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Ganz, David
Medien der Offenbarung: Visionsdarstellungen im Mittelalter — Berlin, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.13328#0147
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5 Betten und Mandorlen

Teilhabe am göttlichen Blick

Um zwischen einem äußeren, einem inneren und einem göttlichen Sehen Unter-
scheidungen zu treffen, müssen Bilder Grenzen ziehen, müssen sie den Innenraum
der visionären Erfahrung abstecken und sein Verhältnis zu den Räumen des äußeren
und des göttlichen Auges definieren. Als besonders aussichtsreiche Kandidaten für
die Bewältigung solcher Aufgaben der Grenzziehung dürfen Phänomene der Binnen-
rahmung gelten, die einen umschlossenen Bezirk aus dem übrigen Sehraum eines
Bildes heraustrennen. Für die kunsthistorische Visionsforschung war der Inbegriff
einer solchen Konstellation immer das „Bild im Bild": Elemente der Rahmung und
Merkmale mimetischer Brechung werden so miteinander verbunden, dass die visio-
näre Erscheinung auf eine zweite Fiktionsebene verlegt und so die Schwelle zu einem
inneren Sehen kenntlich gemacht wird. Was aber, wenn die Binnenrahmung gar nicht
dem Visionsbild gilt, sondern dem Visionär, was wenn die Sehebenen sich nicht hier-
archisch von außen nach innen staffeln, wenn sich das Innere nicht als Umschlossenes,
sondern als Umschließendes erweist? Als Problemskizze für das Folgende möchte ich
in diesem Kapitel zwei weitverbreitete Dispositive der frühmittelalterlichen Bildkunst
betrachten, die auf je unterschiedliche Weise eine Differenzierung von Sphären des
Sehens hervorbringen: das Bett des Traumvisionärs und die Mandorla um den in den
Himmel erhobenen Christus. Mit Bildern von Traumvisionen haben wir uns schon
in Teil I wiederholt beschäftigt. Hier soll es darum gehen, nach der spezifischen
Bildsyntax frühmittelalterlicher Traumbilder zu fragen. Gerade in Verbindung mit
den syntaktischen Implikationen des Mandorla-Motivs wird uns diese Diskussion zur
grundsätzlichen Frage nach der Bewertung topologischer Relationen in der Bildkunst
des Frühmittelalters führen.

5.1 Das Paradigma Traumvision

Uberblendung von Außen und Innen

Bis ins Spätmittelalter hinein ist die Erscheinung im Traum die dominanteste Formel,
derer sich mittelalterliche Bildkünstler zur Charakterisierung einer inneren Schau
bedienen.1 Dieser Befund steht in einem gewissen Spannungsverhältnis zur kritischen
Haltung maßgeblicher Autoritäten des Christentums gegenüber der revelatorischen
 
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