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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 28.1934

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Kainz, Friedrich: Höhere Wirkungsgestalten des sprachlichen Ausdrucks im Deutschen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14173#0357
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WIRKUNGSGESTALTEN DES SPRACHL. AUSDRUCKS 343

Als Beispiel für heiter unbefangenes, selbstzweckhaftes Scherz- und
Launenspiel sei Kortums „Jobsiade" genannt, eine Dichtung, die zur
Gänze auf drastische und groteske Derbkomik gestellt ist, gleich weit
entfernt von witzigen Angriffen auf bestimmte Personen wie von der
betrachtsamen Tiefe des Humors. Die komischen Erträge dieses Epos
sind meist als harmlos widersinnige Verletzungen geltender Sprach-
und Versnormen zu bestimmen. Auf die unmöglichste und daher lächer-
lichste Art werden die Kunstmittel der herkömmlichen Dichtersprache
zerstört. Komische Archaismen spielen die Hauptrolle, d. h. es werden
gewisse Wirkungsmittel, die zweihundert Jahre früher in allgemeiner
Geltung waren, geflissentlich aufgesucht, gewaltsam übertrieben und so
zu Ansatzpunkten komischer Wirkung gemacht. Komisch wirkt hier
nicht nur die Übertreibung, sondern vor allem der Umstand, daß die
naiven Unbehilflichkeiten einer primitiveren Zeit absichtlich in eine lite-
rarisch fortgeschrittenere Epoche hinübergezogen werden, mit deren
höherer dichterischer Kultur sie in komischem Gegensatz stehen, wie es
ja immer komische Erträge zeitigt, wenn gewisse Verstöße gegen die
hochsprachliche Norm (das Radebrechen der betreffenden Sprache durch
Fremde, die „Solözismen" nachlässiger Verkehrssprache usw.) litera-
risch festgehalten werden. Ein Beispiel für archaistische Reimkomik:
„Alles, was du vormals mir geschrieben, / Als hättest du die Studia
getrieben / Und wärest von allen der fleißigste, / Sind lauter Lügen,
wie ich nun seh." Dieser Reim „fleißigste — seh" ist bei Hans Sachs
nicht komisch, sondern normal, er widerspricht nicht der geltenden
Regel und dem allgemein geübten Brauch; im 18. Jahrhundert dagegen
liegt in dieser nunmehr auffallenden Holprigkeit komische Absicht.
Ergötzlichste Übertreibungen solch naiver Unvollkommenheiten finden
sich häufig, besonders hübsch in der folgenden Strophe: „Sie hielte
nichts von fremden Säugammen / Wie sonst üblich ist bei vornehmen
Madammen, / Sondern glaubte, ihn von eigner Milch / Zu ernähren sei
menschlich und bill'g" Was läßt sich hier außer der durchgehenden
parodistischen Knittelvershaftigkeit an komischen Wirkungsmitteln im
einzelnen nennen? Zunächst einmal das paragogische -e im starken
Präteritum, das sich zwar in feierlicher Dichtung bei Klopstock und
Schiller als pathetisch-bibeldeutscher Archaismus noch viel später findet,
hier aber doch wohl als Verspottung grammatisch-metrischer Gewohn-
heiten einer veralteten Kunstübung gemeint ist und so als kennzeich-
nendes Mittel eines Stils erscheint, der durch betont altfränkisches
Wesen komische Erträge hervorrufen will. Sehr komisch ist dann auch
die fast macaronisch-gewaltsame Pluralform „Madammen" und vor allem
die reimerzwingende Form „bill'g"; mit dieser unmöglichen Synkope
sollte vielleicht eine Verspottung des meistersingerlichen „Lasters" der
 
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