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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 30.1936

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Jahn, Johannes: August Schmarsow zum Gedächtnis
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https://doi.org/10.11588/diglit.14193#0194
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BEMERKUNGEN

Meisterleistung an Selbständigkeit der Anschauung, des Forschens und der Material-
kenntnis. Das Buch ist ein Hauptglied in der Kette monographischer Untersuchun-
gen über italienische Meister; wir nennen unter anderen: Donatello, Raffael, Pintu-
ricchio, Masaccio, Barocci. Es war ja die Zeit, in der die deutsche Kunstforschung
den weitaus größten Teil ihrer Kräfte an Italien wandte, während die Entdeckung
des Nordens erst von wenigen hochragenden Punkten aus begonnen hatte. 1892
griff Schmarsow in die Reihe dieser Entdeckungen entscheidend ein: er gab mit dem
Architekten Flottwell zusammen die Bildwerke des Naumburger Doms in großen
Lichtdrucken heraus und lieferte in dem einführenden Text die erste monographische
Beschreibung, die die neuere Kunstwissenschaft von diesem Hauptdenkmal mittel-
alterlicher Kunst aufzuweisen hat. In der Art, wie er seine Aufgabe anfaßte, tritt
das Wesen seiner Kunstbetrachtung deutlich hervor: er untersucht nicht nur die
einzelnen Teile dieses Zyklus, sondern auch seine Komposition; er nimmt ihn als ein
Ganzes, das mehr und etwas anderes ist als die Summe seiner Teile.

Von programmatischer Bedeutung war die Leipziger Antrittsvorlesung von 1893
über „Das Wesen der architektonischen Schöpfung". Sie enthält die nachmals berühmt
gewordene Definition der Architektur als „Raumgestaltung". Diese Definition fand
die begeisterte Zustimmung namentlich der Architekten. Sie hob das Ganze eines
architektonischen Raumes eben als ein Ganzes hervor und sah in allen konstruktiven
und sonstigen Bestandteilen nur Mittel zum Zweck, dieses Ganze zu gestalten — ein
Vorklang jener Ganzheitsbetrachtung, wie sie uns heute in Biologie, Soziologie und
Psychologie so viele neue Erkenntnisse gegeben hat. Jene Definition war mehr als
die schlagwortartige Formulierung einer gleichsam nur im Intellektualistischen blei-
benden Erkenntnis — hinter ihr stand eine neue Art, Architektonisches zu begreifen.
Was diese auch für die kunsthistorische Forschung zu leisten vermochte, das hat sie
in dem Kampf um die Anerkennung der deutschen Spätgotik als einer selbständigen
und eigenwertigen Entwicklungsstufe deutscher Baukunst gezeigt, ein Kampf, in
dem Dehio vornehmster Gegner war. Hinzu kam noch etwas anderes: die Forde-
rung, nicht immer fremde, sondern heimische Maßstäbe anzulegen, laut erhoben in
Schmarsows „Reformvorschlägen zur Geschichte der deutschen Renaissance" (1899).
Damit waren die Waffen geschmiedet, die den Kampf zugunsten Schmarsows entschie-
den haben. Es gelang ihm und seinen Schülern, nachzuweisen, daß die Spätgotik nicht
eine verarmte, in Mittelmäßigkeit herabgesunkene Form der Hochgotik darstelle, wie
Dehio meinte und wie man bei vorwiegender Berücksichtigung des Konstruktiven
und Dekorativen und unter Anlegung der Maßstäbe französischer Hochgotik meinen
konnte, sondern daß in ihr eine neue, zwar nicht hochgotische, aber eben eine andere
Raumgestaltung zu ganz großen architektonischen Werken herangewachsen war.

Von seinen weiteren Arbeiten seien nur wenige noch genannt: die systematische
Untersuchung über Barock und Rokoko (1897), die Schmarsow auf der Höhe seiner
sprachlichen Ausdrucksfähigkeit zeigt; die Arbeiten über deutsche und niederlän-
dische Malerei, eine Reihe von Aufsätzen über das Wesen des Ornaments, die in
dieser Zeitschrift erschienen, und vor allem seine Untersuchungen über Komposition,
die er in einem Hauptwerk „Kompositionsgesetze des Mittelalters" (1920—22) zu-
sammengefaßt hat. Das Formproblem der Komposition, genauer, des Gesetzmäßigen
in der Komposition, hat ihn geradezu fasziniert. Niemals vor ihm war eine Betrach-
tung mittelalterlicher Kunstwerke auf ihre Komposition hin systematisch unternom-
men, höchstens gelegentlich und auf ein einzelnes Werk beschränkt durchgeführt
worden. Schmarsow hat diese Art formaler Betrachtung als erster systematisiert,
wenn er auch in der Betonung des Gesetzmäßigen oft etwas zu weit gegangen sein
 
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