Wohlthun t
Er entfernte sich unter wiederholten Bethenernngen der
glühendsten Dankbarkeit.
Die geschilderte Scene Iviederholte sich im Laufe von
drei Monaten ein halb Dutzendmal und immer mit demselben
Pekuniären Erfolg für meinen Nachbar, der ein Geschäft aus
seinem Selbstmord machen zu wollen schien. Das schöne
Bewußtsein, einem Menschen das Leben gerettet zu haben,
kostete mich bis jetzt schon über 150 Gulden.
Mein „Geretteter" begann mir unbequem zu werden.
Eines Abends erwartete er mich bis zwei Uhr Morgens
in meinem Zimmer. Ich kam in der besten Laune von der
Welt nach Hause.
„Ich habe Ihnen eine Eröffnung zu machen, mein
Wohlthätcr!" rief er mir entgegen.
Ich hatte an der Abendbörse ein vorzügliches Geschäft
gemacht und war daher, wie gesagt, in einer Laune, wie sie
sich ein Bittsteller nicht besser ivünschen kann. Ich bot ihm
Cigarren an und hieß ihn Platz nehmen.
„Sprechen Sie", sagte ich.
„Man hat mir eine vorzügliche Stelle mit 1000 fl.
jährlichem Gehalt angeboten. Aber ich brauche dazu 500 fl.,
’ die ich als Caution erlegen muß. Die Cantion ist gesichert,
wollen Sie dieselben für mich erlegen?"
Ich dachte zögernd einen Augenblick nach.
„Endlich ist mir das Glück einmal so hold, wie es
j vielleicht nie wieder sein wird. Schlägt mir auch diese
Hoffnung fehl, dann bleibt mir nichts übrig, als mich zu
| erschießen."
Als guter Kaufmann berechnete ich, wie viel Procent
ich gewinne, wenn mein Schützling eine gute Stelle be-
käme und meiner nicht mehr bedürfe, und ich erlegte die
Caution.
rügt Zinscn. 171
Drei Tage später verlor ich seine Nachbarschaft und
auch seine Besuche wurden immer seltener.
Nach etwa einem Jahre besuchte er mich eines Morgens \
im ceremonielleu schwarzen Frack mit weißer Halsbinde.
„Ich komme, Sie zu meiner Hochzeit zu laden. Ich j
heirathe die Tochter eines Weinhändlers, und übernehme dessen
Geschäft. Ich muß Sie als meinen Wohlthätcr, meinen >
zlveiten Vater vorstellen."
Zugleich theilte er mir mit, seine Caution von 600 fl.
sei durch die Schwindeleien seines früheren Chefs, der nach
Amerika entflohen, in Verlust gerathen.
Ich hatte Tags zuvor einen Ausflug über Land mit
einigen intimen Freunden besprochen; aber was konnte ich i
thnn? Ich ließ absagen. Ein Wagen stand unten bereit, ich
fuhr mit dem Bräutigam zum Notar, und in die verschieden-
sten Lüden, um Einkäufe zu machen. Ich mußte das Braut-
kleid seiner Frau wählen, mit einem Worte, ich war acht
Tage hindurch fürchterlich geplagt.
Am Hochzeitstage wurde ich jedem einzelnen Gaste vor-
gestellt, wie ein Thier in der Menagerie, das heißt mit der
fürchterlichen Wiederholung meiner Großmuth und Wohl-
thätigkeit.
Ich überließ das junge Ehepaar den Genüssen seines
Honigmondes, der kaum noch zu Ende war, als mich mein
Plagegeist eines Tages anfsuchte.
„Denken Sie sich" , sagte er, „gestern gehe ich mit
meiner Rosalie spazieren, da tritt ihr ein unverschämter
Bengel auf den Fuß, ich sage ihm ganz höflich: Mein Herr,
Sic sind ein Bengel. Er gibt mir mit derselben Höflichkeit
eine ungeheure Ohrfeige. Meine Rosalie fällt in Ohnmacht,
— ich falle auch in Ohnmacht, der Fremde wirft mir seine
Karte zu und ruft: „Gcnngthnung, mein Herr! Morgen
5 Uhr hole ich Sie ab"; Sie sind mein Retter, mein einziger,
mein bester Freund, nur Sie können mein Sekundant sein."
Rosaliens Gatte erhielt einen ungefährlichen Degenstich.
Die Polizei hatte von der Affaire Kunde erhallen. Ich :
wurde als Zeuge zu vierzehn Tagen Arrest verurtheilt.
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Er entfernte sich unter wiederholten Bethenernngen der
glühendsten Dankbarkeit.
Die geschilderte Scene Iviederholte sich im Laufe von
drei Monaten ein halb Dutzendmal und immer mit demselben
Pekuniären Erfolg für meinen Nachbar, der ein Geschäft aus
seinem Selbstmord machen zu wollen schien. Das schöne
Bewußtsein, einem Menschen das Leben gerettet zu haben,
kostete mich bis jetzt schon über 150 Gulden.
Mein „Geretteter" begann mir unbequem zu werden.
Eines Abends erwartete er mich bis zwei Uhr Morgens
in meinem Zimmer. Ich kam in der besten Laune von der
Welt nach Hause.
„Ich habe Ihnen eine Eröffnung zu machen, mein
Wohlthätcr!" rief er mir entgegen.
Ich hatte an der Abendbörse ein vorzügliches Geschäft
gemacht und war daher, wie gesagt, in einer Laune, wie sie
sich ein Bittsteller nicht besser ivünschen kann. Ich bot ihm
Cigarren an und hieß ihn Platz nehmen.
„Sprechen Sie", sagte ich.
„Man hat mir eine vorzügliche Stelle mit 1000 fl.
jährlichem Gehalt angeboten. Aber ich brauche dazu 500 fl.,
’ die ich als Caution erlegen muß. Die Cantion ist gesichert,
wollen Sie dieselben für mich erlegen?"
Ich dachte zögernd einen Augenblick nach.
„Endlich ist mir das Glück einmal so hold, wie es
j vielleicht nie wieder sein wird. Schlägt mir auch diese
Hoffnung fehl, dann bleibt mir nichts übrig, als mich zu
| erschießen."
Als guter Kaufmann berechnete ich, wie viel Procent
ich gewinne, wenn mein Schützling eine gute Stelle be-
käme und meiner nicht mehr bedürfe, und ich erlegte die
Caution.
rügt Zinscn. 171
Drei Tage später verlor ich seine Nachbarschaft und
auch seine Besuche wurden immer seltener.
Nach etwa einem Jahre besuchte er mich eines Morgens \
im ceremonielleu schwarzen Frack mit weißer Halsbinde.
„Ich komme, Sie zu meiner Hochzeit zu laden. Ich j
heirathe die Tochter eines Weinhändlers, und übernehme dessen
Geschäft. Ich muß Sie als meinen Wohlthätcr, meinen >
zlveiten Vater vorstellen."
Zugleich theilte er mir mit, seine Caution von 600 fl.
sei durch die Schwindeleien seines früheren Chefs, der nach
Amerika entflohen, in Verlust gerathen.
Ich hatte Tags zuvor einen Ausflug über Land mit
einigen intimen Freunden besprochen; aber was konnte ich i
thnn? Ich ließ absagen. Ein Wagen stand unten bereit, ich
fuhr mit dem Bräutigam zum Notar, und in die verschieden-
sten Lüden, um Einkäufe zu machen. Ich mußte das Braut-
kleid seiner Frau wählen, mit einem Worte, ich war acht
Tage hindurch fürchterlich geplagt.
Am Hochzeitstage wurde ich jedem einzelnen Gaste vor-
gestellt, wie ein Thier in der Menagerie, das heißt mit der
fürchterlichen Wiederholung meiner Großmuth und Wohl-
thätigkeit.
Ich überließ das junge Ehepaar den Genüssen seines
Honigmondes, der kaum noch zu Ende war, als mich mein
Plagegeist eines Tages anfsuchte.
„Denken Sie sich" , sagte er, „gestern gehe ich mit
meiner Rosalie spazieren, da tritt ihr ein unverschämter
Bengel auf den Fuß, ich sage ihm ganz höflich: Mein Herr,
Sic sind ein Bengel. Er gibt mir mit derselben Höflichkeit
eine ungeheure Ohrfeige. Meine Rosalie fällt in Ohnmacht,
— ich falle auch in Ohnmacht, der Fremde wirft mir seine
Karte zu und ruft: „Gcnngthnung, mein Herr! Morgen
5 Uhr hole ich Sie ab"; Sie sind mein Retter, mein einziger,
mein bester Freund, nur Sie können mein Sekundant sein."
Rosaliens Gatte erhielt einen ungefährlichen Degenstich.
Die Polizei hatte von der Affaire Kunde erhallen. Ich :
wurde als Zeuge zu vierzehn Tagen Arrest verurtheilt.
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Wohlthun trägt Zinsen"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 44.1866, Nr. 1090, S. 171
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg