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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 29.1935

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Eibl, Hans: Religion, Weltanschauung, Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.14176#0129
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RELIGION, WELTANSCHAUUNG, KUNST

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Flutberge durch Anziehung auftürmt und die Erdoberfläche im Einsturz
zu verschütten droht. Es ist klar, daß derartige Deutungen der mythischen
Tradition die Phantasie der Künstler mächtig anregen werden; denn nun
erst schaut man durch die überlieferten Bilder auf ursprüngliche, aus
größter Ergriffenheit geborene Gesichte und Ergriffenheit ist ansteckend.
Auch die geschichtlichen Ereignisse unseres Zeitalters — das wird aus
der Analogie mit aller großen Kunst der Vergangenheit deutlich —, wer-
den nur dann Gegenstand hoher Kunst werden, wenn sie ein Künstler
als Apokalyptiker, als Deuter des geheimen Sinnes der Geschichte erfaßt
und so der großen Tragödie des Menschengeschlechtes einfügt, die aus
uralter Vergangenheit in eine Zukunft von unabsehbarer Dauer reicht.
Wie weit die gegenwärtigen Schicksale den künftigen Verlauf der Ge-
schichte bestimmen, hängt von der Größe unserer Vision, von der Rein-
heit unseres Willens, mit einem Worte von der Innigkeit und Kraft unse-
res religiösen Glaubens ab. Es ist in unsere Hand gegeben.

Daß eine Erneuerung des antiken und des mittelalterlichen Erbes
unsere künftige Kultur bereichern wird, habe ich in meinem Buche „Vom
Sinne der Gegenwart" ausführlich dargestellt, ich will deshalb hier nur
kurz das eine hervorheben, daß das Bild des heldischen Menschen zu
künstlerischen Formen des hellenischen und des romanischen Stiles, das
Bild des heiligen Menschen zu solchen der Gotik hindrängt. Ich will dies-
mal nur noch eine Bemerkung über die formale Bereicherung der künf-
tigen Kunst durch eine altgermanische Renaissance anfügen. Die alt-
germanische Ornamentik kann sich an äußerer Schönheit mit der griechi-
schen wohl messen und ist überdies gehaltreicher. Es gibt wenige
Schmuckformen, die sich an Pracht und Beziehungsreichtum mit dem
Sinnbild des Weltrades vergleichen lassen, aus dem durch geometrische
Vereinfachung das Hakenkreuz entstanden ist. Es findet sich eine reich ge-
schmückte Form mit vier elegant gebogenen Armen, die aus einem zentralen
Kreis hervorgehen und an ihrem Ende je drei weitere Kreise in knospen-
förmiger Anordnung entsenden; noch heute ist sie unter den Bauern Ober-
österreichs beliebt. Wollte man die Umdrehung kosmischer Nebel oder die
Aussendung oder den Einfang von Gestirnen versinnbildlichen, man
könnte es nicht prägnanter und einfacher machen. So ist dieses Ornament
ein prachtvoller Ausdruck der furchtbaren und zugleich fruchtbaren Un-
ruhe dieser Welt. Aber deshalb muß auch die Ehrfurcht vor dem Kreuze
Christi erhalten bleiben. Es muß auch weiterhin das Zeichen der meta-
physischen Ruhe inmitten des rastlosen Umschwunges der Welt dastehen,
das Koordinatensystem des geistigen Weltalls, in welches wir nicht nur
— wie es uns zur zweiten Natur geworden ist — die geschichtliche Zeit-
zählung, sondern auch die Kurve des menschlichen Wertfühlens, Aufstieg
und Absinken und neuerliche Erhebung, eintragen sollen und wollen.
 
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