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Ganz, David
Medien der Offenbarung: Visionsdarstellungen im Mittelalter — Berlin, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.13328#0282
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8 Bild-Gründe

Künstlerische Experimente in Apokalypse-Zyklen
des Spätmittelalters

Die Visionen der Johannes-Offenbarung haben bis zum Ausgang des Mittelalters
nicht aufgehört, Anlass zu bildlichen RückÜbertragungen der unterschiedlichsten
Art zu bieten. Im Folgenden möchte ich drei Werkbeispiele herausgreifen, die sich
dem Problem der inneren, subjektiven Seite des visionären Sehens mittels formaler
Experimente annähern, in denen es um die Seele als tragenden „Grund" visionärer
Bilder geht. Die zentrale Größe in meinen Überlegungen ist der Bild-Grund in jener
doppelten Valenz, die er in der Malerei des Spätmittelalters annimmt: als materielles
Trägermedium und als mimetisch gestaltete Grundebene des Bildraumes. Mehr als die
Frage der Grenzziehung zwischen Innen und Außen ist dabei der Faktor Kohärenz von
Bedeutung: Der sowohl materielle wie mimetische Zusammenhalt des Bild-Grundes
wird zur Metapher für den inneren Zusammenhalt der Vorstellungstätigkeit, ohne
den die menschliche Seele nicht zu ihrer kontinuierlichen Bildproduktion in der Lage
wäre. Mit diesem Grundkonzept ist ein zentrales Thema der christlich-mittelalterlichen
Anthropologie berührt: die Annahme eines Seelengrundes im Inneren des Menschen,
des abditum mentis, der wie eine Art Spiegel immer schon ein Bild des Göttlichen
einfängt und so die Möglichkeit zur Vereinigung von Gott und Mensch eröffnet.1 Die
sittliche Aufgabe des Menschen sieht eine mystische Denktradition darin, diesen Grund
freizulegen und zu reinigen, damit er das Gottesbild möglichst ungetrübt reflektiere.2
Im Hintergrund steht immer die Vorstellung von der Gottesebenbildlichkeit des
Menschen, dessen vorderstes Ziel es sein muss, die durch den Sündenfall überdeckte
imago Dei wieder zum Vorschein zu bringen.3

In der neueren Forschung ist die Metaphorik des Seelengrundes vor allem an-
hand von gemalten Spiegeln und Spiegelungen diskutiert worden.4 Die in diesem
Zusammenhang herangezogenen Werke stammen ausnahmslos aus dem Bereich
der altniederländischen Malerei und thematisieren den Zusammenhang von Gebet
und Imagination. Wie der letzte Abschnitt des Kapitels zeigen soll, konnte das Spie-
gelmodell auch auf die Verbildlichung von Visionen übertragen werden. Wichtig ist
mir jedoch ein erweiterter Zugang, welcher den Spiegel nur als eine von mehreren
möglichen Bild-Metaphern betrachtet, mit deren Hilfe die Bildkunst des 14. und 15.
Jahrhunderts die Rückbindung innerer Vorgänge des Visionärs an eine gemeinsame
„Trag-Fläche" visualisiert.5
 
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