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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 29.1935

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Lützeler, Heinrich: Die Lautgestaltung in der Lyrik
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https://doi.org/10.11588/diglit.14176#0209
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DIE LAUTGESTALTUNG IN DER LYRIK

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verhalten; es könnte ja sehr wohl sein, daß gewisse Sprachen der Laut-
gestaltung günstig, andere hinwiederum weniger günstig sind, daß ge-
wisse Völker dieses Mittel lieben, andere aber ihm ferner stehen. —
Schließlich taucht noch eine dritte Frage auf, die in diesem Zusammen-
hang nur gestreift werden soll: ob nicht gerade die Lautgestaltung das
Musiknahe der Sprache mitherausgestalten hilft und insofern eine Brücke
zwischen Dichtkunst und Musik darstellt. — Diese drei hier ausge-
schiedenen Fragen: Die Lautgestaltung im Wandel der Zeiten, in
der Mannigfaltigkeit der Völker und ihrer Sprachen, im Gesamtverband
der übrigen Künste, diese drei Fragen würden den Rahmen der beab-
sichtigten Untersuchung zu sehr ausweiten, die lediglich Grundlinien
ziehen soll.

Dabei wird sie sich im wesentlichen nur auf eine eingehende und
ausgezeichnet gelungene Darstellung des Problems stützen können: auf
einen Aufsatz von Paul Beyer3). Damit der inzwischen erreichte Problem-
fortschritt unmittelbar übersehen werden kann, sind einige der von Beyer
besprochenen Gedichte ebenfalls hier als Beispiele verwandt worden, doch
im andern Zusammenhang, so daß die Ergebnisse beider Arbeiten sich
ergänzen und stützen können. — Im übrigen kommen die meisten Be-
merkungen zur Lautgestaltung der Lyrik (wofern das Klangliche über-
haupt beachtet wird) kaum über vage Ahnungen hinaus4). Oft aber blei-
ben sie in enttäuschender Weise bei der Klangmalerei stehen5).

I. Erkenntnistheoretische Bemerkungen.

Da die Erfassung des dichterischen Klangkörpers noch so wenig ge-
sichert ist, wird eine Besinnung auf die Wege und die Schwierigkeiten
des Erfassens dichterischer Lautgestaltung doppelt nötig. Eine solche Be-
sinnung möchten die „erkenntnistheoretischen" Bemerkungen dieses Ab-
schnittes einleiten.

Der erste Grundsatz für die Klangerfassung muß lauten: der Hör-
eindruck entscheidet. — Unkünstlerische Menschen neigen dazu,
auffallend häufige Laute eines Gedichts zu zählen statt zu hören. Eine
derartige Lautstatistik pflegt aber beim ersten Ertönen des Gedichts in
Nichts zu versinken; denn sie beachtet nicht, daß gewisse Stellen des Ge-

3) Paul Beyer: Über Vokalklangprobleme und Vokalsymbolismus in der neueren
deutschen Lyrik. In: Festschrift für Berthold Litzmann. Berlin 1921. — Ders.: Real-
lexikon der deutschen Literaturgeschichte. Bd. 2. Berlin 1926/28. Artikel: Klang-
malerei. S. 91 f.

4) Vgl. z. B. Theophil Spoerri: Präludium zur Poesie. Berlin 1929. S. 308. (Über
Rilke.)

5) Vgl. z. B. Albert Daur: Der Weg zur Dichtung. München 1933. S. 234. (Echo-
artige Wirkung in Storms „Nachtigall".)
 
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