Die Bibliotheca Palatina – Schicksale einer weltberühmten Bibliothek

Die Anfänge

'Frau Welt' aus Hugo von Montfort (Cod. Pal. germ. 329)

Die Ursprünge der Bibliotheca Palatina, der Pfälzischen Landbibliothek, reichen bis in das Jahr 1386 zurück, als die Universität Heidelberg gegründet wurde. Im Gefolge der Universitätsgründung entstanden neben der Bibliothek der Artisten auch diejenigen der drei höheren Fakultäten Theologie, Jura und Medizin. Weitere, ursprünglich eigenständige Institutionen, die im Laufe der Zeit in der Bibliotheca Palatina aufgingen, waren die auf das Testament Kurfürst Ludwigs III. zurückgehende, sogenannte Stiftsbibliothek und die privaten Büchersammlungen der Kurfürsten auf dem Heidelberger Schloss. Erst unter dem bibliophilen Kurfürsten Ottheinrich waren diese Bestände auf den Emporen der Heiliggeistkirche vereinigt worden. Ihr vorläufiges Ende brachte der zu ihrer Zeit berühmtesten und bedeutendsten Büchersammlung Deutschlands die Eroberung Heidelbergs während des Dreißigjährigen Kriegs im Jahr 1622.

Bedeutung und Inhalte

Nicht zuletzt wegen der großen Masse theologischer, und hier überwiegend protestantischer Literatur, die er beherbergte, war dieser Bücherhort zur Zeit seiner Blüte im 16. und 17. Jahrhundert als „Mutter aller Bibliotheken“ weithin gerühmt. Vor allem diese Bestände machten ihn zu einem von katholischer Seite sehr begehrten Objekt: Papst Gregor XV. hatte schon früh deutlich zum Ausdruck gebracht, dass er bei einem kriegerischen Erfolg über die Pfalz, die mit ihrem zum „Winterkönig“ gekrönten Kurfürsten Friedrich V. zur Speerspitze der Protestantischen Union geworden war, die Übergabe der gesamten Bibliothek und ihre Wegführung als Kriegsbeute verlangen würde. Herzog Maximilian I. von Bayern, der wie die Pfälzer Kurfürsten dem Adelsgeschlecht der Wittelsbacher angehörte, aber im Krieg als Mitglied der Katholischen Liga auf deren Gegenseite stand, konnte sich diesem dezidierten Wunsch seines Kriegsherrn und hauptsächlichen Geldgebers nicht widersetzen.

Cod Pal. germ. 471: Hugo von Trimberg: Der Renner - 'Tafel der christlichen Weisheit'

Der Weg nach Rom und die Aufbewahrung im Vatikan

So geschah es, dass sich nach der Einnahme der Pfalz und Heidelbergs durch den Feldherrn Tilly der Scriptor für Griechisch an der Vatikanischen Bibliothek, Leone Allacci, im Dezember des Jahres 1622 in Heidelberg einfand, um den Abtransport der Bücher nach Rom zu organisieren. Bereits im Januar 1623 konnte er den Vollzug seines Auftrags melden. Und sogar mehr als das: Er selbst rühmte sich, er sei geschickt worden, eine Bibliothek zu holen, er bringe aber drei. Neben der Bibliothek in der Heiliggeistkirche – der eigentlichen „Bibliotheca Palatina“ – war es ihm nämlich gelungen auch an die Bestände auf dem Schloss und somit die Privatbibliothek der Pfälzer Kurfürsten und an Bücher der Universität zu gelangen. Auch vor dem privaten Bücherbesitz des letzten Bibliothekars der Palatina, Jan Gruter, machte sein „Sammeleifer“ nicht halt. Wie von Papst Gregor XV. gewünscht, war es Allacci gelungen, den gesamten Schatz der pfälzischen Bücher an sich zu bringen. Auf dem Weg über München, wo die Bücher mit extra angefertigten Exlibris des frisch mit der Kurwürde belehnten Maximilian versehen wurden, machte man sich Mitte Februar 1623 nach Rom auf.

Verpackt in 196 Kisten und getragen von Maultieren begann der Bücherschatz seine gefahrvolle Reise über die Alpen. Witterungsbedingte Verzögerungen ließen den Zug erst am 25. Mai 1623 am Comer See angelangen. Auch innerhalb Italiens kam man nur langsam vorwärts. Aufgrund des Todes von Papst Gregor XV. im Juli des Jahres musste man lange auf die Zahlung der Transportkosten warten. So konnte die Übernahme der 184 Kisten durch den Vatikan – 12 Kisten hatte Allacci für sich abgezweigt – erst am 9. August 1623 erfolgen. Somit hatte der Transport fast sechs Monate gedauert. Angelangt in ihrer neuen Heimat wurden die Handschriften und Drucke der „Bibliotheca Palatina“ zu einem Teil in die vor Ort vorhandenen Bestände einsortiert. Die lateinischen, griechischen, deutschen und hebräischen Handschriften jedoch wurden getrennt aufgestellt. Es entstanden die Signaturengruppen: Cod. Pal. lat. (Codex Palatinus latinus), Cod. Pal. graec. (Codex Palatinus graecus), Cod. Pal. germ. (Codex Palatinus germanicus) und Cod. Pal. ebr. (Codex Palatinus ebraicus).

Versuche der Rückgewinnung und Rückkehr eines Teils der Bibliothek nach Heidelberg

In den folgenden, knapp zwei Jahrhunderten, wurde von verschiedenen Seiten immer wieder versucht, die Bestände der „Bibliotheca Palatina“ nach Heidelberg zurückzuführen. Doch erst im Anschluss an einen weiteren, großen europäischen Krieg konnten durch Vereinbarungen, die während des Wiener Kongresses getroffen worden waren, zumindest die 847 deutschsprachigen Handschriften im Jahre 1816 in ihre alte Bibliotheksheimat zurückkehren, damals noch in das auch als Universitätsbibliothek fungierende Universitätshauptgebäude, die "Domus Wilhelmiana" (heute die "Alte Universität"). Bis auf 29 griechische und 16 lateinische Codices liegen alle übrigen, nicht deutschsprachigen Handschriften und sämtliche Drucke noch heute in den Tresoren der Biblioteca Apostolica Vaticana in Rom.

Die weltberühmte „Große Heidelberger Liederhandschrift“, auch „Codex Manesse“ genannt, die sich wohl im persönlichen Fluchtgepäck Kurfürst Friedrichs V. befunden hatte und daher nicht nach Rom gelangt war, konnte erst im Jahr 1888 auf verschlungenen Wegen an ihren früheren Aufbewahrungsort Heidelberg zurückkehren und wird dort seitdem als besonderer Schatz in der Universitätsbibliothek aufbewahrt (Cod. Pal. germ. 848).

© Karin Zimmermann, Maria Effinger, Universitätsbibliothek Heidelberg, 10/2012