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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 29.1935

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Svoboda, Karl: Neuere Richtungen in der tschechischen Ästhetik und Kunstwissenschaft
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https://doi.org/10.11588/diglit.14176#0233
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NEUERE RICHTUNGEN IN DER TSCHECHISCHEN ÄSTHETIK 219

lung (Festschrift für Fr. Krejci 1929) legt Zieh klar, daß die Dichtkunst
eine Wortkunst und ihr Material die Sprache sei, daß die Vorstellungen
des Dichters anschaulich und stimmungsvoll seien und daß in der Dichter-
sprache der psychische (besonders der Assoziations-) Mechanismus die Logik
überwiege. Er beruft sich dabei auf eine Studie Fr. Krejci's über die Volks-
dichtung (Ztschr. f. Völkerpsych. 19, 1889) und gleichzeitig stützt er sich
auf die Ansichten von Th. A. Meyer (Das Stilgesetz der Poesie). In sei-
nem größten und reifsten Werke „Estetika dramatickeho umenf („Ästhetik
der dramatischen Kunst" 1931) bedient er sich in weitaus größerem Maße
der objektiven Formenanalyse und auf diese Weise kehrt er eigentlich zur
Methode der Aristotelischen Poetik zurück: wie Aristoteles zergliedert er
das Drama in seine Bestandteile (Text, Personen, Handlung, Szene, bzw.
Musik) und beschreibt jeden dieser Teile vom objektiven Standpunkt so-
wie vom Standpunkte seiner Wirkung. Wie Aristoteles hält er die drama-
tische Kunst für eine darstellende Kunst, aber abweichend von ihm und im
Einklang mit Hostinsky betrachtet er sie als eine selbständige, der Dich-
tung nicht untergeordnete Kunst; denn das Urelement der Dichtung ist das
Wort und das Urelement des Dramas die dramatische Situation. Aber wäh-
rend Hostinsky nach R. Wagner das Drama als eine Verbindung mehrerer
Künste angesehen hatte, faßte Zieh das Drama als eine ursprüngliche
Kunst auf, deren Schwerpunkt im Schauspieler liegt.

Im Einklang mit seinem Empirismus behandelte Zieh nur selten die
Fragen der allgemeinen Ästhetik. Er beschrieb jene seelische Einstellung,
die der Betrachtung der Naturschönheit und des Kunstwerkes vorangehen
muß (Ztschr. „Ceskä mysl" 17, 1921). Er unterschied zwischen der rela-
tiven, nur auf dem Lustgefühl beruhenden Bewertung von Naturschönheit
und Kunstwerk, und der absoluten Bewertung, von der wir nur im Bereiche
der Kunst reden können (a. a. O. 16, 1917). Er betrachtete das Kunstwerk
als ein gesetzmäßiges organisches Ganzes (Ztschr. „Hudebnf rozhledy" 1,
1924/25) oder sprach er auch in demselben Sinne von der Struktur des
Kunstwerkes (Estetika dram. um.), so wie es B.Christiansen, M.Geiger
u. a. tun. Er zeigte, daß man das Kunstwerk nicht aus dem Leben seines
Schöpfers erklären kann und daß es im Künstler ein doppeltes, voneinan-
der unabhängiges Ich gibt: das menschliche Ich und das künstlerische, an
Kunstformen gebundene (Ceskä mysl 17, 1921; 23, 1927); damit verließ
er schon den Boden der positivistischen Forschung, von der er ausgegan-
gen war, und näherte sich den idealistischen Anschauungen Croces, Des-
soirs und Gundolfs.

An die gegenständlichen Darlegungen Zichs knüpft sein Schüler Jan
Mukafovsky an und ergänzt sie mit Hilfe der Grundsätze der rus-
sischen „formalistischen" Literaturwissenschaft. Die russischen „Forma-
listen", die 1916 vor die Öffentlichkeit traten, verteidigten die vollständige
 
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