Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 29.1935

DOI Artikel:
Besprechungen
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14176#0099
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
BESPRECHUNGEN

85

Ist Psychoanalyse eine Weltanschauung mit ganz bestimmten Inhalten und
Dogmen? Diese Frage wurde von Freud selbst entschieden verneint, nachdem über-
eifrige Schüler in der ganzen Welt das Gegenteil zu beweisen versucht hatten. Die
Psychoanalyse will ihrem Wesen nach eine „Methode" sein. Wenn wir nun über
James Joyce (S. 140) lesen, daß er „von der P.A. nur seine Arbeitsmethode über-
nommen" habe, so müssen wir darauf hinweisen, daß ein Finden von entsprechen-
den „Inhalten" nicht allein „wesentlichen direkten Einfluß" nachweist, und daß auch
persönliches Zeugnis des Dichters nicht genügt, jede Möglichkeit eines Einflusses
auszuschließen. Die Frage nach dem „direkten Einfluß" einer solchen Seelenlehre
läßt sich gerade beim Dichter deshalb nie eindeutig entscheiden, weil eben die mensch-
liche Seele für ihn weithin bestimmendes Problem geworden ist und sich also seine
Neigung immer irgendwie mit der des Seelenarztes decken wird. Wir müssen dem
Verfasser widersprechen, daß der Roman nur die Aufgabe habe, uns „Menschen
und ihr Handeln lebenswahr vor Augen zu führen" und daß D. H. Lawrences
„schlechte Proportion" sich darin zeige, wie er „diese unbewußten, kaum gefühlten,
und meist verdrängten Gefühle als tatsächlich und gleichwertig neben die bewußten
Gedanken und Gefühle" stelle. Wir sehen den Hauptgrund dieser Verkennung darin,
daß die behandelten Autoren zu selbstverständlich einem Menschentypus zugehö-
rig erscheinen, trotz der Teilung in 4 Sachgruppen. Es gibt neben den „Naturalisten"
Dichter — D. H. Lawrence gehört dazu —, denen tatsächlich die unbewußten
Gefühle in ihren Auswirkungen wirklicher und lebendiger vorschweben als die all-
gemein sichtbaren. Sie sind auch diejenigen, denen „der Mensch an sich, seine Seele,
seine Individualität" nicht „Nebensache geworden" ist, die nicht eine im Grund
naturalistische Seelenzergliederung auf die Spitze treiben, und die, aus einem inneren
Verwandtschaftsgefühl mit Einzelgängern und Anormalen heraus, nicht eine „wis-
senschaftliche Theorie" auf ihre Richtigkeit hin untersuchen, sondern um ihren eige-
nen „Fall" ringen, den schwierigsten, den sie kennen; der aber, aus allgemeiner
Kulturlage von heute heraus, weite Bedeutung erlangen kann. Es liegt nicht im
Wesen des Dichters, eine wissenschaftliche Theorie direkt zu übernehmen — das, was
in der „Zeit psychoanalytischer Hochflut" Mode und aufdringliche Diskussionswut
ist, hat der Verfasser ganz richtig beurteilt —, es liegt aber mit im Wesen der
jüngeren englischen Romandichtung, sich mit einer ganz bestimmten Theorie der
Erfassung seelischer Elemente auseinanderzusetzen. Seit der Jahrhundertwende hat
unsere wirtschaftlich betonte Kultur den Künstler immer mehr in die Außenseite des
Lebens abgedrängt. Seine innere Haltung wird so, in vielen Fällen, nicht Zeichen
eines fortgeführten Naturalismus, sondern Ausdruck eines Zeitalters, das sich den
Luxus des Künstlertums kaum leisten kann, das den Künstler selbst zwingt, sich als
abnormen Einzelfall zu fühlen. Dies führt notwendig zu einer Betonung des Typus
Künstler, der mit der Welt und sich selbst zerfallen, die pathologische Seite des Le-
bens überscharf sieht. Mit Recht fordert der Verfasser, daß große Dichtung zeitlos,
allgemein bedeutungsvoll sein müsse. Wir werden auch seine Urteile über die ein-
zelnen Werke in dieser Hinsicht meist bestätigen, aber noch hinzufügen, daß zu
diesem Ziel auch eine Ebene leiten kann, die in ihrer Beziehung zum „Leben" nicht
ohne weiteres sichtbar wird, eine Ebene kunstgeschaffener Wirklichkeit, in der han-
delnde Person nur die einmalige und doch vielfältige Seele des Dichters ist. Zum
Darstellungsmittel hiefür mag manchmal auch eine Methode dienen, die nicht ur-
sprünglich als Ausdruck expressionistischer Haltung aufgefaßt werden kann.

Weil wir annehmen müssen, daß die Frage nach dem Einfluß einer geistigen
Macht erst dann zu lösen sein wird, wenn wir die Grenzen des Wesens sowohl des
Beeinflussenden wie des Beeinflußten definitiv festlegen können, so hat der Verfasser
 
Annotationen