Marie ein; allein ihr Erscheinen, wenn auch von Gntheim
sehnlichst erwartet, brachte durchans keinen wohlthätigen Ein-
druck bei ihm hervor. Sie war noch in ihrem nicht wohl-
klcidenden Morgenanzug, sie trug noch die mit fatal breitem
Strich versehene Morgenhaube, unter der das Haar hin und
wieder sehr unmalerisch hervorsah, außerdem hatte sie eine
grobe, bereits nicht mehr ganz reine Küchcnschürze vorgcbun-
dcn. Gutheim starrte die ideale Hausfrau etwas verwundert
an; dann trat daö Bild Louisens vor seine Seele nnd ein
leiser Seufzer stahl sich von seinen Lippen.
„Wie hat Dir das Essen geschmeckt, Gntheim?" — mit
dieser Frage nahm Marie ihm gegenüber Platz.
„Gut," sagte dieser kurz.
„Mehr nicht als gut?" fuhr Marie fort, „eö muß vor-
züglich sein. Wisse, wenn wir gute Freunde bleiben wollen,
mußt Du mir mein Essen stets loben, nnd nicht so kurz, nicht
■ mit Einem Wort — daö kann ich nicht leiden."
Gntheim schwieg.
„Die Suppe muß ausnehmend gnt sein," begann Marie
wieder, indem sic den Löffel eintauchte. „Die meisten Hans-
fr aucn wissen keine Snppcn zuzubcreitcn, allein ich verstehe
dieses aus dem Grunde. Es ist nicht so leicht, Gutheim,
wie Du vielleicht glaubst," und nun begann sie mit großer
j Geläufigkeit ihm die Zubereitungöarten aller möglichen Suppen
| auseinandcrzusetzen. Gutheim aß zwar eine gute Suppe recht
; gern, allein cs war ihm schrecklich, eine halbe Stunde lang
j in alle Mysterien der Kunst, eine solche zu bereiten, ein-
gewciht zu werden. Aber wie steigerte sich sein Unmuth, als
er auch noch, während Marie Gemüse und Braten aß, ihren
i gründlichen Auseinandersetzungen über die beste Zubereitung
! von Gemüsen und Braten ein offenes Ohr leihe» mußte.
Zuletzt hörte und sah er nichts mehr; cs war ihm manchmal,
als sei er verzaubert; er kam sich vor, als stecke er in einem
weiblichen Küchenkleid, habe einen Rührlöffel und einen Brat-
spieß in den Händen und befinde sich am Feucrhccrd und
mache Alles verkehrt, stecke den Bratspieß in die Suppe und
j den Löffel in den Braten. Er athmete hoch auf, als Marie
sich entfernte, um den Kaffee zu besorgen.
Nach einer halben Stunde, während Gntheim, um sich
j zu zerstreuen, die Todesanzeigen in der Landeszeitnng las,
brachte Marie eigenhändig den Kaffee.
„Wie findest Du den Kaffee?" fragte Marie mit wich-
tiger Miene, als Gntheim den ersten Schluck gekostet hatte.
„Gut," sagte dieser trocken.
„Er ist ganz vorzüglich," meinte Marie, und nun be-
gann sie wieder eine Vorlesung über die besten Kasfeesorten,
Art des Brennens und der Zubereitung zu halten, bis cnd-
j sich Gutheim verzweifelnd aufsprang und erklärte, daß es
, ihm so heiß sei, daß er unmöglich die zweite Tasse trinken
könne und Marien ciulnd, mit hinaus in den Garten zu gehen,
um ein wenig frische Luft zu schöpfen.
Marie erklärte aber, daß sie in der Küche noch Man-
ches zu thun habe und erst gegen Abend ein wenig mit ihm
spazieren gehen werde.
43
Es war Gutheim nicht unlieb, daß sie seine Einladung
eben ausschlug.; cs drängte ihn, allein zu sein. Er wandelte
im Garten zwischen den blühenden Rosenstöcken hin, und in
Gedanken war ihm, als wandte Louise neben ihm, an seinem
Arme hängend, mit ihm scherzend und plaudernd, wie sie
jeden Nachmittag mit ihm gethan hatte. Er mußte sich die
Frage verlegen, welche der beiden Schwestern er wählen
würde, wenn ihm Freiheit der Wahl zustünde und schon neigte
sich die Schale merklich auf die Seite Louisens.
Die Stunden von zwei bis fünf Uhr brachte er auf
dem Amthause zu. Als er heimkehrte, hoffte er, Marien zu
einem Spaziergange bereit zu finden, aber wie erschrack er,
als ihm daö Hausmädchen kichernd zuflüstcrte, Madame seien
noch immer in der Küche und hätten Alles drunter und
drüber geworfen.
Gntheim begab sich schnell in sein Arbeitszimmer, um
! nichts mehr von der leidigen Küche hören zu müssen; gleich
darauf erschien aber daö Hausmädchen wieder und brachte
einen Gruß von Madame, und der Herr Schwager möchten
doch einmal zu ihr in die Küche kommen. Seufzend stieg
er die Treppe hinab. Als er in die Küche kam, sagte Marie,
die immer noch im Morgenklcide war:
„Brav, daß Du kommst, lieber Schwager — Du sollst
mir helfe», die Küche anderst zu ordnen; eö ist keine Symmetrie
in dieser Art der Aufstellung. Ziehe einstweilen die Nägel !
ftUg — ich will Dir nachher angcbcn, wo Du dieselben ein- j
schlagen sollst."
Praktisch und Ideal.
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sehnlichst erwartet, brachte durchans keinen wohlthätigen Ein-
druck bei ihm hervor. Sie war noch in ihrem nicht wohl-
klcidenden Morgenanzug, sie trug noch die mit fatal breitem
Strich versehene Morgenhaube, unter der das Haar hin und
wieder sehr unmalerisch hervorsah, außerdem hatte sie eine
grobe, bereits nicht mehr ganz reine Küchcnschürze vorgcbun-
dcn. Gutheim starrte die ideale Hausfrau etwas verwundert
an; dann trat daö Bild Louisens vor seine Seele nnd ein
leiser Seufzer stahl sich von seinen Lippen.
„Wie hat Dir das Essen geschmeckt, Gntheim?" — mit
dieser Frage nahm Marie ihm gegenüber Platz.
„Gut," sagte dieser kurz.
„Mehr nicht als gut?" fuhr Marie fort, „eö muß vor-
züglich sein. Wisse, wenn wir gute Freunde bleiben wollen,
mußt Du mir mein Essen stets loben, nnd nicht so kurz, nicht
■ mit Einem Wort — daö kann ich nicht leiden."
Gntheim schwieg.
„Die Suppe muß ausnehmend gnt sein," begann Marie
wieder, indem sic den Löffel eintauchte. „Die meisten Hans-
fr aucn wissen keine Snppcn zuzubcreitcn, allein ich verstehe
dieses aus dem Grunde. Es ist nicht so leicht, Gutheim,
wie Du vielleicht glaubst," und nun begann sie mit großer
j Geläufigkeit ihm die Zubereitungöarten aller möglichen Suppen
| auseinandcrzusetzen. Gutheim aß zwar eine gute Suppe recht
; gern, allein cs war ihm schrecklich, eine halbe Stunde lang
j in alle Mysterien der Kunst, eine solche zu bereiten, ein-
gewciht zu werden. Aber wie steigerte sich sein Unmuth, als
er auch noch, während Marie Gemüse und Braten aß, ihren
i gründlichen Auseinandersetzungen über die beste Zubereitung
! von Gemüsen und Braten ein offenes Ohr leihe» mußte.
Zuletzt hörte und sah er nichts mehr; cs war ihm manchmal,
als sei er verzaubert; er kam sich vor, als stecke er in einem
weiblichen Küchenkleid, habe einen Rührlöffel und einen Brat-
spieß in den Händen und befinde sich am Feucrhccrd und
mache Alles verkehrt, stecke den Bratspieß in die Suppe und
j den Löffel in den Braten. Er athmete hoch auf, als Marie
sich entfernte, um den Kaffee zu besorgen.
Nach einer halben Stunde, während Gntheim, um sich
j zu zerstreuen, die Todesanzeigen in der Landeszeitnng las,
brachte Marie eigenhändig den Kaffee.
„Wie findest Du den Kaffee?" fragte Marie mit wich-
tiger Miene, als Gntheim den ersten Schluck gekostet hatte.
„Gut," sagte dieser trocken.
„Er ist ganz vorzüglich," meinte Marie, und nun be-
gann sie wieder eine Vorlesung über die besten Kasfeesorten,
Art des Brennens und der Zubereitung zu halten, bis cnd-
j sich Gutheim verzweifelnd aufsprang und erklärte, daß es
, ihm so heiß sei, daß er unmöglich die zweite Tasse trinken
könne und Marien ciulnd, mit hinaus in den Garten zu gehen,
um ein wenig frische Luft zu schöpfen.
Marie erklärte aber, daß sie in der Küche noch Man-
ches zu thun habe und erst gegen Abend ein wenig mit ihm
spazieren gehen werde.
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Es war Gutheim nicht unlieb, daß sie seine Einladung
eben ausschlug.; cs drängte ihn, allein zu sein. Er wandelte
im Garten zwischen den blühenden Rosenstöcken hin, und in
Gedanken war ihm, als wandte Louise neben ihm, an seinem
Arme hängend, mit ihm scherzend und plaudernd, wie sie
jeden Nachmittag mit ihm gethan hatte. Er mußte sich die
Frage verlegen, welche der beiden Schwestern er wählen
würde, wenn ihm Freiheit der Wahl zustünde und schon neigte
sich die Schale merklich auf die Seite Louisens.
Die Stunden von zwei bis fünf Uhr brachte er auf
dem Amthause zu. Als er heimkehrte, hoffte er, Marien zu
einem Spaziergange bereit zu finden, aber wie erschrack er,
als ihm daö Hausmädchen kichernd zuflüstcrte, Madame seien
noch immer in der Küche und hätten Alles drunter und
drüber geworfen.
Gntheim begab sich schnell in sein Arbeitszimmer, um
! nichts mehr von der leidigen Küche hören zu müssen; gleich
darauf erschien aber daö Hausmädchen wieder und brachte
einen Gruß von Madame, und der Herr Schwager möchten
doch einmal zu ihr in die Küche kommen. Seufzend stieg
er die Treppe hinab. Als er in die Küche kam, sagte Marie,
die immer noch im Morgenklcide war:
„Brav, daß Du kommst, lieber Schwager — Du sollst
mir helfe», die Küche anderst zu ordnen; eö ist keine Symmetrie
in dieser Art der Aufstellung. Ziehe einstweilen die Nägel !
ftUg — ich will Dir nachher angcbcn, wo Du dieselben ein- j
schlagen sollst."
Praktisch und Ideal.
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Praktisch und Ideal"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 48.1868, Nr. 1178, S. 43
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg