Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für christliche Kunst — 15.1902

DOI Artikel:
Braun, Joseph: Zur Entwicklung des liturgischen Farbenkanons, [1]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4074#0062

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
85

1902.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 3.

86

Mit der Angabe des Duchesne'schen Ordo
stimmt überein, was Pseudo-Alkuin bezüglich
der gottesdienstlichen Kleidung bei der Licht-
mefsprozession und den Charfreitagsceremonien
sagt. Denn auch er vermerkt für erstere „vestes
nigrae, für letztere planetae fuscae.6) Der
5. Ordo Mabillons aber, der in einem dem

X. Jahrh. angehörigen Kodex der St. Galler
Stiftsbibliothek verzeichnet ist, gibt, wo er von
der Sakralkleidung des Papstes handelt, an:
In his diebus, natl. Dom., pascha, sei petri
et die ordinationis suae (pontifex Romanus)
aliud colere (colore) planeta induitur.7) Was
das für eine andere Farbe gewesen, welche
die liturgische Gewandung des Papstes am
Weihnachtstage, Ostern, am Feste des Apostel-
fürsten und am Tag (Jahrestag) seiner Weihe
gehabt, sagt der Schreiber leider nicht. Am
ehesten möchte man, weil auch Ostern unter
den Tagen genannt ist, an Weifs denken. In-
dessen ist auch so die Notiz des Ordo noch
sehr bedeutsam; denn sie bekundet, dafs man
immerhin schon eine geraume Weile vor dem
Entstehen des liturgischen Farbenkanons in
irgend einer Weise einige Feste von anderen
durch die Farbe der liturgischen Gewandung
unterschied.

Mit der Verbreitung des römischen Ritus
wurde es natürlich auch anderswo Sitte, an
Bufs- und Trauertagen eine der Stimmung
derselben entsprechende dunkle Kleidung bei
den gottesdienstlichen Funktionen zu tragen,
wenn selbige einer natürlichen Symbolik ent-
sprechend nicht schon früher daselbst in Kraft
gewesen sein sollte. Im XL Jahrh. war, wie
es scheint, dieser Brauch allgemein. Er findet
sogar um diese Zeit schon in den Missalien
mehrfach Erwähnung, wiewohl dieselben damals
an Rubriken noch äufserst arm waren. In dem
im X. Jahrh. entstandenen Missale Leofriks von
Exeter wurde eine ihn betreffende Notiz im

XI. Jahrh. nachträglich eingefügt.8)

Wie alt die römische Sitte ist, bei den
Prozessionen am Lichtmefstage und den Bitt-
tagen sowie den gottesdienstlichen Funktionen
am Charfreitage dunkle bezw. schwarze Ge-
wänder zu tragen, läfst sich nicht sagen. Da
sie indessen durchaus dem Charakter dieser

«) „De div. off." c. 7, 8 (Migne P. 1. c. 1, 1181,
1208).

') n. 1 (Migne P. L LXXVI1I, 98o).
9) ed. Warren Oxford. (1883). p. 261.

Ceremonien entspricht und ein natürlicher
Ausdruck der denselben eigenen Grundstim-
mung ist, mag sie so alt sein, wie diese Kult-
akte. Wenigstens darf das bezüglich der ge-
nannten Prozessionen angenommen werden.

Die Gewohnheit hat sich denn auch, eben
weil sie so ganz den Eigenthümlichkeiten der
betreffenden Funktionen entspricht, die ganze
Folgezeit im wesentlichen erhalten, nur dafs, als
sich ein vollständiger Farbenkanon heraus-
bildete, an Stelle • der „vestes fuscae" oder
„nigrae" vielenorts violette Gewänder treten.
Merkwürdig, wie eine Farbe, welche ehedem
den ersten Rang unter allen Farben einge-
nommen hatte und die Kaiserfarbe im beson-
dern Sinne gewesen war, im Lauf der Zeit den
Charakter einer Trauerfarbe bekam.

Ein ausgebildeter Farbenkanon erscheint
im römischen Ritus erst in der Schrift Inno-
cenz' III. über das hl. Mefsopfer, also um
1200.9) Er ist dem jetzt mafsgebenden schon
im Wesentlichen gleich. An den Festen Kreuz-
Erfindung und Kreuz-Erhöhung läfst der Papst
neben Weifs auch Roth gelten, empfiehlt aber
ersteres als entsprechender. Für die Fasten-
und Adventszeit verzeichnet er Schwarz, für
Lätaresonntag Schwarz oder besser Violett.
Für das Fest der unschuldigen Kinder hielten,
so bemerkt Innocenz ferner, die einen schwarze,
die andern rothe Gewänder für passender, in
Rom aber werde zu seiner Zeit Violett ge-
braucht. Dem Roth endlich wird Scharlach,
dem Grün Gelb (croceus color), dem Schwarz
Violett als Nebenfarbe zugesellt, dabei aber
zugleich angefügt, dafs einige den Crocus, d. i.
Gelb auf die Bekenner bezögen, wie die
Rosen (Roth) auf die Märtyrer und die Lilien
(Weifs) auf die Jungfrauen.

Eine eigentlich verpflichtende Kraft legt
Innocenz III. dem Farbenkanon nicht bei.
Er erörtert nur, wie es die römische Kirche,
die hier im engern Sinne zu nehmen ist und
auch wohl curia romana genannt wird, hinsicht-
lich der Farbe der liturgischen Gewänder halte.
Abweichende Anschauungen und Gewohn-
heiten werden als statthaft behandelt, wie die
Weise zeigt, in welcher dieselben besprochen
werden.

Gleichzeitig mit Innocenz III. erwähnt auch
Sicardus von Cremona das Bestehen eines

9) 1. 1, c. 65 (Migne P. 1., 217, 799, 899).


 
Annotationen