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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 29.1935

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Eibl, Hans: Religion, Weltanschauung, Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.14176#0128
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HANS EIBL

schengeschlechtes doch viel treuer sind als man im 19. Jahrhundert ge-
glaubt hatte. Sie schildern mit überraschender Deutlichkeit ungeheuere
kosmische und geschichtliche Erlebnisse. Das biblische Bild der Ur-
geschichte rückt zwar in weite Ferne zurück ebenso wie das Bild vom
Ende der Dinge. Aber der Gedanke, daß der Aufstieg des Lebens und
das Ende der Geschichte im Zusammenhang mit kosmischen Kata-
strophen stehen und metaphysisch deutbar sein könnten, ist nicht mehr
so befremdlich. Es läßt sich darum auch vom Standpunkt einer die Ergeb-
nisse der Natur- und Urgeschichtsforschung bejahenden Metaphysik
nichts dagegen einwenden, daß der Erlöser der Christen in der Mitte einer
gegen die Vergangenheit und Zukunft hin ungeheuer erweiterten Ge-
schichte stehe und daß der Aufstieg des Lebens, der unter Einbrüchen
vom Metaphysischen her aus dem Unterbewußtsein zum Bewußtsein ge-
führt hat, in neue Bewußtseinsformen fortgesetzt werde. Die alten Chri-
sten nannten das die mit dem Erscheinen des Erlösers einsetzende Ver-
gottung der menschlichen Natur. Damit aber wäre die schöne Symmetrie
des mittelalterlichen Weltbildes neuerlich erreicht. Es entsprächen ein-
ander die räumliche Anschauung der Welt und das zeitliche Geschichts-
bild, und wie die räumliche Ausdehnung des Weltalls den Begriff der
göttlichen Macht nur verstärkt hat, so würde die zeitliche Ausdehnung
des Lebensaufstieges und der Lebensentfaltung einen umso stärkeren Ein-
druck von der planenden Weisheit zurücklassen. Es verhielte sich das
mittelalterliche Weltbild zu dem künftigen ähnlich, wie die abgekürzten
Symbole, welche die Mathematik heute zur Veranschaulichung nicht-eukli-
discher Räume verwendet, zu diesen Räumen selbst.

Das ist nun die Stelle, an welcher auch die von der nationalen Er-
neuerungsbewegung gepflegte germanische Mythologie weltanschaulich
und künstlerisch sehr fruchtbar werden kann. Freilich muß man sie groß-
artiger sehen als die übliche Mythendeutung tut, die in den gewaltigen
Kämpfen der Götter harmlose Gewitter und sonstige meteorologische An-
gelegenheiten erblickt. Was in diesen altertümlichen Visionen wirklich
steckt, dafür hat uns erst Hörbigers Welteislehre, mag sie auch durch
Einseitigkeit fehlen, die Augen geöffnet. Die nordische Sage von dem
Reich des Eises und der Welt des Feuers, die beide sich miteinander ver-
binden, erinnert unmittelbar ebenso an frühgriechische und iranische Welt-
entstehungslehren, wie an Hörbigers kosmogonische Vision vom Entstehen
ganzer Sternsysteme aus dem Einsturz ungeheurer Eismassen in eine glü-
hende Zentralsonne, die nordische Sage vom Ende der Welt durch den die
Gestirne verschlingenden Wolf, die Midgardschlange und die Flut gemahnt
an die Johannesapokalypse und in beiden scheint der über alle Maßen
furchtbare Eindruck festgehalten zu sein, wie eine in Auflösung begrif-
fene kosmische Masse einen beträchtlichen Teil des Himmels bedeckt,
 
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