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Herrn Grass Rhcinreisetagcbuch.
Weine so glickte, auch mißte in die Bolitik zu machen gehen. Er
wollte also auch diese erst am Stocke gans faul werden taffen,
i damit dann die Ernte desto besser würde. Aber damit hatte
er sich doch getcischt, denn wie endlich in die Bolitik Alles
gänslich faul geworden war, da schlug die Sache auf ein
Mal um, bekam eine Gährung — und der ganse bolitische
Matsch war verdorben. Woraus man also sieht, daß sich cichcnt-
lich blos der Wein am Stock groß ziehen läßt, aber nur keine
Bolitik und keine Bildung nicht.
Da die Naturerscheinung mit die wackelnde Umgegend
»och gar nicht aufhörcn wollte, so beschlossen wir uns, das
Ende davon unter einen nußbäumlichtcn Schatten abzuwartcn,
wo wir bald cinschlicfen.
Nach unser endliches Erwachen eilten wir, daß wir wieder
hinunter an den Rhein kamen, wo wir noch in Geißcnheim
und Rüdcsheim heute unsere Erfahrungen bereichern wollten,
um dann ungestört das Dambfschiff wieder besteigen zu können.
Geißcnheim und Rüdesheim sind zwei sehr nette srcindlichc
Städte und man ist zweifelhaft, welcher von beiden Sorten
man soll den Vorzug geben, da sic alle zwei beide am Wohl-
geschmäcke wetteifern.
Für den Naturfreind wird freilich Rüdesheim stets einen
größer» Reiz haben, weil cö gar so malerisch dalicgt, daß
man sich .ordentlich wchmithig verstimmt sihlt, zumal wenn
man durch die alte Ruine Bremscrburg eine Wanderung macht.
An diese alte Burgruine knibft sich nämlich eine sehr traurige
Sage aus den längst vergangenen Rittcrzciten, die man nicht
ohne innerlichte Schauderhaftigkeit kann anhörcn.
Vor viele Hunderte von Jahren lebte nämlich einmal
hier in dieses verfallene Schloß ein Ritter, Namens Bremser.
Er war nicht nur ein reicher Weinbcrgsbesitzcr, sondern auch
Wittwer, wodurch er in den Stand gesetzt wurde, gans nach
seinen Belieben zu leben. Er hatte bloS eine kleine Tochter
von zehn Jahren, welches ihn aber nicht weiter bekimmcrre,
da er sich für das kleine Giscliachen eine französische Guwer-
nante angeschafft hatte.
i Wie man aus alle diesen hcrausschcn kann, so war dies
für den Ritter Bremser ein ziemlich langweiliges Leben und
er sehnte sich ein Mal nach eine ordentliche Abwechslung. Da
klobftc es eines Morgens an seine Thürc, Bremser ries:
Herein! — und cs nahte sich Bremsers Nachbar, der Ritter
Müller aus Geißcnheim.
„Guten Morgen, Ritter Bremser," sagte der Ritter Müller,
! „wie geht cs Dir?"
„Ich danke, Ritter Müller, langweilig," sagte der Ritter
Bremser und gähnte dabei.
„Nun, da könnte Dir grade jetzt geholfen werden, wenn
Du mitmachen willst," sagte der Ritter Müller.
„So? Wohin soll cs denn gehen?" fragte Ritter Brem-
ser gesbannt.
„Ich kann mich gar nicht mehr vor die Frankfurter
Wcchsclreitcr bcschitzen, die den gansen lieben langen Tag mein
Schloß bcstirmen," sagte der Ritter Müller, „und deshalb will ich
ein Bischen auf den nächsten Kreizzug mitmachen gegen die
Tirkenhunde. Ich denke mir, daß dieses Etwas cinbringen kann."
Da besann sich der Ritter Bremser von Rüdesheim nicht
lange, sondern sagte: „Weißt Du was, Ritter Müller, ich
mache mit, daß man doch wenigstens ein Mal ein Bischen
Abwechslung in dieses langwciligte Leben hat."
Und so war cs auch. Ritter Bremser sagte der französi-
schen Guwernantc, daß sie sollte sein Giscliachen hibsch beauf-
sichtigen und ihr wenigstens ordentlich lesen, schreiben und das
kleine Einmaleins richtig lernen, weil der Ritter Bremser
nach die damalige Mode von diesen Sachen selbst gar nichts
nicht verstehen that. Dann nahm er Abschied und seinen Reise-
sack und auf die nächste Bost bestellten sich Ritter Bremser
von Rüdesheim und Ritter Müller von Geißcnheim zwei
Blätze nach das Tirkcnhnndcland, welches die damaligen Krciz-
fahrer für das halbe Geld bekamen, wie heutzutage bei uns
die Soldaten auf der -Eisenbahn.
Bremser und Müller kamen nun auch bei die Unglcibigcn
an und kaum waren sie aus der Bostkutsche, so ging auch
schon ihre Tabferkcit los, so daß sie jeden Tag viele tausend
Tirkenhunde niedermctzeltcn.
Aber mit das Kricgsglück ist cs grade wie mit das
Lottcrieglück — cs dreht sich auch einmal auf die andere
Seite herum und so war es auch mit unsre beiden Ritter.
Müller kam in tirkische Gefangenschaft und wurde als Sklave
nach Afrika oder Amerika verkauft, wo man nie hat wieder
Etwas von ihm gehört. Bremser schlug sich erst wohl an zwei
oder drei Jahre firchtcrlich tabfcr herum, aber einmal über-
fielen sie ihn bei Nacht und machten auch einen Gefangenen
aus ihn. Ein Glück war es noch für Bremsern, daß sie ihn
nicht auch als Sklaven verkauften, sondern aber er mußte bei
die Tirken gans gemeine Hausknechtsarbeit verrichten, Stieseln
wichsen, Pferde butzen, die Gasse kehren und was sonst noch
für andere solche Gemeinheiten sind.
Da dachte nun freilich Ritter Bremser oft mit einen
Seifzcr: „Ach, da war cs aus meiner langweiligtcn Burg
in Rüdesheim doch besser, oh, oh, wäre ich nur wieder dort!"
!
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Herrn Grass Rhcinreisetagcbuch.
Weine so glickte, auch mißte in die Bolitik zu machen gehen. Er
wollte also auch diese erst am Stocke gans faul werden taffen,
i damit dann die Ernte desto besser würde. Aber damit hatte
er sich doch getcischt, denn wie endlich in die Bolitik Alles
gänslich faul geworden war, da schlug die Sache auf ein
Mal um, bekam eine Gährung — und der ganse bolitische
Matsch war verdorben. Woraus man also sieht, daß sich cichcnt-
lich blos der Wein am Stock groß ziehen läßt, aber nur keine
Bolitik und keine Bildung nicht.
Da die Naturerscheinung mit die wackelnde Umgegend
»och gar nicht aufhörcn wollte, so beschlossen wir uns, das
Ende davon unter einen nußbäumlichtcn Schatten abzuwartcn,
wo wir bald cinschlicfen.
Nach unser endliches Erwachen eilten wir, daß wir wieder
hinunter an den Rhein kamen, wo wir noch in Geißcnheim
und Rüdcsheim heute unsere Erfahrungen bereichern wollten,
um dann ungestört das Dambfschiff wieder besteigen zu können.
Geißcnheim und Rüdesheim sind zwei sehr nette srcindlichc
Städte und man ist zweifelhaft, welcher von beiden Sorten
man soll den Vorzug geben, da sic alle zwei beide am Wohl-
geschmäcke wetteifern.
Für den Naturfreind wird freilich Rüdesheim stets einen
größer» Reiz haben, weil cö gar so malerisch dalicgt, daß
man sich .ordentlich wchmithig verstimmt sihlt, zumal wenn
man durch die alte Ruine Bremscrburg eine Wanderung macht.
An diese alte Burgruine knibft sich nämlich eine sehr traurige
Sage aus den längst vergangenen Rittcrzciten, die man nicht
ohne innerlichte Schauderhaftigkeit kann anhörcn.
Vor viele Hunderte von Jahren lebte nämlich einmal
hier in dieses verfallene Schloß ein Ritter, Namens Bremser.
Er war nicht nur ein reicher Weinbcrgsbesitzcr, sondern auch
Wittwer, wodurch er in den Stand gesetzt wurde, gans nach
seinen Belieben zu leben. Er hatte bloS eine kleine Tochter
von zehn Jahren, welches ihn aber nicht weiter bekimmcrre,
da er sich für das kleine Giscliachen eine französische Guwer-
nante angeschafft hatte.
i Wie man aus alle diesen hcrausschcn kann, so war dies
für den Ritter Bremser ein ziemlich langweiliges Leben und
er sehnte sich ein Mal nach eine ordentliche Abwechslung. Da
klobftc es eines Morgens an seine Thürc, Bremser ries:
Herein! — und cs nahte sich Bremsers Nachbar, der Ritter
Müller aus Geißcnheim.
„Guten Morgen, Ritter Bremser," sagte der Ritter Müller,
! „wie geht cs Dir?"
„Ich danke, Ritter Müller, langweilig," sagte der Ritter
Bremser und gähnte dabei.
„Nun, da könnte Dir grade jetzt geholfen werden, wenn
Du mitmachen willst," sagte der Ritter Müller.
„So? Wohin soll cs denn gehen?" fragte Ritter Brem-
ser gesbannt.
„Ich kann mich gar nicht mehr vor die Frankfurter
Wcchsclreitcr bcschitzen, die den gansen lieben langen Tag mein
Schloß bcstirmen," sagte der Ritter Müller, „und deshalb will ich
ein Bischen auf den nächsten Kreizzug mitmachen gegen die
Tirkenhunde. Ich denke mir, daß dieses Etwas cinbringen kann."
Da besann sich der Ritter Bremser von Rüdesheim nicht
lange, sondern sagte: „Weißt Du was, Ritter Müller, ich
mache mit, daß man doch wenigstens ein Mal ein Bischen
Abwechslung in dieses langwciligte Leben hat."
Und so war cs auch. Ritter Bremser sagte der französi-
schen Guwernantc, daß sie sollte sein Giscliachen hibsch beauf-
sichtigen und ihr wenigstens ordentlich lesen, schreiben und das
kleine Einmaleins richtig lernen, weil der Ritter Bremser
nach die damalige Mode von diesen Sachen selbst gar nichts
nicht verstehen that. Dann nahm er Abschied und seinen Reise-
sack und auf die nächste Bost bestellten sich Ritter Bremser
von Rüdesheim und Ritter Müller von Geißcnheim zwei
Blätze nach das Tirkcnhnndcland, welches die damaligen Krciz-
fahrer für das halbe Geld bekamen, wie heutzutage bei uns
die Soldaten auf der -Eisenbahn.
Bremser und Müller kamen nun auch bei die Unglcibigcn
an und kaum waren sie aus der Bostkutsche, so ging auch
schon ihre Tabferkcit los, so daß sie jeden Tag viele tausend
Tirkenhunde niedermctzeltcn.
Aber mit das Kricgsglück ist cs grade wie mit das
Lottcrieglück — cs dreht sich auch einmal auf die andere
Seite herum und so war es auch mit unsre beiden Ritter.
Müller kam in tirkische Gefangenschaft und wurde als Sklave
nach Afrika oder Amerika verkauft, wo man nie hat wieder
Etwas von ihm gehört. Bremser schlug sich erst wohl an zwei
oder drei Jahre firchtcrlich tabfcr herum, aber einmal über-
fielen sie ihn bei Nacht und machten auch einen Gefangenen
aus ihn. Ein Glück war es noch für Bremsern, daß sie ihn
nicht auch als Sklaven verkauften, sondern aber er mußte bei
die Tirken gans gemeine Hausknechtsarbeit verrichten, Stieseln
wichsen, Pferde butzen, die Gasse kehren und was sonst noch
für andere solche Gemeinheiten sind.
Da dachte nun freilich Ritter Bremser oft mit einen
Seifzcr: „Ach, da war cs aus meiner langweiligtcn Burg
in Rüdesheim doch besser, oh, oh, wäre ich nur wieder dort!"
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Herrn Grafs Rheinreisetagebuch"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 33.1860, Nr. 802, S. 155
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg