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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 30.1936

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https://doi.org/10.11588/diglit.14193#0100
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heiten der Auffassung — wie etwa die Einführung gotischer Elemente durch serbische
Baumeister u. a. m. — müssen den Kunsthistorikern von Fach zur Erörterung über-
lassen bleiben. Die Anwendung der Begriffe „romanisch" und „gotisch" auf die russi-
schen Bauformen, die Darlegung des Verhältnisses zwischen Organischem und Tek-
tonischem, wird sich wohl von subjektiven Urteilen des Verf. nicht immer freigehalten
haben. Und was wird der nichtbolschewistische Leser zu dem Satz (S. 199) sagen:
„Die Senkrechten der Türme beherrschen das Gesamtbild. Sie wirken als primitive
Zeichen, die der Mensch aufstellt, um sich der Erdoberfläche zu bemächtigen. (Vgl.
die Alignements und die Kromlech)"? Andrerseits verlieren sich die kunstphilosophi-
schen Aussagen zuweilen in Weitschweifigkeiten oder in Gemeinplätze, die mit der
russischen Sonderentwicklung nicht allzuviel zu tun haben. Aber dem hohen Wert des
Ganzen geschieht damit kein nennenswerter Eintrag. Überall zeigt sich diese rus-
sische Kunsthistorie bemüht, die Hauptlinien der Entwicklung klarzulegen, indem sie
zugleich die Einreihung in die allgemeinen kulturellen und politisch-sozialen Zusam-
menhänge nicht verabsäumt, und neue Wege in bisher von der Forschung noch wenig
aufgehellte Gebiete zu bahnen.

Auch die Geschichte der altrussischen Malerei, die nebst der altrussischen Plastik
Alpatow sich zum Thema erwählt hat, wird mit der Kiewer Sophienkathedrale er-
öffnet (wobei ich nur eine etwas eingehendere Erwähnung der merkwürdigen Fresken
aus dem byzantinischen Hofleben in dem einst zum Großfürstenpalast führenden
Treppenanbau gewünscht hätte). Mit größter Wahrscheinlichkeit sind es, wie in Kiew,
so auch in der Demetriuskathedrale von Wladimir noch byzantinische Meister, welche
die Wandmalereien schufen; doch der heimischen Stilbildung waren damit die großen
Vorbilder gegeben. Nicht minder wichtig war für die Entwicklung der russischen
Ikonenmalerei die Überführung der nun „Mutter Gottes von Wladimir" genannten
heilspendenden Ikone byzantinischen Ursprungs an diesen neuen Fürstensitz. Auch
die Miniaturmalerei wird allmählich in Rußland seßhaft, und den Stilwandlungen der
großen Kunst entsprechen die Abwandlungen der Kleinkunst. Die dekorative Plastik
Wladimir-Susdals aber zerbricht bereits die Fesseln der byzantinischen Weltanschau-
ung: David mit den Tieren in jener Demetriuskathedrale aus dem Jahr 1197 ist das
erste selbständige und vollendete Werk der russischen Kunst. Dem primitiven Bewußt-
sein waren die Mosaiken im dunkeln, weihraucherfüllten Kircheninnern der mittel-
byzantinischen, auf den Neuplatonismus gestützten Dogmatik nur schwer zugänglich.
Daher findet eine durchgreifende Veränderung des ikonographischen Systems statt:
die bildlichen Darstellungen werden an die Außenseite verlegt und wenden sich nun
stärker an die Phantasie des Beschauers. An der Georgskathedrale in Jurjew-Polskoj
erscheint indessen schon ein Menschenalter später die neue Stilbildung ins Extrem ge-
steigert: die Reliefs verkleiden die Außenwände bis zum Boden herab, das Monumen-
tale ist graziösem Prunk gewichen, und durch Entlehnungen aus dem orientalischen
Bilderschatz wird die Realität der Tierwelt ins Phantastisch-Märchenhafte umge-
bogen. Die glänzende Epoche altrussischer Plastik hat damit bereits ihr Ende erreicht.
In Kiews Miniaturen kommt schon im 12. Jahrhundert eine orientalische, Byzanz
mehr oder weniger konträre Strömung mit greller Farbengebung zur Geltung. Zu-
gleich gelangt dort, kühnlich neben das Mosaik gestellt, dann — mit Kiews Verfall
und Untergang — an dessen Statt die Freskomalerei mit gesättigtem Kolorit zur
Herrschaft.

Diese selbe orientalische, den kleinasiatischen Höhlenmalereien entstammende
Richtung findet einen noch den heutigen Besucher überwältigenden Ausdruck im
Kunstwillen Nowgorods, wofür die Wandmalereien der Nerediza das klassische
Muster mit den gramdurchfurchten Antlitzen der Heiligen bilden. Der Verf. bezeich-
 
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