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Dic Kette mit den
vielleicht hatte er ein Jahr dazu gebraucht, vielleicht zwei, viel-
leicht noch mehr. Und indem er dies bedachte, fiel ihm auch
ein gutes Mittel ein. das Gespenst der Einsamkeit und tödt-
lichcn Langweile, das wieder seinen Geist umflatterte und zu nm-
nachtcn drohte, zu verscheuchen. „Wie", dachte er. „wenn ich
dic Nadeln wegwerfc und wieder zu suchen beginne?" Und er
faßte dic mühsam gefundenen Nadeln und schleuderte sie gegen
dic Decke seiner Zelle; dann warf er auch sein Lagerstroh unter-
einander. um sich so seine Aufgabe noch zu erschweren. Und
wieder begann er zu suchen, cnisig und ausdauernd; besonders
das Finden der letzten Nadel erfreute ihn; und wenn er gar
dic siebente nicht finden konnte, sei cs. daß er sie in den Boden
getreten, oder daß sie in eine Maucrspalte gefallen, wie ereiferte
er sich da. und er vergaß dann oft. das hereingcbrachte Mittag-
essen cinzunehmen. Hatte er aber seine sieben Nadeln gefunden,
so galten sic ihm natürlich nichts mehr und er warf sic wieder
in dic Luft. O merkwürdig, dieses einfältige Spiel mit den
Nadeln konnte den verwöhnten Grafen erheitern, seinen Sinn
zerstreuen, seinen Kerker ihm erträglicher machen! Ungezählte
Male schleuderte der arme Gefangene seine Nadeln weg. un-
gezählte Male sammelte er sic wieder; aber auch für ihn kam der
Erlösungstag. Der König hatte übrigens zehn Jahre seiner Strafe
nachgelassen. Den Männern aber, die den Kerker öffneten, bot
sich ein ganz unerwarteter Anblick dar; sie sahen den Gefangenen
suchend am Boden herumkriechen; er hörte dic Eintretenden gar
nicht und war erhitzt, denn der Graf suchte eben die siebente
seiner Nadeln; und als man ihm bedeutete, er könne den Kerker
verlassen, rief er: „Nicht doch, laßt mich noch ein wenig hier,
bis ich meine siebente Nadel gefunden." Man hielt ihn natür-
lich ftir verrückt, aber er war cs noch nicht, und ich glaube,
dic Nadeln haben cs verhindert. Nach zwei Tagen aber fand
der Graf seine siebente Nadel, und er eilte, um dic Freiheit
sieben Stecknadeln.
wieder zu genießen. Uebrigens brachte man die Merkwürdigkeit,
daß ein Gefangener noch um Verlängerung seiner Gefangen-
schaft bat. vor den König; auch dieser erstaunte darüber und
fand es unbegreiflich. Mir aber", sagte der Saalhütcr weiter,
„ist dic Bitte des Grafen nicht das Merkwürdigste am Ganzen.
Der Graf wurde vom König in Audienz empfangen. Dieser
erbat sich dic Nadeln, ließ sie in oben angcdcuteter Weise fassen
und bestimmte sic für seine Privatsammlung, von wo sic in die
Museen des Hotels Cluny kamen."
Kleinstädtisch.
Berlinerin: „. . . Diese Stadt Frankfurt ist doch noch
recht kleinstädtisch! Denken Sic sich, als ich neulich um halb
acht Uhr Abends dort im zoologischen Garten war. schliefen
schon sämmtliche Thiere."
Original-Annonce.
„Mittwoch Nachmittag 3 Uhr laden wir 20 Stück Fett-
Vieh in E.. aus. wozu wir dic Herren Metzger ein laden.
E., den 8. August 1881. L."
Zeuxis und Parrhasios.
Es lebten einst im Alterthum
Zwei Malcrslcull von großem Ruhm.
Parrhasios und Zeuxis ließen
Sic nennen sich, weil sie so hießen.
Der Zeuxis sah sich dann und wann
Im Herbst dic reifen Trauben an;
Und endlich sprach er: „Diese Trauben
WcrtL ich zu malen mir erlauben!"
Dic Kette mit den
vielleicht hatte er ein Jahr dazu gebraucht, vielleicht zwei, viel-
leicht noch mehr. Und indem er dies bedachte, fiel ihm auch
ein gutes Mittel ein. das Gespenst der Einsamkeit und tödt-
lichcn Langweile, das wieder seinen Geist umflatterte und zu nm-
nachtcn drohte, zu verscheuchen. „Wie", dachte er. „wenn ich
dic Nadeln wegwerfc und wieder zu suchen beginne?" Und er
faßte dic mühsam gefundenen Nadeln und schleuderte sie gegen
dic Decke seiner Zelle; dann warf er auch sein Lagerstroh unter-
einander. um sich so seine Aufgabe noch zu erschweren. Und
wieder begann er zu suchen, cnisig und ausdauernd; besonders
das Finden der letzten Nadel erfreute ihn; und wenn er gar
dic siebente nicht finden konnte, sei cs. daß er sie in den Boden
getreten, oder daß sie in eine Maucrspalte gefallen, wie ereiferte
er sich da. und er vergaß dann oft. das hereingcbrachte Mittag-
essen cinzunehmen. Hatte er aber seine sieben Nadeln gefunden,
so galten sic ihm natürlich nichts mehr und er warf sic wieder
in dic Luft. O merkwürdig, dieses einfältige Spiel mit den
Nadeln konnte den verwöhnten Grafen erheitern, seinen Sinn
zerstreuen, seinen Kerker ihm erträglicher machen! Ungezählte
Male schleuderte der arme Gefangene seine Nadeln weg. un-
gezählte Male sammelte er sic wieder; aber auch für ihn kam der
Erlösungstag. Der König hatte übrigens zehn Jahre seiner Strafe
nachgelassen. Den Männern aber, die den Kerker öffneten, bot
sich ein ganz unerwarteter Anblick dar; sie sahen den Gefangenen
suchend am Boden herumkriechen; er hörte dic Eintretenden gar
nicht und war erhitzt, denn der Graf suchte eben die siebente
seiner Nadeln; und als man ihm bedeutete, er könne den Kerker
verlassen, rief er: „Nicht doch, laßt mich noch ein wenig hier,
bis ich meine siebente Nadel gefunden." Man hielt ihn natür-
lich ftir verrückt, aber er war cs noch nicht, und ich glaube,
dic Nadeln haben cs verhindert. Nach zwei Tagen aber fand
der Graf seine siebente Nadel, und er eilte, um dic Freiheit
sieben Stecknadeln.
wieder zu genießen. Uebrigens brachte man die Merkwürdigkeit,
daß ein Gefangener noch um Verlängerung seiner Gefangen-
schaft bat. vor den König; auch dieser erstaunte darüber und
fand es unbegreiflich. Mir aber", sagte der Saalhütcr weiter,
„ist dic Bitte des Grafen nicht das Merkwürdigste am Ganzen.
Der Graf wurde vom König in Audienz empfangen. Dieser
erbat sich dic Nadeln, ließ sie in oben angcdcuteter Weise fassen
und bestimmte sic für seine Privatsammlung, von wo sic in die
Museen des Hotels Cluny kamen."
Kleinstädtisch.
Berlinerin: „. . . Diese Stadt Frankfurt ist doch noch
recht kleinstädtisch! Denken Sic sich, als ich neulich um halb
acht Uhr Abends dort im zoologischen Garten war. schliefen
schon sämmtliche Thiere."
Original-Annonce.
„Mittwoch Nachmittag 3 Uhr laden wir 20 Stück Fett-
Vieh in E.. aus. wozu wir dic Herren Metzger ein laden.
E., den 8. August 1881. L."
Zeuxis und Parrhasios.
Es lebten einst im Alterthum
Zwei Malcrslcull von großem Ruhm.
Parrhasios und Zeuxis ließen
Sic nennen sich, weil sie so hießen.
Der Zeuxis sah sich dann und wann
Im Herbst dic reifen Trauben an;
Und endlich sprach er: „Diese Trauben
WcrtL ich zu malen mir erlauben!"
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Die Kette mit den sieben Stecknadeln" "Zeuxis und Parrhasios"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1881
Entstehungsdatum (normiert)
1876 - 1886
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 75.1881, Nr. 1888, S. 106
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg