Herrn Grass Rhcinreisctagcbuch.
Augen verschämt nieder aus den Boden und mischte sich rasch
unter einen Trubs Herzögcr, die grade iu die Nähe dabeistandcn.
Wie der schöne Mann nach einer kleinen Weile wieder
an der Frau Keiferin vorbeikam, da hemmhemmte sie aber-
maligt und ließ sogar ein unverkennbares bst! bst! dabei erschallen.
Wenn nun jetzt wieder der Unbekannte nichts hätte nicht merken
wollen, so müßte er dennoch ein Esel oder ein flcgclhaftiger
Mensch gewesen sein. Dieses Beides war er aber von keiner
Seite auch nur im Geringsten gar nicht, sondern er trat chr-
sürchterlich mit einen tiefen Kratzbickling näher zu die Frau Keiferin.
„Sind Sie schon zu die nächste Bolka vcrankaschirt?"
fragte sic ihn mit lächelnder Hcrabgelassenhcit.
„Nein, Eure Durchlaucht," crwicdcrtc darauf der schöne
Fremdling, wobei er vor Ucberraschung roth bis hinter die
Halsbinde werden that.
„Nun, alsdann möchte ich wohl das Vergingen haben,"
sagte die Frau Keiferin auf das Huldsclligstc.
„Gans auf meiner Seite," sagte der schöne Mann; dann
drehte er sich herum, machte ein Zeichen hinauf zu den Musikan-
ten auf das Ohrkcstcr und rief: „Bolka! Los, vorwärts munter!"
Und nun ging der Tanz los, daß es eine wirkliche
Götterlustigkcit war. Alle Anwesende staunten das schöne Baar
an, welches als ein Muster von die Tanzkunst gelten konnte.
Auch die Herren Firsten auö dem Sbielzimmer waren hcreiu-
gckommcn in den Tanzsal, Herr Karl der Große vorneweg
an die Sbitze. Er fragte nun seine ganse Umgcbcnhcit, wer
denn dieser fremde First sein thätc, der eben mit seiner Ge-
mahlin tanzte. Aber alle gaben ihm nur durch Kobfschitteln
ihre Unwissenheit zu erkennen.
„Nun, so werde ich ihn selbst einmal nach seinen Namen
und Wohnort und so weiter fragen," sagte der Keiscr wie der
Tanz geendigt war und ging gleich auf den Fremdling los, der sich
eben von die Frau Kaiserin mit Bicklingc entfernte. — „Wer
ist Er? Wie heißt Er? Wo ist Er her?" fragte ihn nun Karl
der Große, denn er war so wie Friedrich der Große auch ein
Bischen sehr grade zu oder — wie man cs in die bürgerlichtcn
Verhcltuissc nennt — er war ziemlich grob. Der Fremdling wurde
noch schamrcdlichcr als vorhin, wie ihn die Frau Keiferin zu sich
berufen that und wollte mit eine rasche Fuß-
bcwegung die Saalthirc erlangen, um fortzu-
cndschlibfeu. Aber ach, dort standen zwei Man»
von die keiscrlichen Gardesoldaten Wache und
faßten den Flichtling sofort bei sein Genicke.
Man brachte ihn zu den Keifer und dort warf
er sich sogleich zu dessen Fisse auf die scinigcn
nieder und rief: „Gnade, Gnade! Haben Eure
kciserlichte Majcstcht Erbärmlichkeit mit mir
und lassen Sie mich untcrthäuigst hinaus-
schmeißcn, denn ich gehöre eichcutlicht gar nicht
in diese vornehme hochwohlgcborene Gesell-
schaft." Da kam er nun aber bei Karl den
. Großen sehr schlecht au, denn dieser runzelte
Iciuc Augen hin und her und rollte die Stirne
gans furchtbar; dann fragte er ihn mit seine
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Donncrwcttcrlöwenstimme: „Wie heißt Er?" — „Ich heiße
Bcrgner." — „Von Bcrgner?" schrie ihn dcrKeiser weiter an.
— „Ach nein gans gemeinhin schlechtweg Berguer," sagte der
zitternde Mensch. — „Nun, so holt mir den Scharfrichter
her," brillte Karl der Große, „damit er hier dem Mosjeh
Gemeinhin Schlechtweg Bcrgner den Kobs abschlagen soll." —
Voll Angst und Zaghaftigkeit stand die hohe Gesellschaft rings-
herum, aber Keiner wagte kein Wort nicht zu sbrechen, denn
sie wußten schon, daß der Kciser gar nicht mit sich sbasscn
ließe. Bcrgner aber konnte nur noch mit weinerlicher Stimmung
die Worte hervorbringcn: „Machen sich Eure Majcstcht keine
unnitzliche Mihe nicht und schicken Sie Niemand fort, denn
ich bin selbst der Herr Scharfrichter Bcrgner aus Sachsen-
Hausen." Wie dies die anwesende Gesellschaft hörte, fielen alle
Damens gleich in Ohnmacht hin auf den Tanzboden und die
Herren Firsten griffen voll Wuth und Schmach an ihre
Schwerter. Aber Karl der Große verbat sich vor der Hand
noch alle Handgreiflichkeiten.
„So köbfe er sich also selber auf der Stelle hier vor
unsere Augen als Belohnung für Seine großariigte Unver-
schämtheit," schrie Karl der Große. — „Verzeihen Sic gütigst,
aber das kann ich nicht, so etwas kann nur ein Andrer Einen
thun," schluchzte Bcrgner. — „Zst denn aber kein anderer
Scharfrichter in der Nähe!" rief dcrKeiser. — „Nein," sagte
Bcrgner, „ich habe das allergnädigst konzcssjohnirte allciuigte
Bricfilcgium für Frankfurt, Sachscuhauscn und die ganse Um-
gegend. — Da legte der Kciser den Finger an seine Nase und
nach einiger Bedenklichkeit sagte er: „Weiß Er was? Unter diese
obwaltende Umständlichkeiten will ich einmal Gnade für Recht auS-
iben und Zhn zum Wohlc der Seine Dienste bedürftige Mensch-
heit das Leben schenken. — Aber meine Frau Gemahlin wäre
doch auf ihre ganse Lebenszeit bcschimbfirt und verunreinlicht,
wenn so ein ordinährer Kobfscharfrichtcr mit ihr Bolka getanzt
hätte. Ich ziehe deßhalb Kraft meines Amtes und nach dem
alten Landrechtc Baarcgraf Viertausend und zwölfe mein Schwert
und schlage Ihn hiermit zum Ritter. Von wegen Seiner Schel-
merei soll er kinftighin Schelm von Berguer heiße». —
Und nun mache Er, daß Er sortkommt!"
(Fortsetzung folgt.)
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Augen verschämt nieder aus den Boden und mischte sich rasch
unter einen Trubs Herzögcr, die grade iu die Nähe dabeistandcn.
Wie der schöne Mann nach einer kleinen Weile wieder
an der Frau Keiferin vorbeikam, da hemmhemmte sie aber-
maligt und ließ sogar ein unverkennbares bst! bst! dabei erschallen.
Wenn nun jetzt wieder der Unbekannte nichts hätte nicht merken
wollen, so müßte er dennoch ein Esel oder ein flcgclhaftiger
Mensch gewesen sein. Dieses Beides war er aber von keiner
Seite auch nur im Geringsten gar nicht, sondern er trat chr-
sürchterlich mit einen tiefen Kratzbickling näher zu die Frau Keiferin.
„Sind Sie schon zu die nächste Bolka vcrankaschirt?"
fragte sic ihn mit lächelnder Hcrabgelassenhcit.
„Nein, Eure Durchlaucht," crwicdcrtc darauf der schöne
Fremdling, wobei er vor Ucberraschung roth bis hinter die
Halsbinde werden that.
„Nun, alsdann möchte ich wohl das Vergingen haben,"
sagte die Frau Keiferin auf das Huldsclligstc.
„Gans auf meiner Seite," sagte der schöne Mann; dann
drehte er sich herum, machte ein Zeichen hinauf zu den Musikan-
ten auf das Ohrkcstcr und rief: „Bolka! Los, vorwärts munter!"
Und nun ging der Tanz los, daß es eine wirkliche
Götterlustigkcit war. Alle Anwesende staunten das schöne Baar
an, welches als ein Muster von die Tanzkunst gelten konnte.
Auch die Herren Firsten auö dem Sbielzimmer waren hcreiu-
gckommcn in den Tanzsal, Herr Karl der Große vorneweg
an die Sbitze. Er fragte nun seine ganse Umgcbcnhcit, wer
denn dieser fremde First sein thätc, der eben mit seiner Ge-
mahlin tanzte. Aber alle gaben ihm nur durch Kobfschitteln
ihre Unwissenheit zu erkennen.
„Nun, so werde ich ihn selbst einmal nach seinen Namen
und Wohnort und so weiter fragen," sagte der Keiscr wie der
Tanz geendigt war und ging gleich auf den Fremdling los, der sich
eben von die Frau Kaiserin mit Bicklingc entfernte. — „Wer
ist Er? Wie heißt Er? Wo ist Er her?" fragte ihn nun Karl
der Große, denn er war so wie Friedrich der Große auch ein
Bischen sehr grade zu oder — wie man cs in die bürgerlichtcn
Verhcltuissc nennt — er war ziemlich grob. Der Fremdling wurde
noch schamrcdlichcr als vorhin, wie ihn die Frau Keiferin zu sich
berufen that und wollte mit eine rasche Fuß-
bcwegung die Saalthirc erlangen, um fortzu-
cndschlibfeu. Aber ach, dort standen zwei Man»
von die keiscrlichen Gardesoldaten Wache und
faßten den Flichtling sofort bei sein Genicke.
Man brachte ihn zu den Keifer und dort warf
er sich sogleich zu dessen Fisse auf die scinigcn
nieder und rief: „Gnade, Gnade! Haben Eure
kciserlichte Majcstcht Erbärmlichkeit mit mir
und lassen Sie mich untcrthäuigst hinaus-
schmeißcn, denn ich gehöre eichcutlicht gar nicht
in diese vornehme hochwohlgcborene Gesell-
schaft." Da kam er nun aber bei Karl den
. Großen sehr schlecht au, denn dieser runzelte
Iciuc Augen hin und her und rollte die Stirne
gans furchtbar; dann fragte er ihn mit seine
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Donncrwcttcrlöwenstimme: „Wie heißt Er?" — „Ich heiße
Bcrgner." — „Von Bcrgner?" schrie ihn dcrKeiser weiter an.
— „Ach nein gans gemeinhin schlechtweg Berguer," sagte der
zitternde Mensch. — „Nun, so holt mir den Scharfrichter
her," brillte Karl der Große, „damit er hier dem Mosjeh
Gemeinhin Schlechtweg Bcrgner den Kobs abschlagen soll." —
Voll Angst und Zaghaftigkeit stand die hohe Gesellschaft rings-
herum, aber Keiner wagte kein Wort nicht zu sbrechen, denn
sie wußten schon, daß der Kciser gar nicht mit sich sbasscn
ließe. Bcrgner aber konnte nur noch mit weinerlicher Stimmung
die Worte hervorbringcn: „Machen sich Eure Majcstcht keine
unnitzliche Mihe nicht und schicken Sie Niemand fort, denn
ich bin selbst der Herr Scharfrichter Bcrgner aus Sachsen-
Hausen." Wie dies die anwesende Gesellschaft hörte, fielen alle
Damens gleich in Ohnmacht hin auf den Tanzboden und die
Herren Firsten griffen voll Wuth und Schmach an ihre
Schwerter. Aber Karl der Große verbat sich vor der Hand
noch alle Handgreiflichkeiten.
„So köbfe er sich also selber auf der Stelle hier vor
unsere Augen als Belohnung für Seine großariigte Unver-
schämtheit," schrie Karl der Große. — „Verzeihen Sic gütigst,
aber das kann ich nicht, so etwas kann nur ein Andrer Einen
thun," schluchzte Bcrgner. — „Zst denn aber kein anderer
Scharfrichter in der Nähe!" rief dcrKeiser. — „Nein," sagte
Bcrgner, „ich habe das allergnädigst konzcssjohnirte allciuigte
Bricfilcgium für Frankfurt, Sachscuhauscn und die ganse Um-
gegend. — Da legte der Kciser den Finger an seine Nase und
nach einiger Bedenklichkeit sagte er: „Weiß Er was? Unter diese
obwaltende Umständlichkeiten will ich einmal Gnade für Recht auS-
iben und Zhn zum Wohlc der Seine Dienste bedürftige Mensch-
heit das Leben schenken. — Aber meine Frau Gemahlin wäre
doch auf ihre ganse Lebenszeit bcschimbfirt und verunreinlicht,
wenn so ein ordinährer Kobfscharfrichtcr mit ihr Bolka getanzt
hätte. Ich ziehe deßhalb Kraft meines Amtes und nach dem
alten Landrechtc Baarcgraf Viertausend und zwölfe mein Schwert
und schlage Ihn hiermit zum Ritter. Von wegen Seiner Schel-
merei soll er kinftighin Schelm von Berguer heiße». —
Und nun mache Er, daß Er sortkommt!"
(Fortsetzung folgt.)
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Herrn Grafs Rheinreisetagebuch"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 33.1860, Nr. 795, S. 99
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Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg