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Ganz, David
Medien der Offenbarung: Visionsdarstellungen im Mittelalter — Berlin, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.13328#0119
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Schreibflüsse und Visionskritik

Die Autorisierung weiblicher Prophetie

Der prophetische Traum, den die frühmittelalterliche Bildkunst nur als Ausnahme
zugelassen hatte, unterlief das alte Prinzip der vorgängigen Konstitution von Offen-
barung im Medium der Schrift. Die Vorbehalte gegen die Zuverlässigkeit geträumter
Offenbarungen waren damit aber keineswegs ausgeräumt, im Gegenteil: Gerade
im Licht eines zunehmenden medizinischen Spezialwissens über die Abläufe im
menschlichen Körper, gerade im Licht eines differenzierteren Nachdenkens über
die menschlichen Seelenvermögen gewannen innerweltliche Erklärungsansätze an
Plausibilität: Als Ursprung einer Traumerfahrung wurde dann weder ein Fingerzeig
Gottes noch eine Einflüsterung des Teufels, sondern eine bestimmte somatische Be-
findlichkeit unterstellt. Nach der lateinischen Übersetzung der traumtheoretischen
Schriften des Aristoteles im frühen 13. Jahrhundert schenkte man den natürlichen
Ursachen der Traumbilder verstärkte Beachtung.1 Von der Kritik an einem allzu
leichtfertigen Glauben an gottgesandte Träume hin zu einer generellen Ablehnung
einer transzendenten Quelle von Träumen war es kein allzu weiter Schritt, wie die
Verdammung „aristotelischer" Thesen durch den Erzbischof von Paris im Jahr 1277
belegt. Zu den inkriminierten Lehrsätzen gehört auch die Behauptung, „Ekstasen und
Visionen gibt es nicht, es sei denn als Naturvorgänge."2

Auch wenn die hier formulierte Meinung von keinem Autor des 12. oder 13.
Jahrhunderts explizit vertreten wurde, so war sie doch als Schlussfolgerung aus dem
neuen somatisierten Traumverständnis des Hochmittelalters ableitbar. Vor diesem
Hintergrund wird besser verständlich, warum Bilder prophetischer Visionen gegen
den neuen Trend des prophetischen Traumes weiterhin die alte Rückbindung an die
Schrift suchen konnten, und dies vor allem innerhalb eines per se schon verdächtigen
Kontextes: Wenn es darum ging, Propheten der eigenen Gegenwart neu zu etablieren,
und wenn es sich bei diesen Propheten dazu noch um Frauen handelte, dann war es
offenkundig ratsam, dezidiert von der Offenbarung im Schlafzustand abzurücken.
 
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