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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 30.1936

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Hartlaub, Gustav Friedrich: Musik und Plastik bei den Griechen: Beitrag zur vergleichenden Entwicklungsgeschichte der Künste
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https://doi.org/10.11588/diglit.14193#0150
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G. F. HARTLAUB

gerade darum berühren sich vielleicht diese „Extreme". Die geheim-
nisvolle Beziehung von Architektur und Musik hat von jeher zum Nach-
denken gereizt, und eben weil die Tonkünstler viel weniger als die Ma-
ler, Bildhauer und Baumeister an die „mimesis", die Nachahmung der
Natur, und an äußere materielle Zwecke gebunden zu sein scheinen,
hat man immer gehofft, in der Musik die Quintessenz jenes „Künst-
lerischen an sich" zu entdecken, das auch bei den Raumkünsten hinter
Anpassungen aller Art im Tiefsten wirksam sein muß.

Hier setzen auch wir an. Wir beabsichtigen nicht, den wenigen
äußerlichen und mehr mittelbaren Beziehungen bildender und tönender
Kunst bei den Griechen nachzugehen — etwa ihrem Zusammenwirken
im Theater oder der Darstellung des Musizierens in Vasenmalerei und
Reliefs. Wir fragen nach den inneren Zusammenhängen, das heißt: wir
wollen feststellen, welche besonderen Eigenschaften hellenischer Ton-
kunst besonderen Wesenszügen der bildenden Kunst entsprochen, wie
sich also die Grundeigenschaften des griechischen Menschen im Laufe
ihres geschichtlichen Werdens hier und dort verwirklicht haben mögen.

Wie und — wieweit!? Ist es dieselbe Eigenschaft, dieselbe Ent-
wicklungsstufe, die sich im tönenden wie im „scheinenden" Kunstbereich
jeweils gleichzeitig ausdrückt, und vermochte sie diese Bereiche mit
gleicher Kraft, mit gleichem Erfolge zu prägen? Wie verhalten sich
bildende Kunst und Musik zum Griechentum überhaupt, also zu dem
allumfassenden Antrieb, der durch Hellas in der Geschichte verwirk-
licht worden ist?

Indem wir also an dem Rechte unserer Aufgabe nicht irre werden,
bekennen wir freilich, daß hier einer möglichen Antwort höchstens nur
präludiert, besser: daß über den Gegenstand gleichsam nur ein unend-
liches Gespräch eröffnet werden kann, dessen Partner sich ebenso auf
philologisch und morphologisch feststellbare Tatbestände einlassen, wie
in Gründe und Abgründe geschichtsphilosophischen Nachdenkens hinab-
steigen müßten.

I.

Gemeinsamkeit der Gehalte und der Grenzen

„Der Säulenschaft, auch die Triglyphe klingt —
Ich glaube gar, der ganze Tempel singt."

Wenn die Architektur aus der Erstarrung ihres räumlichen Daseins
schmelzen, in ein fließendes, mithin zeitliches Geschehen übergehen
könnte: dann würden die Gesetze, die das räumliche Nebeneinander
der Teile nach schönen Verhältnissen geregelt hatten, nicht etwa ver-
loren gehen, sondern im zeitlichen Nacheinander, im Fließenden, gleich-
sam „wiederauftauchen"! Oder umgekehrt: das musikalische Geschehen
gerinnt, erstarrt zum räumlichen Dasein, wobei seine Bildungsgesetze
 
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