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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 30.1936

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https://doi.org/10.11588/diglit.14193#0297
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BESPRECHUNGEN

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aufzeigen zu können; aber auch damit wird er schon einen Eindruck vermitteln von
dem unvergleichlichen Reichtum dieses bedeutenden Buches.

Petsch unterscheidet Vor formen der Erzählkunst: epische Äußerungsformen,
in denen der praktische Zweck der Rede herrscht, U r formen, d. h. Gestaltungen der
Rede, in denen der praktische Zweck schon hinter der Freude am Erzählen zurück-
tritt, und schließlich Voll formen, die eigentliche Dichtung, die der reinen Freude
am erzählenden Gestalten entsprungen sind. Ehe sich die dichterischen Vollformen
entwickeln, gibt es doch schon Erzählformen genug, die durchaus literarisch wert-
voll sind. Teils neigen sie mehr nach der unterhaltenden, abenteuerlichen Seite
(Abenteuer, Mythen, Sagen, Schwänke, Lügenanekdoten, Jägerlatein, Seemannsgarn
u. a.), teils mehr nach der hintergründigen, wertenden (Mythus im engeren Sinn,
Heldensagen, religiöse Legenden und Antilegenden). Als ursprüngliche Vollform der
Erzählkunst, als Urform der erzählenden Kunstdichtung wird das Volksmärchen
erkannt, das eine „kluge Verwebung des Abenteuerlichen mit dem Sinnvollen" bietet.
Dann umschreibt der Verfasser das Wesen des Epischen: „episch ist die geistige
Auffassung und die wortkünstlerische Darstellung eines spannenden Vorgangs im
Lichte seiner menschlichen Bedeutung und unter der Form des ästhetisch wirksamen
Berichts" und hat damit eine bei aller Kürze erschöpfende Definition gefunden. Weiter
kennzeichnet er die epische Haltung und den Vorgang als Gegenstand der Erzähl-
kunst. Ein Hauptabschnitt ist dann dem Aufbau der epischen Dichtung gewidmet,
wo die Rolle des Erzählers und konstitutive Einzelheiten wie Rahmenerzählung,
Motive und ihre Verflechtung, der Aufbau der Handlung selbst, Zeit und Raum in
der Erzählung, die epischen Figuren und ihre Umwelt (Stadt — Land, Familie usw.)
behandelt werden. Dann wendet sich Petsch den Darbietungsformen der Erzählkunst
zu, und zwar einerseits den epischen Grundformen wie Bericht, Beschreibung, Ver-
gleich, Betrachtung, Bild, Szene, Gespräch, briefliches Gespräch, anderseits der epi-
schen Sprache und schließlich dem Verhältnis von Vers und Prosa. Diese zahllosen
sprachlichen Beobachtungen führen so recht ins innerste Wesen der Erzählkunst,
handelt es sich hier doch um alle jene feinsten stilistischen Mittel, durch welche in
der Hauptsache die „Einstimmung" des Lesers in die Seele des Dichtwerks erfolgt.
Was Zeitmaß und Wärmegrad der Erzählung bedeuten, was Lang-, was Kurzsätze,
was der Wechsel von direkter und indirekter Rede, von Gegenwarts- und Vergangen-
heitsform der Sprache auszudrücken vermögen, wie Unter- und Nebentöne durch
sprachliche Mittel entstehen, wodurch der Sprachstil entfernt oder gegenstands-
nah, knapp oder breit, ruhig oder bewegt wirkt und vieles Ähnliche wird hier mit
feinstem Einfühlungsvermögen aufgezeigt. Bei dieser Gelegenheit versäumt es der
Verfasser auch nicht, auf den grundsätzlichen Unterschied höherer (rhetorischer)
Zwecksprache (etwa des Gelehrten, Geistlichen, Richters, des politischen Redners)
und dichterischer Sprache hinzuweisen. In die Mitte der Betrachtung auch epischer
Kunst rückt aber die Sprache mit der Erkenntnis, „daß die poetische Sprache nicht
etwa zur dichterischen Schau hinzu kommt, um sie nach außen zu vermitteln, son-
dern daß die innere Gestaltung und die sprachliche Neuschöpfung des Gegenstandes
auf das innigste miteinander verwoben, daß sie dem Wesen nach eins sind". Zum
Schluß gibt Petsch noch eine Übersicht über die Einzelformen der Erzählkunst. Kurz-
formen wie Heldenlied, Ballade, Anekdote, Schwank führen zur eigentlichen Novelle
mit ihren „Sproßformen" wie „Geschichte", Kunstmärchen, Fabel; der Novelle
schließen sich die Langformen wie Epos, Sage und Roman (Entwicklungs-, Problem-
und Ereignisroman) an. Die Novelle nimmt die Mittelstellung ein und gilt als die
Kunstform der Erzählung nav' ^oyfyv. Alle diese Erzählformen werden in ihrer typi-
 
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