Der Streithanns.
Trauer herrschte hier in Volders. Viele hatten wir !
verloren, Margaretha war das thencrstc Leben, das uns >
geraubt wurde. ■
Wir bestatteten sie im Kreuzgange unseres Klosters,
rings um sie herum die anderen Gefallenen.
Die Marmortafel mit der Inschrift gibt die Stelle !
an, wo die theure Verblichene ruht. —
Den Streithanns litt es nicht lange im Kloster. Er !
nahm Abschied von uns und zog wieder zum Landsturm ab.
Er lebte von da an ein viclbewegtes Leben. Gefangen saß
auch er in Mantua, doch, glücklicher als Hofer, wurde er
wieder frei gegeben und kehrte heim nach Mitterhall. Doch
nimmer baute er daö verbrannte Haus seiner Eltern auf;
ihn trieb es in die Ferne. Auf den Fluten des Inns und
der Donau, im Schwarzwald und hinab. den Rhein bis
Holland trieb er Handel mit tyrolischen Produkten; er ging
nach Amerika — und nirgends fand er Ruhe. Margaretha !
war sein Alles gewesen, sein wilder Sinn war ruhig durch
sie geworden, von ihr hatte er seines Lebens Glück gehofft
— umsonst! eS sollte ihm nicht zu Theil werden, was er
ersehnt! — —
Und eines Tages, es sind nun fünfzehn Jahre — da
stand er wieder vor mir und sprach: „Prior, Wolfgang,
nehmt mich auf zu Euch! An ihrem Grabe ist's mir am
leichtesten! Der Welt Hab' ich entsagt, Hab' ein wildes Leben
geführt — nun aber wird's so ruhig in mir — ich tauge
schon zu Euch!"
Mit Freuden empfing ich ihn in meinen Freundesarmen,
ertheilte ihm das Ordenökleid, nannte ihn — Bruder An-
dreas und seit fünfzehn Jahren ist er Pförtner unseres
Klosters!" —
So endigte der Prior seine Erzählung.
August und ich waren tief ergriffen und sahen den
Pförtner an. Der Greis saß sinnend da und sein langer,
weißer Bart wallte von gesenktem Haupte herab zum Gürtel,
an dem die Hände gefaltet lagen.
„Bruder Andreas," sagte mit weicher Stimme der
Prior, indem er aufstand, zum Pförtner schritt und ihm
die Hand freundlich auf den Scheitel legte, „zürnst Du mir,
daß ich unseren jungen Gästen diese Geschichte erzählt?"
„Wie sollt' ich zürnen, Wolfgang," sagte Andreas, „ich
danke Dir dafür! Mein ganzes Leben hast Du mir heute
wieder vor die Seele geführt und wohl mir, daß ich sagen
kann: ich bin ein besserer Mensch geworden, als ich einst-
mals war!"
Und stumm umarmten sich die beiden Greise. —
Mit dieser Gruppe laß mich Abschied nehmen von
Dir, lieber Hörer oder Leser! Ich wollte aus meinen
Erinnerungen von Volders für heute nur diese eine Episode
herausheben, die Geschichte des Streithanns. Von unserm
weiteren Aufenthalte im Kloster, namentlich aber vom Pater
Onufrius will ich Dir vielleicht ein andermal erzählen.
Die Anzahl der Andächtigen.
Ein neuer Pfarrer war gekommen.
Als der die erste Predigt hielt,
Da war — die Neugier trieb die Leut' —
Die Kirche, wie noch nie, gefüllt.
Das schmeichelte dem jungen Pfarrer;
Noch andern Tages dachte er:
„Ich möcht' doch wissen, wie viel Tausend
Mir gestern schenkten ihr Gehör!"
„Gern' möchte ich's nach Hause schreiben;
Die Mutter, ach, wenn die's erfährt,
Wie wird die Gute es erfreuen,
Daß mir so Viele zngehört!"
„Mir macht's, die Anzahl ansznfinden,"
So meint er, „keine große Last,
Ich brauch' zu fragen nur, wie viele
Andächtige die Kirche faßt."
Und weil ein Mütterchen sich eben
Entgegen ihm des Weges trug,
D'rum grüßt' er freundlich, wie's die Sitte,
Worauf er dann die Alte frug:
„So sagt mir doch, wie viele Menschen
Wohl d'rüben in die Kirche gch'n!"
Das Mütterchen, das ihn nicht kannte,
Vermeint' ganz recht ihn zu versteh'».
„Ja," sprach's, „beim alten Pfarrer waren's
Nur wen'ge, und bci'm neuen, mein!
Wenn dieser nächstens wieder predigt,
Dann, glaub' ich, geht kein Mensch hinein!"
L. M.
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Trauer herrschte hier in Volders. Viele hatten wir !
verloren, Margaretha war das thencrstc Leben, das uns >
geraubt wurde. ■
Wir bestatteten sie im Kreuzgange unseres Klosters,
rings um sie herum die anderen Gefallenen.
Die Marmortafel mit der Inschrift gibt die Stelle !
an, wo die theure Verblichene ruht. —
Den Streithanns litt es nicht lange im Kloster. Er !
nahm Abschied von uns und zog wieder zum Landsturm ab.
Er lebte von da an ein viclbewegtes Leben. Gefangen saß
auch er in Mantua, doch, glücklicher als Hofer, wurde er
wieder frei gegeben und kehrte heim nach Mitterhall. Doch
nimmer baute er daö verbrannte Haus seiner Eltern auf;
ihn trieb es in die Ferne. Auf den Fluten des Inns und
der Donau, im Schwarzwald und hinab. den Rhein bis
Holland trieb er Handel mit tyrolischen Produkten; er ging
nach Amerika — und nirgends fand er Ruhe. Margaretha !
war sein Alles gewesen, sein wilder Sinn war ruhig durch
sie geworden, von ihr hatte er seines Lebens Glück gehofft
— umsonst! eS sollte ihm nicht zu Theil werden, was er
ersehnt! — —
Und eines Tages, es sind nun fünfzehn Jahre — da
stand er wieder vor mir und sprach: „Prior, Wolfgang,
nehmt mich auf zu Euch! An ihrem Grabe ist's mir am
leichtesten! Der Welt Hab' ich entsagt, Hab' ein wildes Leben
geführt — nun aber wird's so ruhig in mir — ich tauge
schon zu Euch!"
Mit Freuden empfing ich ihn in meinen Freundesarmen,
ertheilte ihm das Ordenökleid, nannte ihn — Bruder An-
dreas und seit fünfzehn Jahren ist er Pförtner unseres
Klosters!" —
So endigte der Prior seine Erzählung.
August und ich waren tief ergriffen und sahen den
Pförtner an. Der Greis saß sinnend da und sein langer,
weißer Bart wallte von gesenktem Haupte herab zum Gürtel,
an dem die Hände gefaltet lagen.
„Bruder Andreas," sagte mit weicher Stimme der
Prior, indem er aufstand, zum Pförtner schritt und ihm
die Hand freundlich auf den Scheitel legte, „zürnst Du mir,
daß ich unseren jungen Gästen diese Geschichte erzählt?"
„Wie sollt' ich zürnen, Wolfgang," sagte Andreas, „ich
danke Dir dafür! Mein ganzes Leben hast Du mir heute
wieder vor die Seele geführt und wohl mir, daß ich sagen
kann: ich bin ein besserer Mensch geworden, als ich einst-
mals war!"
Und stumm umarmten sich die beiden Greise. —
Mit dieser Gruppe laß mich Abschied nehmen von
Dir, lieber Hörer oder Leser! Ich wollte aus meinen
Erinnerungen von Volders für heute nur diese eine Episode
herausheben, die Geschichte des Streithanns. Von unserm
weiteren Aufenthalte im Kloster, namentlich aber vom Pater
Onufrius will ich Dir vielleicht ein andermal erzählen.
Die Anzahl der Andächtigen.
Ein neuer Pfarrer war gekommen.
Als der die erste Predigt hielt,
Da war — die Neugier trieb die Leut' —
Die Kirche, wie noch nie, gefüllt.
Das schmeichelte dem jungen Pfarrer;
Noch andern Tages dachte er:
„Ich möcht' doch wissen, wie viel Tausend
Mir gestern schenkten ihr Gehör!"
„Gern' möchte ich's nach Hause schreiben;
Die Mutter, ach, wenn die's erfährt,
Wie wird die Gute es erfreuen,
Daß mir so Viele zngehört!"
„Mir macht's, die Anzahl ansznfinden,"
So meint er, „keine große Last,
Ich brauch' zu fragen nur, wie viele
Andächtige die Kirche faßt."
Und weil ein Mütterchen sich eben
Entgegen ihm des Weges trug,
D'rum grüßt' er freundlich, wie's die Sitte,
Worauf er dann die Alte frug:
„So sagt mir doch, wie viele Menschen
Wohl d'rüben in die Kirche gch'n!"
Das Mütterchen, das ihn nicht kannte,
Vermeint' ganz recht ihn zu versteh'».
„Ja," sprach's, „beim alten Pfarrer waren's
Nur wen'ge, und bci'm neuen, mein!
Wenn dieser nächstens wieder predigt,
Dann, glaub' ich, geht kein Mensch hinein!"
L. M.
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Die Anzahl der Andächtigen"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 40.1864, Nr. 978, S. 107
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg