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Ganz, David
Medien der Offenbarung: Visionsdarstellungen im Mittelalter — Berlin, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.13328#0346
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KÖRPER-ZEICHEN

Visionsbilder und die Logik des Abdrucks

Von Beginn an ist der Körper ein unverzichtbarer Bestandteil christlicher Visionsdar-
stellungen gewesen, der auch überall dort in die Darstellung aufgenommen wurde,
wo eine geistige bzw. körperlose Form der Schau intendiert war.1 Von einer Religion,
die den Vorgang der Inkarnation als höchste Kategorie der Offenbarung ansieht, mag
man sich im Grunde nichts anderes erwarten.2 Doch im Spannungsfeld zwischen dem
einen erlösenden und den vielen erlösungsbedürftigen Körpern besaß zumindest für
den theologischen Visions-Diskurs zunächst die Gefährdung der letzteren das größere
Gewicht. Daher war der Stellenwert körperlicher Gotteserfahrung theologischerseits
sehr weit unten angesiedelt.3 Gegenüber solchen dichotomischen Entgegensetzungen
und Hierarchisierungen warteten die Visionsdarstellungen der Bildkunst von Beginn
an mit einer vermittelnden Position auf: Ihre Bilder waren und blieben ja für die
sinnliche Wahrnehmung der körperlichen Augen geschaffen. Auf ihnen trugen sie
den Körper des Visionärs in Dispositive der Abgrenzung ein, welche die Differenz
zwischen körperlichem und geistigem Sehen kenntlich machen sollten.

Im Folgenden geht es um Phänomene des späteren Mittelalters, die die lange Zeit
unangefochtene Hierarchie von Körper, Geist und Intellekt zum Kippen bringen. In
Körper-Visionen, wie ich sie in den vier abschließenden Kapiteln des Buches unter-
suchen möchte, wird der Körper des Visionärs selbst zum Dispositiv der visionären
Erscheinung. Die Stigmatisierung des Franziskus ist, wie ich denke, der einschnei-
dende Wendepunkt, an dem sich diese Umbewertung auch in der Konstruktion der
Bilder auf systematische Weise niederschlägt (Kapitel 10). Die Tatsache, dass die
Transformation des Heiligenkörpers durch Gott als heilssichernde Realie verstanden
wird, belegt, dass man bereit ist, einer körperlich sichtbaren Vision einen höheren
Wirklichkeitsgrad zuzugestehen als einer bloß innerlich geschauten. Neben einem
neuen Ideal der Christusähnlichkeit steht dabei die Beobachtbarkeit des Körpers im
Sinne von Beglaubigung und Authentizität im Vordergrund, die nun vom Bild simuliert
werden soll.4 Letztlich, so wird sich zeigen, manifestierte sich in solchen veränderten
Anforderungen an die Visionen selbst wie an ihre bildlichen Repräsentationen ein
elementares Vermittlungsproblem, das den Kontakt zwischen Innen und Außen, Dies-
seits und Jenseits zunehmend in Frage stellt. Gerade an der Rezeption des Franziskus-
Modells im 14. Jahrhundert, wie sie exemplarisch an Heinrich Seuse und Katharina
von Siena nachgezeichnet werden kann, lässt sich deutlich machen, dass die Rolle
artifizieller Medien innerhalb des Offenbarungsprozesses mit den Körper-Visionen
 
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