Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
82

I.

In einer größeren Stadt des deutschen Landes
lebte vor einigen Jahren ein junger Mann mit Namen
Tibullus Mühlheim.

Tibullus Mühlheim war weder hübsch, noch
geradezu.häßlich, von mittlerer Größe, 28 Jahre
alt und äußerst fidel, wie eben alle junge Welt von
25 —30 Jahren ist, welcher das Leben voll der
schönsten Hoffnungen blüht, und die noch ein Recht
j hat, sich Luftschlösser zu bauen. So lebte auch
unser Held in ungetrübter Jugend, und wenn er
: zurückblickte auf seine Vergangenheit, so mußte er
: sich gestehen, daß ihm eigentlich immer Fortuna
i hold gewesen sei.

Doch was dem Menschen in den Sternen ge-
! schrieben steht, ist für ihn ein tiefes Geheimniß, das
! er nicht zu lüften und zu durchdringen vermag. Er
freut sich oft des gegenwärtigen Augenblicks, da zittert >
der nächste schon gewitterschwer über ihm, das launische Glück
verläßt ihn, verläßt ihn auf lange Zeit; kein Unternehmen
gelingt ihm, überall Unglück, wohin er schaut, und wie ihm
zuvor des Glückes Sonne gelächelt, ebenso arg verfolgt ihn
jetzt das Mißgeschick.

Tibullus bewohnte den dritten Stock eines Hauses in
der Friedrichöstraße. Er lebte kümmerlich von einer kleinen
Rente, die ihm aus seinem elterlichen Vermögen erwuchs,
und gerade zu seinem Lebensunterhalte hinreichte. Daher
kam es denn auch, daß er Schulden machen mußte. Mein
Gott! Ein Garyon von 28 Jahren ohne Schulden!? Der
Leser lächelt selbst bei diesem kühnen Phantastegemälde.

Unter seinen Gläubigern war der hartnäckigste ein
Schneider, der ihn fortwährend drängte und keinen Augen-
blick vorübergehen ließ, ihm recht von Herzen zuzusetzen. Ti-
bullus sollte seinen Schneider bezahlen! Das war ihm für
den Augenblick unmöglich.

Und sein Unglück wollte, daß er diesem Schneider überall
begegnen mußte, wohin er ging. Obwohl er die Straße
mied, in der sich dieser Tyrann aufhielt, und ihm auf alle
mögliche Weise auszuweichen suchte: er sah ihn, wohin er
kam, unverhofft, ganz wie der Erde entstiegen, erschien ihm
die verhaßte Schneiderperson. Ging er in's Cafs — sein
Schneider saß da; im Theater sah er seinen Schneider; es
> war, als ob dieser Mensch überall zugleich sein könnte, nur
um den armen Tibullus zu quälen, dem er ohnedies stets den
Appetit zum Mittagstisch und die Stimmung für den ganzen
Tag verdarb.

Joseph Maria Schlagmann hieß dieser Quälgeist, daS
personifieirte dämonische Prinzip für unseren armen Tibullus.
Dazu war auch sein Aeußeres ganz geschaffen. Eine drohende
finstere Miene, eingefallene Backen, tiefliegende Augen, die
beim Lachen diabolisch glänzten — so starrte er sein Opfer
an und Tibullus konnte ihn nicht befriedigen.

So vergingen Tage und Tage. Da klopfte es eines
Morgens heftig an Mühlheims Thür. Es war die frühste

Stunde und Tibullus lag noch in den Federn. Er hatte
eben von seinem Schneider geträumt. Er ahnte sogleich, daß
er das sein müsse und ihm jetzt, wie eö schien, Morgenvisite
zu machen beabsichtige.

„Wer ist's?" rief Tibullus, nachdem man zum zweiten
Male gepocht hatte.

„Ich bin's," war die Antwort.

„Ha, ich kenne Dich, Schlange, ich weiß wohl, daß Sie
es sind."

„So, hätten Sie mich errathen?"

„Ob ich Dich errieth, alter Schuft. Geh' von meiner
Schwelle sogleich, denn ich öffne Dir nicht, und müßtest Du
Tage lang da stehen bleiben."

„Du weigerst Dich also, mich zu empfangen?"

„Sei zufrieden, unverschämter Eindringling, daß ich Dich
nicht die Treppe hinunterwerfe, daß Du Dir Hals und Beine
brichst, freche Hundeseele!"

Die Stimme gab. keine Antwort mehr und zugleich ver-
nahm Tibullus mit innerer Seelenruhe, daß draußen die
Schritte verhallten. Er donnerte seinem Gegner noch einen
gewaltigen Fluch nach. Die Stimme hatte sich entfernt.

II.

Abends erhielt Tibullus einen Brief von seinem Onkel,
der in der Nähe der Stadt eine große Besitzung hatte und
sehr reich war. Dieser Onkel zeigte ihm an, daß er ihn
enterbt habe wegen seines groben Benehmens von heute
Morgen, indem er es nicht nur nicht der Mühe werth ge-
funden, ihm zu öffnen, sondern ihn sogar auf die gemeinste
Manier von der Thüre gewiesen.

Tibullus, der unglückliche Tibullus, hatte die Stimme
seines Onkels für die seines Schneiders gehalten!

III.

Er reiste nun sogleich ab, um seinem Onkel Aufklär-
ung zu verschaffen und seine Verzeihung zu erwirken.

Während seiner Abwesenheit machten sich seine anderen
Gläubiger von seinem Mobiliar re. bezahlt und als Tibullus
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Wenn man seinen Schneider nicht bezahlt"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Diez, Wilhelm von
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Mann <Motiv>
Besuch
Bett <Motiv>
Stuhl <Motiv>
Missverständnis <Motiv>
Tür <Motiv>
Karikatur
Handgeste
Onkel <Motiv>
Satirische Zeitschrift
Thema/Bildinhalt (normiert)
Rauswurf <Motiv>

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 48.1868, Nr. 1183, S. 82

Beziehungen

Erschließung

Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg
 
Annotationen