Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
130

Ein ästhetisch

sammlung in großer Spannung. Lcvi Guckmaicr putzte seinen
Nasenguctschcr, jeden Augenblick bereit, die kommenden Ereig-
nisse zu überschauen.

Die Gräfin ließ sich auf einen Stuhl nieder, um ein
wenig auszuruhen; sic blieb aber sorgfältig in ihren Mantel
gehüllt, wie ein Mönch in seine Kutte. Es war ein trüber
Winternachmittag und cs begann zu dunkeln. Sehnsüchtig
schaute die Gräfin nach den hohen schmalen Fenstern, ob der
Abend noch nicht anbräche. Wie Wellington einst an dem
heißen Tage von Belle-Alliance, so seufzte jetzt dies wackere
Soldatcnhcrz mehr als Ein Mal: „Ich wollte, cs wäre

Abend, oder Blücher käme!" Dabei schweifte ihr Blick
fortwährend nach der Thür hinüber, und es war klar, daß
sie Jemanden mit Ungeduld erwarte. In der That mußte
auch die erschöpfte Heldin frische Verstärkungen erhalten,
wenn sic nicht erliegen sollte.

Ihr natürlicher Bundesgenosse, Alfred -v. Haidebnsch,
überließ sic ihrem Schicksale. Durch das spaßhafte Auftreten
der Mutter in seinem aristokratischen Stolze gekränkt und
durch den Gang der Verhandlung aller Hoffnung beraubt,
starrte er in dumpfer Verzweiflung vor sich hin.

Ein großer Uebclstand für die . Sache der Gräfin war
es, daß der Balletmeister, unter dessen Direktion sic getanzt,
das Zeitliche bereits gesegnet hatte. Er wäre der einzige
compctcnte Richter über ihre ehemaligen Leistungen gewesen
und hätte ihr das Prädikat einer „Künstlerin" crtheilen
können, ohne daß die Gegenpartei gegründete Einsprache
dagegen zu erheben vermocht hätte.

Wendelin Jmmcrsclig benutzte den günstigen Zeitpunkt
der nun wirklich eingetretenen Dämmerung, um sich nach
einem Winkel zu begeben und seinen gesunkenen Lebens-
geistern durch einige Tropfen Arak zu Hilfe zu kommen,
den er stets in einem kleinen Fläschchen bei sich trug. Die
Gräfin hatte ihm einen neuen Anzug aus dem Nachlasse
des verstorbenen Grafen geschenkt, und Wendelin ihn dadurch
redlich verdienen wollen, daß er sich für die Künstlerschaft
der Gräfin eifrig verwendete. Da ihm dies mißglückt war,
so suchte er nun die mahnende Stimme seines Gewissens zu
betäuben. So wurde dieser geniale Mann aus reiner Mo-
ralität znm Trinken verleitet.

Man machte eine kurze Panse. Ein Diener zündete
die Gasflammen an.

V.

Ein wohlthuendcs Licht ergoß sich in den geräumigen
Saal. Lebhafter blitzten jetzt die Augen der Gräfin aus der
Kapuze hervor; sie leuchteten wie die dunklen Sterne einer
jungen spanischen Nonne. War es vielleicht darum, weil sie
sich aus alter Gewohnheit im Lampenlichte als in ihrem
eigentlichen Elemente fühlten?

„Aber Blücher — Blücher! Wo bleibt er nur, der
treue Ritter?" seufzte der weibliche Wellington, der seine
Stellung immer unhaltbarer werden sah.

Die Verhandlung wurde wieder ausgenommen und die
Gräfin machte jetzt wohl nur einen Scheinangriff, um den Feind

er Gerichtshof.

zu beschäftigen, bis Blücher anmarschirt käme. — „Meine
Herren!" hob sie an; „im gewöhnlichen Leben wird der
Stand eines Menschen oft nach seinen Einkünften abgcschätzt.
Wenn Sie nun etwa diesen Maßstab an meine Verhältnisse
als Tänzerin anlegen wollten, so würde ich damals einen
etwas höheren Rang wie ein Gcrichtsrath eingenommen haben,
denn ich bezog mehr Gage als ein solcher Gehalt. Ich stand
ungefähr in dem Range eines Gerichtspräsidenten."

„Rach dieser Theorie nähme ich noch nicht einmal den
Rang eines Ofenheizers ein!" brummte Levi Guckmaicr mit
seiner verbissensten Miene vor sich hin.

Herr v. Hohlfeld und seine beiden College» senkten die
Augenlider. Jener suchte in Eile wieder einmal die Blöße
seines Vordcrkopfes zu bedecken. Bei dieser Manipulation
kam ihm ein guter Gedanke und er rief mit niederdonncrndcr
Hoheit: „Niemals können irdische Güter gegen geistige Besitz-
thümer, z. B. gegen die Jurisprudenz, abgewogen werden.
Ich finde es daher ganz unstatthaft, meine Dame, daß sich
eine Tänzerin mit Gelehrten und hohen Staatsbeamten ver-
gleicht. Selbst für Abschätzung der bürgerlichen Rangstufe,
die Jemand einnimnrt, ist durchaus nicht sein Jahreseinkommen
maßgebend."

Levi Guckmaicr empfand in diesem Augenblicke eine
versöhnliche Regung für seinen Chef. Er dankte ihm im
Stillen dafür, daß er die Jünger der Wissenschaft gegen die
Ucberhebung der Geldmenschen in Schutz nahm.

„Ich will auch durchaus kein Gewicht auf diese Art
der Abschätzung legen," versetzte die Gräfin ruhig; „aber wie
man von den napoleonischen Soldaten sagte, daß jeder den
Marschallsstab im Tornister trüge, so kann man auch von
einer Künstlerin, rcsp. Tänzerin sagen, daß sie stets die An-
wartschaft auf Equipage, gallonirte Diener, Kaschmir-Shawlö,
türkische Teppiche u. s. w. habe. Beide, sie und der napo-
lconischc Soldat, müssen nur gerade umgekehrt manöveriren,
um ihre höchste Bestimmung zu erreichen. Dieser muß wacker
vorwärts dringen; jene erwirbt sich die genannten Herrlich-
keiten nur durch weises Zögern und sprödes Zurückhalten."

Hier unterbrach sich die Gräfin und warf einen Blick
nach der Thür, die sich eben öffnete. Ein Freudestrahl ver-
klärte ihr Gesicht.

Herein trat ein noch rüstiger Greis mit langem Silber-
haar und grauem Barte. In der Hand trug er einen läng-
lich flachen Kasten. Er schritt auf die Gräfin zu und begrüßte
sie mit der lächelnden Güte eines Vaters. Sie wollte ihm
in freudiger Erregung die Hand entgegen strecken — man
sah schon die Bewegung ihres Armes unterm Mantel; aber
schnell besann sie sich eines Anderen und hielt die Hand zurück,
ohne den Mantel gelüftet zu haben.

„Meine Herren," begann sie mit einer Stimme, in
welcher ein Ton versteckten Jubels zitterte; „ich stelle Ihnen
hier meinen Freund Blücher vor, den alten, prächtigen Zeit-
genossen jener Epoche, in welcher ich als Tänzerin die größten
Triumphe feierte. Eigentlich heißt dies würdige, jetzt pcn-
sionirte Mitglied der Theatcrkapcllc Blühcr; aber es wäre
Bildbeschreibung
Für diese Seite sind hier keine Informationen vorhanden.

Spalte temporär ausblenden
 
Annotationen