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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 30.1936

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Schönbaumsfeld, Elfriede: Die ästhetische Kontemplation in der Weltanschauung Eduard Stuckens
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https://doi.org/10.11588/diglit.14193#0278
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Epik. „Wird nichts, was wir liebten, bleiben", fragt der Dichter. „Nichts", entgegnet
Feuer-Juwel, „Alles wird hinschwinden wie einst, als der Jaguar die Sonne fraß."
„Auch die herrliche Adlerpforte, der Stolz Mexikos?" „Sie wird im See versinken."
„Auch die Bücher, die du geschrieben hast?" „Nichts wird von ihnen bleiben." „Auch
die Lieder, die ich gedichtet habe?" „Wenn alles verschlungen wird, wozu stieg dann
Mexikos Schönheit aus dem See hervor?" „O Dichter — auch die Wasserrose steigt
aus dem See hervor und blüht nur drei Tage lang" (Götter II 126). Montezuma er-
kennt das allgemeine Schicksal in der Stunde des Todes: „Ewig sind nur die Sterne,
alles andere ist vergänglich" (Götter II 285). Dieses wichtigste Motiv seines Gesamt-
werkes hat der Dichter auch in dem Gleichnis gestaltet, das am Ende der „Weißen
Götter" seine Auffassung deutlich macht: „Die mexikanische Göttin Ixcuinan, die
Herrin der Lust und der Erde, verführte den Büßer Yappan. Als er sie umarmte,
wurde sie zu Staub. Nichts, nichts behielt er von der Berückenden zurück als eine
Handvoll grauen, sickernden Erdenstaubs" (Götter II Ende). In „Lariön" gibt Ga-
briele Durand dem gleichen Lebensgefühl Ausdruck: „Jugend und Schönheit seien ja
doch bestimmt, abzublühn und zu vermodern" (Lariön 44). „Verfall ist die geheime
Sehnsucht aller Paläste", heißt es in „Im Schatten Shakespeares" und in der Erzäh-
lung „Ein Blizzard": „Wir aber sind wie die Schneeflocken, wir schweben und tanzen
wohl ein kurzes Weilchen und sinken nieder und werden von den achtlosen, respekt-
losen Stiefelsohlen zu Straßendreck zerstampft. Nichts bleibt von unserer kristallnen
Schönheit, nichts, nichts, nicht einmal ein Erinnern in den Seelchen der andern Schnee-
flocken, die ebenso bald Dreck werden wie wir" (Adils und Gyrid 262).

Handelte es sich nur um die Feststellung der Tatsache, daß Irdisches vergäng-
lich ist, so ließe sich daraus noch nicht der Schluß auf eine ästhetische Auffassung
des Lebens ziehn. Daß aber das Gefühl, das durch das Wissen um die Vergänglich-
keit hervorgerufen wird, das der Trauer und Klage ist, das scheint mir die ästhetische
Einstellung dem Leben gegenüber zu bezeugen. Oft bricht der Schmerz über das Ver-
gehn durch: „Särge toter Völker sind die alten Chroniken, sie bergen Moder, Juwelen
und tiefe Traurigkeiten" (Götterl 11). „Verloren gehen nur die Seelen toter Völker —

fliegen ins Nichts, unwiederbringlich verloren--unwiederbringlich verloren--

verloren, für immerdar verloren" (Götter I 81). Oder im Epilog des Romans „Im Schat-
ten Shakespeares": „Ja, so endet Englands Abendsonnengold in Nacht und Graus und
Blitz und Donner! Weltuntergang! ... Eine herrliche Welt fällt nun in Trümmer."
Und in der Apostrophe an Hai: „Uns Lebenden gewittert die Verzweiflungsnacht,
nicht dir" (Schatten 574). In „Giuliano" deutet Trajano Bobba die elegisch-rück-
gewandte Stimmung an: „Seid froh, Messer Giuliano, daß ihr den kläglichen Nieder-
gang, Verwandlung von Himmelstürmern in spanische Leisetreter nicht mitanzu-
schauen brauchtet" (Giuliano 344). In allen diesen Stellen spiegelt sich die Auffas-
sung, die die Stoffe der historischen Romane erfahren. Jedesmal wird die Wende einer
Epoche gestaltet, immer so, daß die Neigung des Verfassers der vergehenden, nicht
der heraufkommenden Zeit angehört, in den „Weißen Göttern" der untergehenden
Kultur der Mexikaner, in „Im Schatten Shakespeares" der versinkenden Epoche der
englischen, in „Giuliano" der der italienischen Renaissance.

Ästhetische Haltung gegenüber der Welt schärft hier den Blick für ihr Ver-
gehen und ruft den Schmerz darüber wach. Sie tritt noch deutlicher zutage, wo sie
— und hierin liegt das Eigenartige der Stucken'schen Anschauung — die erkannte
Vergänglichkeit des Irdischen zur Grundlage ästhetischen Werterlebens macht. Der
Dichter fühlt nicht nur das Vergehen der Dinge, sondern in ihrem Vergehen und
weil sie vergehn, werden sie als schön empfunden, der Schatten der Vergänglichkeit,
der auf sie fällt, erhöht nur ihren Reiz. In einem Gleichnis der „Weißen Götter" er-
 
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