darf nicht einen gordischen
Knoten durch Schwertstreich »lösen«, nicht ein Ei mit Gewalt zum
Stehen bringen; also nötigt sie weit öfter zum Verzicht. Ihrem Fort-
schritt dient auch der dem Leben nicht gewachsene geistige Typus,
dessen Kennzeichen sind: vielseitige Empfänglichkeit, feines Gehör und
die schöne Scheu vor letzten Worten. Die Wahrheit zu sagen, ist
sogar die Verzweiflung, die überall nur Fetzen um sich sieht, manches
Mal wohltuender als die Unbekümmertheit der Spezialisten. So ist
wenigstens mir der Sachverhalt bei hochkomplizierten Gegenständen
stets erschienen. Als ich vor beinahe zwanzig Jahren in meinem
 
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