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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 29.1935

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Eibl, Hans: Religion, Weltanschauung, Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.14176#0127
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RELIGION, WELTANSCHAUUNG, KUNST

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Derartige Gedankengänge können eine Religion nicht hervorbringen,
das ist klar, aber sie sind geeignet, das Verständnis für das Religiöse zu
erwecken, daher eine pietätvolle Würdigung des Christentums zu be-
günstigen. Dabei wird sich zwar nicht in der Metaphysik, wohl aber
im Geschichtsbild des Christentums eine Verwandlung fortsetzen, die
seit der Renaissance begonnen hat. Das Mittelalter verband das zeitlich
begrenzte Geschichtsbild der Bibel mit dem räumlich begrenzten Welt-
bild der antiken Philosophie und schuf sich so ein abgekürztes, symme-
trisches und übersichtliches Sinnbild der Welt, das wegen seiner in allen
Teilen durchschaubaren Ordnung, wegen des strengen architektonischen
Aufbaues sowohl in Hinsicht auf die räumliche wie auf die geschichtliche
Gliederung zum architektonischen Aufbau der Metaphysik und der Ge-
sellschaft paßte. Die Physik der Renaissance und des Barockzeitalters
ersetzte den wohlgegliederten und begrenzten Kosmos der Antike und
des Mittelalters durch den zunächst beklemmenden, dann aber hinreißen-
den Anblick eines grenzenlosen Weltalls. Daß bei dieser Erschütterung
das christliche Weltbild nicht zerfiel, ist drei Überzeugungen zu ver-
danken: 1. dem festgehaltenen Glauben, daß nach wie vor der göttliche
Heiland in der Mitte der Geschichte stehe, wodurch sich das christliche
Geschichtsbild erhielt; 2. der Erkenntnis, daß dem unendlichen Schöpfer-
gott ein grenzenloses Weltall phantasiemäßig mehr entspreche als ein
begrenztes, daß aber im letzten Grund auch eine unbegrenzte Schöpfung
angesichts der Herrlichkeit Gottes nur ein Tropfen am Eimer sei; 3. der
Gewißheit, daß nach wie vor das Einzige, worauf es ankomme, das Heil
der Seele, ihre Rückkehr zum begnadenden Gotte sei. — Im Laufe des
19. und 20. Jahrhunderts aber ist durch die Einblicke in die Entwick-
lung des Kosmos, der Erde, des Lebens auf Erden, des Menschen-
geschlechtes auch das geschichtliche Bild des Christentums erschüttert
worden. Unter dem Einfluß der naturalistischen Entwicklungslehre schien
der Geltungsanspruch des Christentums abgetan, es sah so aus, als sei
ein Durchbruch aus dem Metaphysischen mit der Naturwissenschaft un-
vereinbar, als sei alles den Gesetzen der Natur und der Entwicklung
unterworfen, als unterliege alles dem Wandel der Zeit, als gebe es nichts
Endgültiges, sondern nur Relatives. Daß Nietzsche gegen diesen müden
Relativismus auftrat, indem er wenigstens ein Ziel aufstellte, das Ideal
des körperlich und seelisch höheren Menschen, war eine unleugbare Tat.
Aber heute erhebt sich der geistige Widerstand gegen die Trostlosigkeit
einer rein naturalistischen Weltansicht in viel weiterem Umfange und
mit viel breiterer Wirkung. Es wird immer klarer, daß die Idee der Ent-
wicklung eine teleologische, keine mechanistische Idee ist. Und aus den
Theorien von Hörbiger, Dacque und der Wiener Anthropologenschule
gewinnen wir den Eindruck, daß die alten Überlieferungen des Men-

Zeitschr. f. Ästhetik u. allg. Kunstwissenschaft. XXIX. 8
 
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