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EMMA VON RITOOK
fülle der Sinngebiete". Das Ästhetische wird häufig in eine Problematik
einbezogen, „die mit dem Hinweis auf die immanenten Prinzipien des
Ästhetischen ... nicht zu rechtfertigen ist, sondern die lediglich durch das
„faktische" Beieinandersein der beiden Sinngebiete im mehrdimensionalen
Ich „angeregt" wird und so nicht innerhalb, sondern außerhalb der Sinn-
gebiete zum Ausdruck kommt". Dieser Fall tritt ein bei einem solchen
Objekt, „das lediglich in seinem materialen Stoffgehalt ... ethisch charak-
terisiert ist und etwa dem ästhetischen Sinngebiet der Tragödie ... ent-
spricht"26). Diese Beziehung der Sinngebiete, selbst wenn sie sich in dem
„überindividuellen Ich" treffen, kann ebenso wenig für die Kategorie des
Ästhetischen wie für die des Ethischen ein Kriterium sein in der Scheidung
der Gebietszugehörigkeit. Der „Grenzfall" der „ästhetischen Subjekts-
haltung" zu der Tragödie hat ein Analogon — worauf auch T h i e 1 i c k e
hinweist — im Falle der religiösen Inhaltlichkeit eines Kunstwerkes. Die-
ser Hinweis bekräftigt die oben angeführten Beweise, denn selbst ein rein
religiös gerichtetes Kunstwerk — Musik, Dichtung, Bild — kann nicht
durch die Kategorie der religiösen Wertsphäre bestimmt sein, wenn sich
Inhalt und Form in künstlerischer Einheit verschmelzen; und wenn es in
religiöser Hinsicht der Beurteilung unterliegt, wird nicht mehr das Kunst-
werk gewertet, sondern es wird aus seiner Entstehung oder aus seiner Wir-
kung, als außerästhetischen Faktoren, die religiöse Haltung des Schöpfers
oder des Aufnehmenden bestimmt.
In dieser Heraushebung des Ethisch-Inhaltlichen bekundet sich eine
Überschätzung des Inhaltlichen gegenüber der Form. In dem ästhetischen
Wertgebiet der Kunst stehen Inhalt und Form in unzerreißbarer Einheit,
so daß unabhängig von dem Inhalt zu sprechen schon zu einer Sprengung
des Ästhetischen führt27). Beide sind solche Strukturelemente, die zwar
allenfalls in einer kritischen Analyse trennbar sind, aber der Ästhetik nur
im Zusammenhang ihren Gegenstand liefern. In einer Kunst, wie in der
Musik, wo eine gewaltsame Trennung nicht so leicht ist, können wir diese
Einheit am tiefsten durchfühlen. Die Einheit bedeutet aber, daß nicht nur
gemäß der Gesetzlichkeit der Gebietsautonomien die Vermengung der
Gebiete unberechtigt ist, sondern daß das Kunstwerk selbst es verbietet, in
einer Tragödie eine andere konstitutive Kategorie als die ästhetische zu
suchen, d. h. der Inhalt kann nicht „ethisch" sein, wenn die Form ästhe-
tisch ist.
26) Das Verhältnis zw. dem Ethischen und Ästhetischen. 1932. S. 14 u. 183.
— Über diese Frage s. auch R. Odebrecht: Grundlegung einer ästh. Werttheorie,
1927. S. 248.
27) S. bei R. Odebrecht, a.a.O. S. 43. Ästhetik d. Gegenwart 1932. S. 10. —
Fr. Böhm, a. a. O. S. 79. — Dessoir, Ausblick auf eine Philosophie der Kunst.
Im Bericht über den 4. Kongreß f. Ästh. u. allg. Kunstwiss. Stuttgart, Enke, 1931.
EMMA VON RITOOK
fülle der Sinngebiete". Das Ästhetische wird häufig in eine Problematik
einbezogen, „die mit dem Hinweis auf die immanenten Prinzipien des
Ästhetischen ... nicht zu rechtfertigen ist, sondern die lediglich durch das
„faktische" Beieinandersein der beiden Sinngebiete im mehrdimensionalen
Ich „angeregt" wird und so nicht innerhalb, sondern außerhalb der Sinn-
gebiete zum Ausdruck kommt". Dieser Fall tritt ein bei einem solchen
Objekt, „das lediglich in seinem materialen Stoffgehalt ... ethisch charak-
terisiert ist und etwa dem ästhetischen Sinngebiet der Tragödie ... ent-
spricht"26). Diese Beziehung der Sinngebiete, selbst wenn sie sich in dem
„überindividuellen Ich" treffen, kann ebenso wenig für die Kategorie des
Ästhetischen wie für die des Ethischen ein Kriterium sein in der Scheidung
der Gebietszugehörigkeit. Der „Grenzfall" der „ästhetischen Subjekts-
haltung" zu der Tragödie hat ein Analogon — worauf auch T h i e 1 i c k e
hinweist — im Falle der religiösen Inhaltlichkeit eines Kunstwerkes. Die-
ser Hinweis bekräftigt die oben angeführten Beweise, denn selbst ein rein
religiös gerichtetes Kunstwerk — Musik, Dichtung, Bild — kann nicht
durch die Kategorie der religiösen Wertsphäre bestimmt sein, wenn sich
Inhalt und Form in künstlerischer Einheit verschmelzen; und wenn es in
religiöser Hinsicht der Beurteilung unterliegt, wird nicht mehr das Kunst-
werk gewertet, sondern es wird aus seiner Entstehung oder aus seiner Wir-
kung, als außerästhetischen Faktoren, die religiöse Haltung des Schöpfers
oder des Aufnehmenden bestimmt.
In dieser Heraushebung des Ethisch-Inhaltlichen bekundet sich eine
Überschätzung des Inhaltlichen gegenüber der Form. In dem ästhetischen
Wertgebiet der Kunst stehen Inhalt und Form in unzerreißbarer Einheit,
so daß unabhängig von dem Inhalt zu sprechen schon zu einer Sprengung
des Ästhetischen führt27). Beide sind solche Strukturelemente, die zwar
allenfalls in einer kritischen Analyse trennbar sind, aber der Ästhetik nur
im Zusammenhang ihren Gegenstand liefern. In einer Kunst, wie in der
Musik, wo eine gewaltsame Trennung nicht so leicht ist, können wir diese
Einheit am tiefsten durchfühlen. Die Einheit bedeutet aber, daß nicht nur
gemäß der Gesetzlichkeit der Gebietsautonomien die Vermengung der
Gebiete unberechtigt ist, sondern daß das Kunstwerk selbst es verbietet, in
einer Tragödie eine andere konstitutive Kategorie als die ästhetische zu
suchen, d. h. der Inhalt kann nicht „ethisch" sein, wenn die Form ästhe-
tisch ist.
26) Das Verhältnis zw. dem Ethischen und Ästhetischen. 1932. S. 14 u. 183.
— Über diese Frage s. auch R. Odebrecht: Grundlegung einer ästh. Werttheorie,
1927. S. 248.
27) S. bei R. Odebrecht, a.a.O. S. 43. Ästhetik d. Gegenwart 1932. S. 10. —
Fr. Böhm, a. a. O. S. 79. — Dessoir, Ausblick auf eine Philosophie der Kunst.
Im Bericht über den 4. Kongreß f. Ästh. u. allg. Kunstwiss. Stuttgart, Enke, 1931.