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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 30.1936

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https://doi.org/10.11588/diglit.14193#0299
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Ronald Peacock: Das Leitmotiv bei Thomas Mann. In Sprache
und Dichtung, Forschungen zur Sprach- und Literaturwissenschaft. Bern 1934.

Es ist das besondere Geheimnis der Epik Thomas Manns, auf dem immer vor-
handenen Hintergrund tiefster Gedanklichkeit, einem Hintergrund, dem gegenüber
das Realgeschehen zum Symbol wird, die mannigfachsten Formen der Darstellung
dieses Geschehens spielen zu lassen. In der Fassung des Augenblicks, der Zerwüh-
lung von sich dehnenden Gefühlslagen, dem getragenen Bericht der Erlebnisse gleitet
diese Darstellung hin über dem Grunde, um sich ihm gelegentlich in der Meditation
unmittelbar anzuschmiegen. Es ist außerordentlich gewagt, Gesetze eines Stils zu
finden, der seinen letzten Inhalt in derartig wechselnder Diaphanie erleben läßt.

Auch die vorliegende Behandlung des Leitmotivs bei Mann steht unter dem Zei-
chen solcher Schwierigkeiten. Daß das Thema in Angriff genommen wurde, muß
dennoch begrüßt werden, zumal der Verfasser auf die geringe Berücksichtigung hin-
weist, die die Mannsche Leitmotivtechnik bisher gefunden hat, so bei Havenstein,
Pache, Peter und Jacob.

Wenn sich nun aber in der Schrift Peacocks Ansätze zu einer Kategorienlehre
des behandelten Phänomens finden — zunächst wird aus den frühen Novellen der
Begriff eines gefühlsinterpretierenden Leitmotivs, aus den „Buddenbrooks" der eines
physiognomisch-charakterisierenden herausgearbeitet — so sieht doch der Verfasser
die Unmöglichkeit strenger begrifflich-systematischer Scheidungen hier sehr bald
selbst ein (vgl. S. 30) und behandelt daher die Leitmotivtechnik Thomas Manns im
einfachen Verfolg der Genese dieses Schrifttums. Er zeigt, daß das Leitmotiv, in
ähnlicher Weise in den „Buddenbrooks" schon anklingend, im „Tristan" in den Dienst
eines kontrapunktisch durchgeführten Symbolismus tritt, daß es dann im „Tonio
Kröger", dem in dieser Hinsicht eine Ausnahmestellung eingeräumt wird, vorwiegend
als Gefühls- und Stimmungsträger dient, während die mit den „Buddenbrooks" be-
ginnende Linie über „Königliche Hoheit" hinweg beim „Zauberer" endet, wo sich
eine solche Technik im breitesten Rahmen bewähren muß. Naheliegende Beziehungen
zur Musik werden gestreift.

Erschöpfendes zu dem Thema könnte natürlich nur eine Schrift größeren For-
mats geben. Man möchte sich im Verfolg der vorliegenden Untersuchungen vielleicht
hauptsächlich ein näheres Eingehen auf den Humor Thomas Manns und seinen Reflex
im Leitmotiv wünschen. Der Verfasser erwähnt nur als Spielart das „ironische Leit-
motiv" und zwar in einem Sinne, der unserer Meinung nach der Bedeutung Manns
nach dieser Seite hin nicht gerecht wird. Allerdings muß ja jede Wertung hier un-
abgeschlossen bleiben, da nur ein gewisser Schriftenkreis berücksichtigt werden
konnte. Was aber heute schon von der Trilogie „Joseph und seine Brüder" greifbar
ist, zeigt so einzigartige, köstliche und überraschende Züge der Leitmotivtechnik auf
und das gerade im Dienste eines besinnlich-funkelnden unvergleichlichen Humors,
daß sich von diesem grandios-spöttischen Legendenspiel her eine ganze Welt von
neuen Formproblemen ergibt.

Berlin. Katharina Kanthack-Heufelder.

Luigi Tonelli: Dante e la poesia dell'ineffabile. Florenz, Bar-
bera, 1934.

Diese außerordentlich sicher und fein durchgliederte Abhandlung (denn mehr
als ein „saggio", wie sie der Verf. in der Schlußzeile bescheiden nennt, ist sie ja doch
schon!) ist ein wahres Musterstück jener den romanischen Völkern eigentümlichen
Interpretationskunst, die den inhaltlichen wie den formalen Gehalten der Dichtung
 
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