Die schlimme Grcth.
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„Hier meine Hand darauf."
„Sa, nun ist es gut. Sehen Sie her!"
! Mit diesen Warten langte der Förster ein kleines
Schlüsselchen herunter, das an der Seite des Uhrkastens hing,
öffnete diesen und trat dann rasch zur Seite, um den Aktuar
' bequem hineinsehen zu lassen. Kaum hatte dieser einen Blick
in denselben geworfen, als er vall Bestürzung zurücktrat und
ausricsi „Was, zum Teufel, soll denn das bedeuten?"
Es war das aber eine überflüssige Frage; denn die Ant-
wort, das sah der Alte wohl, hatte er sich schon selbst gegeben.
Was er da hinter dem Perpendikel sah, waren zwei Zöpfe
von wunderbarer Länge und Fülle, zwei Zöpfe vom reinsten,
glänzendsten Blond, mit einem Wort, es waren zwei Zöpfe,
wie nur Ein Mensch sie hatte, nämlich die Grcth.
„Was das bedeuten soll?" sprach langsam der Alte,
indem er den Perpendikel auf einen Augenblick zur Ruhe
brachte und die Zöpfe herausnahm. „Was das bedeuten
; soll? Ei, das werden Sie wohl selbst wissen. Wem werden
denn diese Zöpfe gehören, he?"
„Nun freilich, es sind die Zöpfe der Greth, das sehe
ich wohl. Jedermann kennt sie, und cs giebt keine zweiten
von der Art. Aber sagen Sie mir, um Gottes Willen, was
ist denn der Greth eingefallen, daß sie sich ihre Zöpfe abge-
schnitten hat, die doch ihre Hauptschönheit ausmachten?"
„Ei, die Schönheit ist ja doch nicht das Höchste an
einem Mädchen," sagte der Förster. „Uebrigens abgeschnitten !
hvt die Greth ihre Zöpfe nicht, sondern vor einigen Jahren,
wie die böse Seuche hierherum war, so bekam die Grcth sic
auch, und da ging ihr das ganze Haar heraus, und ist ihr
das lange Haar seitdem auch nicht mehr gewachsen, sondern
nur so niedriges Buschwerk bekam sie, daß sic's gerade noch
unter die Haube streichen kann. Und da ist sie nun auf den
Gedanken gekommen, ihre schönen, langen Haare, die sie auf-
gehoben hatte, an die Haube anzumachen, damit man ihren
Manco nicht sehe und sie auslache. Denn sie hat gar viele
Feinde, die Greth, die sich darob gefreut hätten. Und daß
sie das that, war auch nichts Unrechtes. Denn es bleiben
ja doch immer ihre Haare; ob sie nun gerade am Kopf an-
gewachsen sind oder nicht, das inacht am Ende nichts ans."
„Ei, das Donnerwetter!" fuhr der Schreiber auf, „das
macht wohl etwas aus, für sie vielleicht nicht, aber für
ihren künftigen Mann. Verborgen kann die Geschichte ja
doch nicht für immer bleiben, und da wird sich einer wohl
dafür bedanken, mit einer Frau hernmzulaufen, der die
Zöpfe nur so am Kopfe angepappt sind. Denn der brauchte
für Spott nicht zu sorgen."
„Sie meinen also?" sprach der Förster, indem er die >
Zöpfe wieder in den Kasten cinschloß.
„Ja, ich meine," versetzte der Aktuar, nun ziemlich
grob, da er nicht mehr für nöthig hielt, höflich zu sein, „ich
meine, daß die Greth vorher wieder ihre rechten Zöpfe
haben muß, ehe ein solider Mann darauf denken kann, sie
zur Frau zu nehmen. Thut mir also leid. Adieu!"
„Adieu, Adieu, Adieu!" rief der Alte nach, „thut mir
auch sehr leid, daß ich nicht die Ehre haben kann, Ihr
Schwiegervater zu werden."
„Der wäre abgefertigt," sprach er dann bei sich und
rieb vergnügt die Hände, setzte aber dann giftig hinzu: j
„Meine arme Greth so zu verachten, nur wegen der elenden
Zöpfe, meine Greth, von der ein einziges Haar, und wäre es |
noch so kurz, schon viel zu gut ist für so einen Schreiber!"
Dann rief er der Greth, die während der Verhandlung
oben in ihrer Kammer streng confignirt war, theilte ihr das
Vorgefallene mit, und sie half ihm herzlich über den abge-
fahrenen Schreiber lachen.
Und der Schreiber war nicht der Letzte, über den sie
lachten. Es kamen nach ihm noch verschiedene Freier: Schrei-
ber, Oekonomen, Forstleute, und selbst ein Mitglied des hohen
Militärstandes, ein Lieutenant, der binnen der nächsten zwanzig
Jahre Oberlieutenant zu werden hoffte. Sie alle kamen
mit heißer Lieb und bereit, für die Greth durch's Feuer zu
gehen, aber alle erlagen dem schrecklichen Geheimniß des Uhr-
kastens. Und wer mochte sie tadeln? Konnte sich jemand
die Grcth decken ohne die flatternden Zöpfe? Die Greth
war der Wald, und die Zöpfe waren die Greth. Sie ge-
hörten zu ihr wie der Schweif zum Kometen.
Wie war's denn nun aber der Greth dabei zu Muthe,
>var sie denn eine Männerfeindin? O nein, sie war ja ein
ächtes Kind der Natur, und die liebe Natur erzeugt nur
gesunde Empfindungen, keine unnatürlichen Stimmungen, keinen
thörichten Haß gegen das, ivas man zu lieben bestimmt ist.
Oder lag es an den Bewerbern? Auch nicht. Es waren
einige recht nette Leute darunter, von denen einer oder der
andere der Greth schon hätte gefallen mögen. Nein, der
Grund, warum die Grcth sich freute, so oft der Uhrkasten
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„Hier meine Hand darauf."
„Sa, nun ist es gut. Sehen Sie her!"
! Mit diesen Warten langte der Förster ein kleines
Schlüsselchen herunter, das an der Seite des Uhrkastens hing,
öffnete diesen und trat dann rasch zur Seite, um den Aktuar
' bequem hineinsehen zu lassen. Kaum hatte dieser einen Blick
in denselben geworfen, als er vall Bestürzung zurücktrat und
ausricsi „Was, zum Teufel, soll denn das bedeuten?"
Es war das aber eine überflüssige Frage; denn die Ant-
wort, das sah der Alte wohl, hatte er sich schon selbst gegeben.
Was er da hinter dem Perpendikel sah, waren zwei Zöpfe
von wunderbarer Länge und Fülle, zwei Zöpfe vom reinsten,
glänzendsten Blond, mit einem Wort, es waren zwei Zöpfe,
wie nur Ein Mensch sie hatte, nämlich die Grcth.
„Was das bedeuten soll?" sprach langsam der Alte,
indem er den Perpendikel auf einen Augenblick zur Ruhe
brachte und die Zöpfe herausnahm. „Was das bedeuten
; soll? Ei, das werden Sie wohl selbst wissen. Wem werden
denn diese Zöpfe gehören, he?"
„Nun freilich, es sind die Zöpfe der Greth, das sehe
ich wohl. Jedermann kennt sie, und cs giebt keine zweiten
von der Art. Aber sagen Sie mir, um Gottes Willen, was
ist denn der Greth eingefallen, daß sie sich ihre Zöpfe abge-
schnitten hat, die doch ihre Hauptschönheit ausmachten?"
„Ei, die Schönheit ist ja doch nicht das Höchste an
einem Mädchen," sagte der Förster. „Uebrigens abgeschnitten !
hvt die Greth ihre Zöpfe nicht, sondern vor einigen Jahren,
wie die böse Seuche hierherum war, so bekam die Grcth sic
auch, und da ging ihr das ganze Haar heraus, und ist ihr
das lange Haar seitdem auch nicht mehr gewachsen, sondern
nur so niedriges Buschwerk bekam sie, daß sic's gerade noch
unter die Haube streichen kann. Und da ist sie nun auf den
Gedanken gekommen, ihre schönen, langen Haare, die sie auf-
gehoben hatte, an die Haube anzumachen, damit man ihren
Manco nicht sehe und sie auslache. Denn sie hat gar viele
Feinde, die Greth, die sich darob gefreut hätten. Und daß
sie das that, war auch nichts Unrechtes. Denn es bleiben
ja doch immer ihre Haare; ob sie nun gerade am Kopf an-
gewachsen sind oder nicht, das inacht am Ende nichts ans."
„Ei, das Donnerwetter!" fuhr der Schreiber auf, „das
macht wohl etwas aus, für sie vielleicht nicht, aber für
ihren künftigen Mann. Verborgen kann die Geschichte ja
doch nicht für immer bleiben, und da wird sich einer wohl
dafür bedanken, mit einer Frau hernmzulaufen, der die
Zöpfe nur so am Kopfe angepappt sind. Denn der brauchte
für Spott nicht zu sorgen."
„Sie meinen also?" sprach der Förster, indem er die >
Zöpfe wieder in den Kasten cinschloß.
„Ja, ich meine," versetzte der Aktuar, nun ziemlich
grob, da er nicht mehr für nöthig hielt, höflich zu sein, „ich
meine, daß die Greth vorher wieder ihre rechten Zöpfe
haben muß, ehe ein solider Mann darauf denken kann, sie
zur Frau zu nehmen. Thut mir also leid. Adieu!"
„Adieu, Adieu, Adieu!" rief der Alte nach, „thut mir
auch sehr leid, daß ich nicht die Ehre haben kann, Ihr
Schwiegervater zu werden."
„Der wäre abgefertigt," sprach er dann bei sich und
rieb vergnügt die Hände, setzte aber dann giftig hinzu: j
„Meine arme Greth so zu verachten, nur wegen der elenden
Zöpfe, meine Greth, von der ein einziges Haar, und wäre es |
noch so kurz, schon viel zu gut ist für so einen Schreiber!"
Dann rief er der Greth, die während der Verhandlung
oben in ihrer Kammer streng confignirt war, theilte ihr das
Vorgefallene mit, und sie half ihm herzlich über den abge-
fahrenen Schreiber lachen.
Und der Schreiber war nicht der Letzte, über den sie
lachten. Es kamen nach ihm noch verschiedene Freier: Schrei-
ber, Oekonomen, Forstleute, und selbst ein Mitglied des hohen
Militärstandes, ein Lieutenant, der binnen der nächsten zwanzig
Jahre Oberlieutenant zu werden hoffte. Sie alle kamen
mit heißer Lieb und bereit, für die Greth durch's Feuer zu
gehen, aber alle erlagen dem schrecklichen Geheimniß des Uhr-
kastens. Und wer mochte sie tadeln? Konnte sich jemand
die Grcth decken ohne die flatternden Zöpfe? Die Greth
war der Wald, und die Zöpfe waren die Greth. Sie ge-
hörten zu ihr wie der Schweif zum Kometen.
Wie war's denn nun aber der Greth dabei zu Muthe,
>var sie denn eine Männerfeindin? O nein, sie war ja ein
ächtes Kind der Natur, und die liebe Natur erzeugt nur
gesunde Empfindungen, keine unnatürlichen Stimmungen, keinen
thörichten Haß gegen das, ivas man zu lieben bestimmt ist.
Oder lag es an den Bewerbern? Auch nicht. Es waren
einige recht nette Leute darunter, von denen einer oder der
andere der Greth schon hätte gefallen mögen. Nein, der
Grund, warum die Grcth sich freute, so oft der Uhrkasten
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Die schlimme Greth"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 44.1866, Nr. 1070, S. 11
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg