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Stimmungsbilder.
zu Jahr ward die Birke kräftiger und die Wurzeln drängten
mächtig und hoben den Stein höher und höher, und jetzt ist
aus dem kleinen Samenkorn ein mächtiger Baum hervorgewnch-
scn, der den Stein hoch empor gedrängt hat, und wenn der
Wind in seinen feinen Zweigen spielt, so flüstert es in ihnen:
„Auf ewig — armseliges Wort im Menschcnmundc."
Heinrich Seidel.
An den 21. Dezember.
Dir sing' ich den Hymnus, du kürzester Tag,
Den der Schöpfer im Zorn sich erdacht haben mag!
Tn Däumling des Jahrs, du verpfuschter Gesell,
Eine Spanne nur hoch ist dein Jammergcstell,
Und schleppst einen nachtschwarzen Mantel dazu,
— Meiner Seel' — der schier dreimal so lang ist als du;
Und doch sei willkommen! Den Bürgern der Erden
Ja rufst du: „Es kann nun nicht finst'rer mehr werden!"
Sie All', die dich schelten, verstehen dich nicht —
Dir schimmert durch's grämliche Angesicht,
1 Durch die graue, verrunzelte, schmutzige Haut
Eine sonnige Welt, von Azur umblaut!
I Komm', lasse dich segnen und bcnedei'n:
Was hinter dir kommt, lassen gern wir herein!
Komm', lass' dich begrüßen aus Hunipen und Bowlen:
Was vor dir war — der Teufel soll's holen!
Denn vor dir war Welken von Blume und Laub,
Am tvonnigcn Licht der alljährliche Raub;
Die Sonne erstarret zu goldenem Eis;
Die Säuger gehetzt von Dach und Reis;
Vom Sturme im Wald, von der Hippe im Feld
Znm Grabe gemäht diese herrliche Welt!
O über das endlose Abschiednehmen!
O über des einsamen Herzens Grämen!
Doch hinter dir kommt der Weihnachtsbaum,
Der ewig grünende Hoffnungstraum —
Und hinter dir kommt das neue Jahr:
Mach's Gott nicht so schlecht wie das alte es war!
Und hinter dir kommt die goldene Zeit,
, Da grünen die Gräber im Lande weit.
Da blühen die Blumen, da steigen die Aehreu,
Da heilen die Wunden, die tiefen, die schweren.
D'rum dir diesen Hymnus, du Däumling vom Jahr,
Des; Licht mir beständig am theuerstcn war!
Langweil'ger Geselle, so komm' denn hervor,
Du bringst mir ja wieder den alten Humor;
„Es kann nun nicht finst'rer mehr werden!" — Juchhei!
D'rauf schmett're ich selig die Lampe entzwei;
! D'rauf grüß' ich dich einsam aus duftender Bowle:
Was vor dir war — daß der Teufel es hole! H. xreimutl.
Feine Mahnung.
Oberkellner: „Wenn Sie, Herr Professor, vielleicht
Ihr Portemonnaie vermissen sollten: hier bei uns im Hotel
haben Sie es nicht herausgezogen."
Hebe rein stimm ung.
Arzt: „Ich kann es Ihnen nicht verhehlen, lieber Mann,
aber Ihre Frau gefällt mir gar nicht mehr." — Mann: „Herr
Doktor, da haben wir einerlei Geschmack."
Stimmungsbilder.
zu Jahr ward die Birke kräftiger und die Wurzeln drängten
mächtig und hoben den Stein höher und höher, und jetzt ist
aus dem kleinen Samenkorn ein mächtiger Baum hervorgewnch-
scn, der den Stein hoch empor gedrängt hat, und wenn der
Wind in seinen feinen Zweigen spielt, so flüstert es in ihnen:
„Auf ewig — armseliges Wort im Menschcnmundc."
Heinrich Seidel.
An den 21. Dezember.
Dir sing' ich den Hymnus, du kürzester Tag,
Den der Schöpfer im Zorn sich erdacht haben mag!
Tn Däumling des Jahrs, du verpfuschter Gesell,
Eine Spanne nur hoch ist dein Jammergcstell,
Und schleppst einen nachtschwarzen Mantel dazu,
— Meiner Seel' — der schier dreimal so lang ist als du;
Und doch sei willkommen! Den Bürgern der Erden
Ja rufst du: „Es kann nun nicht finst'rer mehr werden!"
Sie All', die dich schelten, verstehen dich nicht —
Dir schimmert durch's grämliche Angesicht,
1 Durch die graue, verrunzelte, schmutzige Haut
Eine sonnige Welt, von Azur umblaut!
I Komm', lasse dich segnen und bcnedei'n:
Was hinter dir kommt, lassen gern wir herein!
Komm', lass' dich begrüßen aus Hunipen und Bowlen:
Was vor dir war — der Teufel soll's holen!
Denn vor dir war Welken von Blume und Laub,
Am tvonnigcn Licht der alljährliche Raub;
Die Sonne erstarret zu goldenem Eis;
Die Säuger gehetzt von Dach und Reis;
Vom Sturme im Wald, von der Hippe im Feld
Znm Grabe gemäht diese herrliche Welt!
O über das endlose Abschiednehmen!
O über des einsamen Herzens Grämen!
Doch hinter dir kommt der Weihnachtsbaum,
Der ewig grünende Hoffnungstraum —
Und hinter dir kommt das neue Jahr:
Mach's Gott nicht so schlecht wie das alte es war!
Und hinter dir kommt die goldene Zeit,
, Da grünen die Gräber im Lande weit.
Da blühen die Blumen, da steigen die Aehreu,
Da heilen die Wunden, die tiefen, die schweren.
D'rum dir diesen Hymnus, du Däumling vom Jahr,
Des; Licht mir beständig am theuerstcn war!
Langweil'ger Geselle, so komm' denn hervor,
Du bringst mir ja wieder den alten Humor;
„Es kann nun nicht finst'rer mehr werden!" — Juchhei!
D'rauf schmett're ich selig die Lampe entzwei;
! D'rauf grüß' ich dich einsam aus duftender Bowle:
Was vor dir war — daß der Teufel es hole! H. xreimutl.
Feine Mahnung.
Oberkellner: „Wenn Sie, Herr Professor, vielleicht
Ihr Portemonnaie vermissen sollten: hier bei uns im Hotel
haben Sie es nicht herausgezogen."
Hebe rein stimm ung.
Arzt: „Ich kann es Ihnen nicht verhehlen, lieber Mann,
aber Ihre Frau gefällt mir gar nicht mehr." — Mann: „Herr
Doktor, da haben wir einerlei Geschmack."
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Feine Mahnung" "Uebereinstimmung"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1870
Entstehungsdatum (normiert)
1860 - 1880
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 53.1870, Nr. 1327, S. 196
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg