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Moralische Experimente.

sohn nahm' sie je zum Weib; was erzählen muss', das werd' er
zahlen, und das and're geh' ihn alles uit an. Ich soll mich
packen und ihn in Ruh' lassen, sonst werd' er mir den Weg
weisen. Verlassen und elend bis zum Tod nahm mich eine alte
und gutherzige Bas' auf, und ihrem Trost und ihren Ermahn-
ungen verdank' ich's allein, daß ich einem finstern Gedanken nicht
nachgab, der mich immer und immer beschlich, so oft ich allein
! war. Was soll ich's verheimlichen, ich hab's ja nicht gethan,
der böse Geist raunte mir in's Ohr, ich sollt' mich mit meinem
! Frünzle in's Wasser stürzen, da wo es so schön blau und tief
j sei, dann wären wir beide im Himmel, und alles Elend vor-
j bei. Wenn ich aber den kleinen Engel anschaute, wie er mich
j mit seinen blauen Augen so unschuldig anlachtc, da vergingen
! alle finsteren und traurigen Gedanken, ich küßte ihn und küßt'

! ihn wieder und rief: Nein, Fränzle, wir wollen leben blei-
j ben, und wenn uns auch Alles verläßt, wir zwei verlassen uns
! nimmer! Sobald ich konnte, mußt' ich natürlich wieder in
Dienst, denn mein' Bas' ist fast so arm wie ich, und da mein
! neuer Platz ziemlich weit weg war, hieß es denn scheiden. Wie
weh das that, ich kann's gar nicht sagen; aber was sein muß,

! das kann der Mensch beim besten Willen nicht ändern! Das
Fränzle blieb bei der Bas', alle Monat höchstens könnt' ich ihn
’ einmal sehen, und so ist denn über ein Jahr vergangen, da
kam man an mich, ob ich keinen Platz in der Stadt annehmen
! wollt'. Ich paßte nun freilich nicht recht für die Stadt, und
! dann mußt' ich auch weit — weit fort von meinem herzigen
Buben, aber wenn ich halt den großen Lohn bedachte, der mir
! zugesichert ward, und wie ich damit die Bas' und mein Fränzle
unterstützen könnt', so überwog das alles, ich nahm schweren
} Abschied — und da bin ich jetzt. Nun wissen Sie Alles, Herr,

! Sie haben's selbst verlangt, und lügen kann ich nicht; bin ich
I Ihnen noch recht, dann will ich ja gern meines Kindes wegen
bleiben, wenn Sic aber ..."

„Es freut mich," unterbrach da Wallner das Mädchen,
„daß Du aufrichtig und willig Deine Geschichte erzähltest; ich
bin ihr mit Interesse gefolgt, und wenn Du mir treu und red-
lich dienst, sollen auch Deine Bas' und das ..."

„Fränzle", ergänzte erröthend Leni.

„Das Fränzle es gut haben! Ueber Eines aber bin ich nicht
ganz klar; sage mir deßhalb noch aufrichtig und frisch von der Le-
ber weg: wie steht's denn mit dem großen ... wie heißt er?"

„Franz!" entgegnete mit zu Boden gesenkten Blicken Leni,
und ein verrätherischcs Roth ergoß sich über ihre Wangen.

„So so? Franz, also auch er?" sprach Wallner gedehnt,
und sein Auge schien sie durchbohren zu wollen.

Nach einer für Leni peinlichen Pause fuhr Wallner fort:
„Also, Franz! ei, und hörtest Du nie mehr von ihm? Er ist
wohl noch im Strafort?"

„Nein!" fiel ihm das Mädchen rasch in das Wort, „so
ein halbes Jahr mag es her sein, daß er entlassen ward und
mich aufsuchte ..." Plötzlich stockte sie, als habe sie unwill-
kürlich zu viel gesagt.

„Und dann?" frug sofort Wallner, um ihr keine Zeit
zu lassen.

„Ja da . . da . ." fuhr Leni sichtlich zögernd fort, „da-
mals, glaub' ich, Hab' ich eigentlich nit ganz recht an ihm ge-
handelt, wie ich es wohl hätte sollen, denn später ..."

„Später ..." trieb Wallner die Zaudernde.

„Ja später, wie er so plötzlich auf und davon ist. Nie-
mand wußte und weiß wohin, hat's mich bitter gereut."

„Also hast Tu ihn wohl noch gern?" forschte Wallner.

„Ach, Herr," erwiederte naiv die Dirne, „es ist eigens
mit der echten Lieb', man bringt sie so nimmer recht aus dem
Herzen, mit dem sie fest zusammengewachsen scheint. Aber wie
er halt gar so verachtet daher kam, und wie er nirgends einen
Dienst bekommen konnte — ich Hab' zwar kein Vorurthcil,
g'wiß nicht, wer seine Straf' abg'sessen hat, ist so ordentlich wie
jeder Andere, doch ein entlassener Sträfling hat nirgends mehr
eine Aussicht, dann die Geschicht' mit dem elenden Vater Frünzle's,
die er zwar nicht wußte, die mir aber 's Herz fast abdrucktc,
und sagen hätt' ich's ihm ja doch müssen . . . und war denn
nicht so eigentlich er die ganze Schuld an meinem Unglück? So
was vergißt sich halt auch nicht so leicht — ach, da that ich
denn, als wollt' ich gar nichts mehr von ihm wissen, und
zornig, denn heißblütig war er von jeher, ist er fort; scildem
Hab' ich ihn nimmer g'sehen, noch je mehr was von ihm g'hört.
Ja," fuhr sic nach einer Weile fort, um de» forschend auf ihr
ruhenden Blicken Wallners auszuweichen, und gleichsam ein Ver-
gnügen daran findend, jetzt, nachdem einmal so recht der An-
fang dazu gemacht war, ihr volles, bedrängtes Herz vor einer
wie ihr schien theilnehmendcu Seele ausschütteu zu können, „ja,
wenn er mein Frünzle nit verstoßen hätt', und das hätt' er
auch gewiß uit gethan, wir Hütten wohl nach Amerika oder sonst
wohin gehen können miteinander, wo sich kein Mensch um uns
bekümmert hätt', und wir wären vielleicht noch recht glücklich
miteinander geworden. Aber damals Hab' ich halt auch nicht
gleich an so was gedacht, und er ist gar so schnell fort, cs
hat wohl so sein sollen!"
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Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Moralische Experimente"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

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Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Watter, Joseph
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Mann <Motiv>
Rauchen <Motiv>
Frauenkleidung
Stube
Gespräch
Liebe
Männerkleidung
Gespräch <Motiv>
Karikatur
Tabakspfeife
Buch <Motiv>
Junge Frau <Motiv>
Sofa <Motiv>
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
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Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 53.1870, Nr. 1316, S. 106

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