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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 29.1935

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https://doi.org/10.11588/diglit.14176#0102
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88

BESPRECHUNGEN

In der Darstellung- Gillys werden die Formulierungen Giedions zu Recht heran-
gezogen. Doch erschöpft der Ausdruck „der schlichte Stil der neuen Gesinnung" nicht
den hochpathetischen Zug dieser Generation. Sein Friedrichs-Denkmal kann nur im
Zusammenhang mit der Pariser Architektur der achtziger Jahre (Peyre, Fontaine)
verstanden werden, was hier nicht berücksichtigt erscheint. — Bei Schinkel sei ergän-
zend bemerkt, daß Textteile zu dem geplanten Lehrbuch der Architektur entgegen der
Ansicht des Verfassers doch noch vorhanden sind (Schinkel-Museum). Anschließend
an Schinkel wird neu in die deutsche Architekturgeschichte Karl Ludwig Engel, der
deutsche Erbauer des klassizistischen Helsingfors, eingeführt.

So erschöpfend der biographische Teil in dem Romantik-Kapitel behandelt ist,
eines vermißt man: eine Würdigung der Zeichenkunst jener Epoche. Gerade in der
Umrißzeichnung hat das deutsche Ausdrucksbedürfnis seine glücklichste Erfüllung
gefunden.

Ausgezeichnet ist das Kapitel über „Naturalismus in der ersten Jahrhundert-
hälfte", dessen Kennzeichen seine „radikale Voraussetzungslosigkeit" ist. Gerade hier
wäre eine Verknüpfung mit der neuen nachbarocken Architektur denkbar gewesen,
aber eben die Architektur erscheint in Paulis Buch nicht unter stilgeschichtlichen
Gesichtspunkten betrachtet. Dafür werden wir mit einer Fülle feingeschliffener und
komprimierter Biographien beschenkt, deren richtiger Nachzeichnung wir unbedingt
vertrauen dürfen.

In dem Kapitel „Bürgerliche Kunst der Jahrhundertmitte" wird „der Standpunkt
einer formalen Betrachtung mit dem einer sozialpolitischen vertauscht". Aber das
angekündigte Programm wird nicht zur Ausführung gebracht. Die Verknüpfung der
Historienmalerei mit der „Poesie der Tat" und der Genremalerei mit dem „Ruf nach
Poesie", wie wir sie in den Schriften der „Jungen Deutschlandbewegung" bei Friedrich
Theodor Vischer, Wienbarg und Lommatsch finden, gehört zu den interessantesten,
sozialpolitischen Bindungen der deutschen Kunstgeschichte. Die „protestantische
Epoche" der bildenden Kunst ist nach Vischers Worten angebrochen, „in der Gott
die Welt aus sich selbst zur völligen Selbständigkeit entlassen hat". Davon ist bei
Pauli ebenso wie in den älteren Darstellungen nichts erwähnt.

In dem Kapitel „Klassizismus und Romantik in der zweiten Jahrhunderthälfte"
findet das erste Mal in einer deutschen Kunstgeschichte Hans von Marees die Würdi-
gung, die ihm zukommt. Freilich, wie wenig will gerade hier die Kapitelüberschrift
zu demjenigen passen, womit Marees uns beschenkte. Erst aus einer (bei Pauli feh-
lenden) Verknüpfung mit den antinaturalistischen Strömungen in der gesamteuro-
päischen Kunst des 19. Jahrhunderts wird seine kunstgeschichtliche Funktion ganz
einleuchten. Doch ist die Charakterisierung Paulis an und für sich vortrefflich. Wie-
derum aber wird auch Böcklin zum „zentralen Meister der deutschen Romantik seines
Jahrhunderts" eingesetzt. Es hat etwas beängstigendes, neben Marees gleichzeitig
Böcklin zu solchem Rang erhoben zu sehen. Uns Jüngeren, die wir nicht mit Böcklin
aufgewachsen sind, scheint hier eine strengere Stufenfolge der Wertsetzung vonnöten.
Meier-Gräfes „Fall Böcklin" ist doch nicht umsonst geschrieben. Vor allem glauben
wir nicht, daß Böcklin nur den „Germanen" zugänglich sei, denn er scheint in man-
chem dem Zeitgenossen Gustav Dore verwandter als dem Artgenossen Leibi. In der
Fülle seines Menschentums hat gerade das Zeitgenössische, die gründerzeitliche, bour-
geoise Neuromantik ihr nachgiebigstes Material gefunden. Böcklin und Wagner —
man wird sie immer zusammen nennen können.

Umso einverstandener kann man sich mit der ausgezeichneten Charakterisierung
Hans Thomas erklären. Mit Recht wird der Nachdruck nicht auf die bewußt roman-
tische Seite gelegt, denn viel edler und inniger bezeugt sich ja jene heimliche Roman-
 
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