Der Klavie
Alfred erröthete, aber mit raschem Entschlüsse sprach er zu
seiner Mutter: „Ja, liebe Mutter! Du hast recht gesehen —
in meinem Innern ist eine große Wandlung vorgegangen.
Ich bin der Glücklichste aus Erden und doch auch der Unglück-
seligste von Allen; — ich liebe — ich liebe namenlos, mit
jeder Faser meines Herzens."
Frau Holster war nicht wenig überrascht. Sie wollte eben
fragen, wer das Mädchen sei, das ihren Sohn so bezaubert
habe, als Alfred begeistert fortfnhr: „Sie ist das schönste
Mädchen, das je die Phantasie als Ideal sich schaffen konnte,
ein Engel! Sie wohnt neben meinem Mansardenstübchen.
Nur eine dünne Wand trennt uns. Durch die Sprache der
Töne habe ich ihr meine Liebe kundgethan, und sie hat mich
verstanden!"
„Nun — und liebt sie Dich wieder?"
„O Mutter! Noch habe ich sie selbst nicht gesehen. Ich
kenne nur ihr Bild. Sie sitzt fast den ganzen Tag in ihrem
, Zimmer und liest und dichtet!" —
„Dichtet!" rief Frau Holster und fuhr, als hätte sie eine
Schlange gestochen, vom Stuhle auf. — „Nein — nie und
nimmer! . . Lieber Alfred, schlage Dir solch' alberne Gedanken
aus dem Kopf. Du weißt, wie ich für Dein Glück besorgt
bin — ein überspannter Blaustrumpf kommt mir nicht in's
Haus und wenn sie zehnmal ein Engel wäre — Du kennst
mich!"
Mit diesem Machtspruch verließ Frau Holster erregt das
Zimmer.
Stumm blieb Alfred zurück.
Er kannte die strengen Grundsätze seiner Mutter, er wußte,
daß sie unbeugsam au denselben festhielt. In tiefen Gedanken
versunken starrte er vor sich hin sein geträumtes Glück schien
ihm plötzlich verloren.
Da klopfte es au der Thüre itub auf sein „Herein" betrat
eine tief verschleierte Dame das Zimmer und srug nach dem
Herrn Rechtsanwalt Holster.
„Der bin ich selbst", erwiderte Alfred und bot mit galanter
Verbeugung der Dame einen Platz aus dem Sopha an. Die
Dame setzte sich.
„Womit kann ich Ihnen dienen?" begann Alfred noch
immer in Gedanken verloren und wenig erfreut, in dieser
Stimmung seinem Berufe gemäß einen Rechtsfall anhören zu
müssen.
„Ich komme, um mir Ihren Rath zu erholen in einem
ganz eigenthümlichen Falle. Mein Onkel, bei dem ich wohne,
vermiethete vor etwa acht Tagen ein Zimmer an einen jungen
Mann, der die Miethe für zwei Monate vorausbezahlte. Schon
die Art, wie sich der junge Mann bei'm Abschluß der Miethe
benahm, kam meinem Onkel seltsam vor und erweckte den Ver-
dacht, daß es mit dem jungen Manne nicht ganz richtig sei.
Derselbe kam alsbald mit einem verstimmten Klavier, einem
alten Stuhl und einigeu Notenhesten, und hielt seinen Einzug.
Vou weiteren Effecten nicht die Spur! Nicht einmal ein Bett
hat er, denn Nachts kommt er nie nach Hause. Unter Tags
aber quält er Stunden lang sein Instrument und seine unglück-
r-Virtuose. gg
Nachbarn, die, wie ich, verdammt sind, sein stümperhaftes
Klavierspiel anhören zu müssen. Vergeblich habe ich durch
Räuspern und Stöhnen ihm anzudeuten gesucht, wie lästig mir
seine Musik sei — aber je lauter ich stöhne, um so leiden-
schastlicher spielt er. Er ist offenbar geisteskrank! . . Glauben Sie
nun, auf Grund dieses Zustandes ließe sich die Miethe lösen?"
Bei diesen Worten schlug die Dame den Schleier zurück,
und zur Marmorsäule erstarrt, erkannte Alfred das holde
Gesichtchen, unsagbar schöner, als das Bildniß, das ihm die
Herzensruhe geraubt. Todtenblässe überzog sein Gesicht — er
war einer Ohnmacht nahe.
Das Fräulein erschrak bei diesem Anblicke des Rechts-
anwalts und sprang mit einem lauten Schrei von ihrem Sitze
auf.
Frau Holster eilte herbei, und als sie ihren geliebten Sohn
auf seinem Stuhle zusammenbrechen sah, fing sie laut 311
jammern an:
„O, ich unglückliche Mutter! Ich habe durch mein hartes
Wort meinen Sohn in Verzweiflung gebracht . . . Alfred!
Alfred!" Frau Holster schloß den Sohn in ihre Arme und
war bemüht, ihn wieder zu sich zu bringen. Dabei machte
sie aber ihren Gedanken, unbekümmert um die Anwesenheit der
Dame, in hastig gesprochenen Worten Lust. „Dieses einfältige
Gänschen! — Ein Blaustrumpf, ein überspanntes Ding, das
Alfred noch gar nicht selbst gesehen — nur das Bild hat ihn
so bezaubert. . . O dieses unglückselige Klavierspiel! Wie oft
habe ich Dich gebeten, es aufzugeben und nun führt es Dich
in's Verderben. Dieses verwünschte Mansardenstübchen! Sie
dichtet — ein Mädchen, das dichtet — entsetzlich! Und gerade
in diese entsetzliche Person muß er sich verlieben und so ver-
lieben, daß er unglücklich ist bis in's tiefste Herz!"
„Halt' ein, Mutter! keine Silbe weiter!" Mit diesem
Ruse war Alfred aufgesprungen und hielt den Arm seiner
Mutter krampfhaft gefaßt; dann wandte er sich erröthend zu
seiner staunenden Clientin und sprach mit Lebender Stimme:
„Soeben haben Sie, mein Fräulein, durch meine Mutter er-
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Alfred erröthete, aber mit raschem Entschlüsse sprach er zu
seiner Mutter: „Ja, liebe Mutter! Du hast recht gesehen —
in meinem Innern ist eine große Wandlung vorgegangen.
Ich bin der Glücklichste aus Erden und doch auch der Unglück-
seligste von Allen; — ich liebe — ich liebe namenlos, mit
jeder Faser meines Herzens."
Frau Holster war nicht wenig überrascht. Sie wollte eben
fragen, wer das Mädchen sei, das ihren Sohn so bezaubert
habe, als Alfred begeistert fortfnhr: „Sie ist das schönste
Mädchen, das je die Phantasie als Ideal sich schaffen konnte,
ein Engel! Sie wohnt neben meinem Mansardenstübchen.
Nur eine dünne Wand trennt uns. Durch die Sprache der
Töne habe ich ihr meine Liebe kundgethan, und sie hat mich
verstanden!"
„Nun — und liebt sie Dich wieder?"
„O Mutter! Noch habe ich sie selbst nicht gesehen. Ich
kenne nur ihr Bild. Sie sitzt fast den ganzen Tag in ihrem
, Zimmer und liest und dichtet!" —
„Dichtet!" rief Frau Holster und fuhr, als hätte sie eine
Schlange gestochen, vom Stuhle auf. — „Nein — nie und
nimmer! . . Lieber Alfred, schlage Dir solch' alberne Gedanken
aus dem Kopf. Du weißt, wie ich für Dein Glück besorgt
bin — ein überspannter Blaustrumpf kommt mir nicht in's
Haus und wenn sie zehnmal ein Engel wäre — Du kennst
mich!"
Mit diesem Machtspruch verließ Frau Holster erregt das
Zimmer.
Stumm blieb Alfred zurück.
Er kannte die strengen Grundsätze seiner Mutter, er wußte,
daß sie unbeugsam au denselben festhielt. In tiefen Gedanken
versunken starrte er vor sich hin sein geträumtes Glück schien
ihm plötzlich verloren.
Da klopfte es au der Thüre itub auf sein „Herein" betrat
eine tief verschleierte Dame das Zimmer und srug nach dem
Herrn Rechtsanwalt Holster.
„Der bin ich selbst", erwiderte Alfred und bot mit galanter
Verbeugung der Dame einen Platz aus dem Sopha an. Die
Dame setzte sich.
„Womit kann ich Ihnen dienen?" begann Alfred noch
immer in Gedanken verloren und wenig erfreut, in dieser
Stimmung seinem Berufe gemäß einen Rechtsfall anhören zu
müssen.
„Ich komme, um mir Ihren Rath zu erholen in einem
ganz eigenthümlichen Falle. Mein Onkel, bei dem ich wohne,
vermiethete vor etwa acht Tagen ein Zimmer an einen jungen
Mann, der die Miethe für zwei Monate vorausbezahlte. Schon
die Art, wie sich der junge Mann bei'm Abschluß der Miethe
benahm, kam meinem Onkel seltsam vor und erweckte den Ver-
dacht, daß es mit dem jungen Manne nicht ganz richtig sei.
Derselbe kam alsbald mit einem verstimmten Klavier, einem
alten Stuhl und einigeu Notenhesten, und hielt seinen Einzug.
Vou weiteren Effecten nicht die Spur! Nicht einmal ein Bett
hat er, denn Nachts kommt er nie nach Hause. Unter Tags
aber quält er Stunden lang sein Instrument und seine unglück-
r-Virtuose. gg
Nachbarn, die, wie ich, verdammt sind, sein stümperhaftes
Klavierspiel anhören zu müssen. Vergeblich habe ich durch
Räuspern und Stöhnen ihm anzudeuten gesucht, wie lästig mir
seine Musik sei — aber je lauter ich stöhne, um so leiden-
schastlicher spielt er. Er ist offenbar geisteskrank! . . Glauben Sie
nun, auf Grund dieses Zustandes ließe sich die Miethe lösen?"
Bei diesen Worten schlug die Dame den Schleier zurück,
und zur Marmorsäule erstarrt, erkannte Alfred das holde
Gesichtchen, unsagbar schöner, als das Bildniß, das ihm die
Herzensruhe geraubt. Todtenblässe überzog sein Gesicht — er
war einer Ohnmacht nahe.
Das Fräulein erschrak bei diesem Anblicke des Rechts-
anwalts und sprang mit einem lauten Schrei von ihrem Sitze
auf.
Frau Holster eilte herbei, und als sie ihren geliebten Sohn
auf seinem Stuhle zusammenbrechen sah, fing sie laut 311
jammern an:
„O, ich unglückliche Mutter! Ich habe durch mein hartes
Wort meinen Sohn in Verzweiflung gebracht . . . Alfred!
Alfred!" Frau Holster schloß den Sohn in ihre Arme und
war bemüht, ihn wieder zu sich zu bringen. Dabei machte
sie aber ihren Gedanken, unbekümmert um die Anwesenheit der
Dame, in hastig gesprochenen Worten Lust. „Dieses einfältige
Gänschen! — Ein Blaustrumpf, ein überspanntes Ding, das
Alfred noch gar nicht selbst gesehen — nur das Bild hat ihn
so bezaubert. . . O dieses unglückselige Klavierspiel! Wie oft
habe ich Dich gebeten, es aufzugeben und nun führt es Dich
in's Verderben. Dieses verwünschte Mansardenstübchen! Sie
dichtet — ein Mädchen, das dichtet — entsetzlich! Und gerade
in diese entsetzliche Person muß er sich verlieben und so ver-
lieben, daß er unglücklich ist bis in's tiefste Herz!"
„Halt' ein, Mutter! keine Silbe weiter!" Mit diesem
Ruse war Alfred aufgesprungen und hielt den Arm seiner
Mutter krampfhaft gefaßt; dann wandte er sich erröthend zu
seiner staunenden Clientin und sprach mit Lebender Stimme:
„Soeben haben Sie, mein Fräulein, durch meine Mutter er-
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Der Klavier-Virtuose"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 93.1890, Nr. 2354, S. 83
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg