Fräulein
mit seiner Tochter Besuche und empfing solche. Anfangs ging
das Ding gar nicht übel. Der ländlichen Naivetät Hannens
ward mancher Fehler gegen den guten Ton nachgesehen, ja er
oerlieh sogar ihrem natürlichen Wesen in den Augen der Städter
einen erhöhten Reiz. Nach und nach aber, als Hanne Sitten
und Gebräuche der Gesellschaft zu verstehen begann, wurde das
Mißverhältnis zwischen Hannens Erziehung und ihrer neuen
Umgebung immer bedenklicher.
Wir wollen ein paar Beispiele anführen.
Die Frau Steueramtsdirectorin Plander hatte die neue
Bürgerin vom Lande besonders lieb gewonnen, sie versprach
daher Papa Scheffelberg, daß sie Alles beitragen werde,
seiner Tochter den nöthigen Schliff zu verleihen. Sie nahm
das, freilich widerstrebende Mädchen in ihre Kreise mit. Eben
waren sie bei der Frau Sanitätsräthin gewesen, und als
Frau Plauder dort auf die abwesende Frau Doctorin zu
sprechen kam, ließ sie, so was man sagt, kein gutes Haar an
derselben. Gleich nach diesem Besuche trafen sie die Frau
Doctorin auf der Straße. Aus sie zueilen, sie umarmen und
sie mit ausgesuchten Liebenswürdigkeiten überhäufen, war für
Frau Plauder das Werk einiger Augenblicke.
Hanne war durch diese Erfahrung von der schamlosen
Gesinnungsheuchelei empört. Sie zog entrüstet ihren Arm aus
dem der Frau Plauder und sagte in ihrer ehrlichen Entrüstung:
„Schäme sich die Frau! Erst zerreißen Sie die Frau in kleine
Stückerl, und jetzt in's Gesicht thun Sie wieder, als müßten Sie
sie rein abschlecken! Pfui, ich gehe nie mehr mit Ihnen!
Leben S' wohl!" . . . Und sie eilte nach Hause. —
Ein anderes Mal waren eben wieder Gäste bei Scheffel-
berg erschienen.
„Wo ist denn Hanne, das Fräulein vom Hause?" —
Dirndl. 147
Nirgends zu finden. Man ging in den Garten hinab.
„Hanne! Hannchen!"
„Hier, Vater!"
„Ja, wo denn, hier?"
„Hier, hier oben."
Da saß das Mädchen hoch oben in dem Geäste eines
dichtbelaubten Baumes, an dessen Fuße die beiden kleinen Schuhe
der Kletterkünstlerin lagen.
„Unerhört!" murmelte der Vater, der sich einer gewissen
Beschämung vor seinen Gästen nicht zu entziehen vermochte.
- „Es sind Gäste da, komme herunter, da . . . warte . .
ich bringe die Leiter . .
Hanne aber wartete nicht, sie glitt wie ein Kätzchen vom
Baume herab — worüber wohl nicht die Herren, desto mehr
aber die Frauen entrüstet waren! —
Auf diese Art war es begreiflich, daß Hanne bald den
Spottnamen: „Fräulein Dirndl" bekam.
Man wird es nun erklärlich finden, daß Scheffelberg,
der einmal nichts anderes im Sinne hatte, als seine Tochter
zur Stadtdame heranzuziehen, sich durch die schiefe Richtung,
welche Hanne einschlug, nicht wenig beunruhigt fühlte. Er be-
schloß daher, die Sache anders auzufassen. Vorerst wußte er
Rosel unter einem geschickten Vorivande in die Heimath zurück-
zuschicken, denn mit ihr spann ja Hanne in traurigen Stunden
den Faden der Erinnerung an die Heimath unaufhörlich fort, ja
alle Bemühungen, dem Mädchen den Gebrailch der hochdeutschen
Sprache geläufig zu machen, fielen jedesmal sogleich ab, wenn
eben wieder eine zwanglose Conversation zlvischen Rosel und
Hanne in der lieben Mundart der Heimat stattgefunden hatte.
Mit der Abreise ihrer guten treuen Rosel fühlte sich die
arme Hanne mit einem Male von Allem, was ihr in der Welt
so lieb geworden war, losgerissen. Sie war nun gänzlich ein-
geschüchtert, ihr Humor verblaßte, ihre Liebe zu ihrem Vater
sprach sich nicht mehr so unaufhaltsam aus, wie es bisher so
oft der Fall war, wo sie manchmal, plötzlich überwältigt vom
Drange ihres Herzens, ihren Vater umarmte und herzte, daß
sich der Glückliche nicht mehr zu retten wußte. Nun stand sie
ihm scheu gegenüber; gehorsam befolgte sie seine Anordnungen,
aber ihre frühere Freudigkeit dabei war verloren. Sie hatte eine
Erzieherin bekommen. Sie lernte, was ihr gelehrt wurde, mit
Verständnis; und Fleiß, aber man merkte es zu sehr, daß sie
bei Allem nur ihre Pflicht thun wollte. Besonders die Clavier-
stunden schienen ihr eine- wahre Dornenkrone. Dieses Noten-
lernen erschien ihr unheimlich, es kam ihr vor als würden die
ihr wohlbekannten Töne durch die Striche und Köpfe, die sie
ausdrückten, zu abscheulichen Gespenstern, und das Greifen ans
den Tasten machte ihr den Eindruck, als werde sie selbst zu
einem Mechanismus. Dennoch machte sic leidliche Fortschritte;
aber wenn die Stunde zu Ende war, fühlte sie es wüst im
Kopfe, und von ganzer Seele gerne hätte sie, um sich von dem
drückenden Alp zu befreie», eines ihrer Heimathlieder hinaus-
geschmettert, ' wenn sie eben nicht gewußt hätte, daß sich darüber
die Stirne ihres Vaters sogleich finster und sorgenvoll runzeln
würde. ,_ (Schluß folgt.)
19*
mit seiner Tochter Besuche und empfing solche. Anfangs ging
das Ding gar nicht übel. Der ländlichen Naivetät Hannens
ward mancher Fehler gegen den guten Ton nachgesehen, ja er
oerlieh sogar ihrem natürlichen Wesen in den Augen der Städter
einen erhöhten Reiz. Nach und nach aber, als Hanne Sitten
und Gebräuche der Gesellschaft zu verstehen begann, wurde das
Mißverhältnis zwischen Hannens Erziehung und ihrer neuen
Umgebung immer bedenklicher.
Wir wollen ein paar Beispiele anführen.
Die Frau Steueramtsdirectorin Plander hatte die neue
Bürgerin vom Lande besonders lieb gewonnen, sie versprach
daher Papa Scheffelberg, daß sie Alles beitragen werde,
seiner Tochter den nöthigen Schliff zu verleihen. Sie nahm
das, freilich widerstrebende Mädchen in ihre Kreise mit. Eben
waren sie bei der Frau Sanitätsräthin gewesen, und als
Frau Plauder dort auf die abwesende Frau Doctorin zu
sprechen kam, ließ sie, so was man sagt, kein gutes Haar an
derselben. Gleich nach diesem Besuche trafen sie die Frau
Doctorin auf der Straße. Aus sie zueilen, sie umarmen und
sie mit ausgesuchten Liebenswürdigkeiten überhäufen, war für
Frau Plauder das Werk einiger Augenblicke.
Hanne war durch diese Erfahrung von der schamlosen
Gesinnungsheuchelei empört. Sie zog entrüstet ihren Arm aus
dem der Frau Plauder und sagte in ihrer ehrlichen Entrüstung:
„Schäme sich die Frau! Erst zerreißen Sie die Frau in kleine
Stückerl, und jetzt in's Gesicht thun Sie wieder, als müßten Sie
sie rein abschlecken! Pfui, ich gehe nie mehr mit Ihnen!
Leben S' wohl!" . . . Und sie eilte nach Hause. —
Ein anderes Mal waren eben wieder Gäste bei Scheffel-
berg erschienen.
„Wo ist denn Hanne, das Fräulein vom Hause?" —
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Nirgends zu finden. Man ging in den Garten hinab.
„Hanne! Hannchen!"
„Hier, Vater!"
„Ja, wo denn, hier?"
„Hier, hier oben."
Da saß das Mädchen hoch oben in dem Geäste eines
dichtbelaubten Baumes, an dessen Fuße die beiden kleinen Schuhe
der Kletterkünstlerin lagen.
„Unerhört!" murmelte der Vater, der sich einer gewissen
Beschämung vor seinen Gästen nicht zu entziehen vermochte.
- „Es sind Gäste da, komme herunter, da . . . warte . .
ich bringe die Leiter . .
Hanne aber wartete nicht, sie glitt wie ein Kätzchen vom
Baume herab — worüber wohl nicht die Herren, desto mehr
aber die Frauen entrüstet waren! —
Auf diese Art war es begreiflich, daß Hanne bald den
Spottnamen: „Fräulein Dirndl" bekam.
Man wird es nun erklärlich finden, daß Scheffelberg,
der einmal nichts anderes im Sinne hatte, als seine Tochter
zur Stadtdame heranzuziehen, sich durch die schiefe Richtung,
welche Hanne einschlug, nicht wenig beunruhigt fühlte. Er be-
schloß daher, die Sache anders auzufassen. Vorerst wußte er
Rosel unter einem geschickten Vorivande in die Heimath zurück-
zuschicken, denn mit ihr spann ja Hanne in traurigen Stunden
den Faden der Erinnerung an die Heimath unaufhörlich fort, ja
alle Bemühungen, dem Mädchen den Gebrailch der hochdeutschen
Sprache geläufig zu machen, fielen jedesmal sogleich ab, wenn
eben wieder eine zwanglose Conversation zlvischen Rosel und
Hanne in der lieben Mundart der Heimat stattgefunden hatte.
Mit der Abreise ihrer guten treuen Rosel fühlte sich die
arme Hanne mit einem Male von Allem, was ihr in der Welt
so lieb geworden war, losgerissen. Sie war nun gänzlich ein-
geschüchtert, ihr Humor verblaßte, ihre Liebe zu ihrem Vater
sprach sich nicht mehr so unaufhaltsam aus, wie es bisher so
oft der Fall war, wo sie manchmal, plötzlich überwältigt vom
Drange ihres Herzens, ihren Vater umarmte und herzte, daß
sich der Glückliche nicht mehr zu retten wußte. Nun stand sie
ihm scheu gegenüber; gehorsam befolgte sie seine Anordnungen,
aber ihre frühere Freudigkeit dabei war verloren. Sie hatte eine
Erzieherin bekommen. Sie lernte, was ihr gelehrt wurde, mit
Verständnis; und Fleiß, aber man merkte es zu sehr, daß sie
bei Allem nur ihre Pflicht thun wollte. Besonders die Clavier-
stunden schienen ihr eine- wahre Dornenkrone. Dieses Noten-
lernen erschien ihr unheimlich, es kam ihr vor als würden die
ihr wohlbekannten Töne durch die Striche und Köpfe, die sie
ausdrückten, zu abscheulichen Gespenstern, und das Greifen ans
den Tasten machte ihr den Eindruck, als werde sie selbst zu
einem Mechanismus. Dennoch machte sic leidliche Fortschritte;
aber wenn die Stunde zu Ende war, fühlte sie es wüst im
Kopfe, und von ganzer Seele gerne hätte sie, um sich von dem
drückenden Alp zu befreie», eines ihrer Heimathlieder hinaus-
geschmettert, ' wenn sie eben nicht gewußt hätte, daß sich darüber
die Stirne ihres Vaters sogleich finster und sorgenvoll runzeln
würde. ,_ (Schluß folgt.)
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Fräulein Dirndl"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 68.1878, Nr. 1711, S. 147
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg