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Das Lesekränzchen.

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Die Damen sprangen auf die Stühle und von da auf die
Tafel. In Folge ihrer Korpulenz war die golddeschwerte
Gutsbesitzerin die Letzte, die dort anlangte. Unglücklichertveise
gerieth sie gerade auf jene Stelle, welche der Stickrahmen
stützte. Das war aber dem Stickrahmen etwas zu viel zu-
getraut, er brach zusammen; auch die Nachttischchen, die nur
auf einen senkrechten Druck berechnet waren und allen Strebe-
werks entbehrten, schlugen um, und mit einem noch helleren
Schreckensschrei fielen die Damen zu Boden.

Wie sollen wir die folgende Scene schildern? Gebt uns
den Griffel eines Hogarth! Wir fühlen, wir sind auf der
Grenze angelangt zwischen Poesie und Malerei. Was sich auf

einen Blick dem Auge im Raume gedehnt nebeneinander zeigt,
vermögen wir nur nacheinander in langsamer Reihenfolge
her zu erzählen. Doch, wir dürfen keine Lücke lassen, man
nehme deshalb fürlieb!

Da liegen fiel Ein Seitenstück zum Jeremias auf den
Trümmern von Jerusalem. Da liegen sie, die holden Frauen
und Mägdelein zwischen Rahmtörtchen, Berliner Pfannen-
kuchen, Taffen und sonstigen Geschirren.

Da liegt auch sie, der Liebling der Musen, die deutsch-
wüchsige, blaustrümpfige, Pegasusberittene Zollaufseherin und
Seherin, jetzt eine wüthende Megäre, denn, o Himmel, eines
der Nachttischchen hatte man in der Eile zu leeren vergessen.

Und o Jammer, o Jammer! Da liegt auch sie, die gold-
beladene Frau Ammer, gleich einer Schildkröte, die so leicht
nicht wieder auffteht, wenn sie einmal auf dem Rücken liegt.
Todesangst spricht aus ihren sonst so ausdruckslosen fleisch-
igen Zügen, der sonst so stumme Mund ruft die Lieutenants
zu Hülfe.

Aber da liegt auch sie die rosenrothe Frau vom Hause,
eine geknickte Blüthe, in Ohnmacht auf einen Sessel hin-
gestreckt. Und was konnte sie Gescheidteres thun als in
Ohnmacht fallen?

Kurz, es ist eine allgemeine Niederlage des schönen Ge-
schlechts.

Die Herren aber stehen theils abgewendet, schütteln sich
die Bäuche und beißen die Lippen, theils jagen sie die Ratte,
welche nach einem Mäuseloch suchte. Jedoch die Ratte fand kein
Mäuseloch, denn in Schreibels Wohnung hielten sich keine
Mäuse auf. Was hätten sie auch dort gesollt? Schreibels
Mäuse befanden sich auf seiner Borrathskanimer, deren er
bekanntlich keine hatte.

Selbst der Kanzelist hatte bei diesem schrecklichen Ereigniß
seine philosophische Ruhe verloren, rannte auf und ab, so
viel es der Raum nur immer gestattete, und riß sich voll
Verzweiflung die — papiernen Vatermörder aus, indem er
rief: „Fahre hin, eitler Tand!"

Mathilde war auf einen Stuhl geklettert, Alexander jedoch
schloß sich den Jägern an; vergeblich suchte ihm ein Lieute-
nant seine Waffe zu nehmen, er klammerte sich laut auf-
weinend an den Griff seines Schwertes. Und fürwahr, es
war in den besten Händen; so schlecht seine erste Heldenthat
belohnt worden, er endigte die Scene mit einer zweiten, und
spießte die Ratte. Nach vollbrachter That ließ er den Körper
auf dem linken Schenkel ruhen, stemmte den linken Arm in
die Hüfte, hob mit der Rechten das Schwert mit der ge-
spießten Ratte hoch empor und schrie: Hurrah Parthie!

Endlich hatte man die Damen wieder auf die Beine ge-
bracht. Nur die Frau vom Hause lag noch auf dem Seffel
und setzte ihre Ohnmacht fort. Man sah dem Busen der
Ohnmächtigen an, daß eine hefttge Bewegung ihr Inneres
erschütterte; aus den geschlossenen Augenlidern drangen einzelne
Thränen hervor.

Bon Plattow, dem die Ohnmacht zu lang und» gefährlich
schien, wollte die Dame aufschnüren, was sich Schreibet jedoch
verbat. Dagegen gab er der Gesellschaft, so höflich als es
seine Aufregung gestattete, zu verstehen, die Einsamkeit würde
ihr wohlthuend sein.

Die Gäste entfernten sich allmählig; die einen zornig ohne
Dank, andere mit verbisienem Lachen, noch andere mit offen-
barem Hohn und bitterer Ironie. Die Letzte war der begos-
sene Musenliebling, die berittene Zollaufseherin; sie schoß einen
schmähschristschwangern. Blick auf Schreibet und die Ohn- .
mächtige und dankte für gute Bewirthung.

„Keine Ursache!" sprach Schreibet.

Das Trinkgeld bei Verabreichung der Garderobe schien heute
besonders schmal auszufallen. Lisette knurrte mehr als sonst,
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Das Lesekränzchen."
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Stauber, Carl
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Personifikation
Ratte <Motiv>
Malerei <Motiv>
Karikatur
Dichtung <Begriff, Motiv>
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 2.1846, Nr. 48, S. 186
 
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