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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 18.1906-1907

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Kunstgewerbliche Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.4869#0173

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KOL. KERAMISCHE FACHSCHULE BUNZLAU. TÖPFEREIEN

KUNSTGEWERBLICHE RUNDSCHAU

-WELCHE WEGE SIND EINZUSCHLAGEN, DA-
MIT BEI INGENIEURBAUTEN ÄSTHETISCHE
RÜCKSICHTEN IN HÖHEREM GRADE ZUR GEL-
TUNG KOMMEN?«

(Beitrag zur Beantwortung der vom Verband deutscher
Ingenieur- und Architektenvereine gestellten Umfrage, be-
arbeitet im Auftrage des Zweigvereins Leipzig des Sachs.
Ing.- und Arch.-Vereins.)

Es ist zunächst anzuerkennen, daß bereits Ingenieur-
bauten geschaffen werden, bei denen ästhetische Rück-
sichten in befriedigender Weise zur Geltung kommen. Da
diese Bauten zum Teil von Ingenieuren ganz selbständig
geplant und ausgeführt wurden, so ist der Beweis erbracht,
daß Ingenieure künstlerischen Geist und die Fähigkeit, ästh-
etische Rücksichten walten zu lassen, in ausreichendem
Maße besitzen können.

Es ist anzustreben, diese zurzeit vereinzelt vorhande-
nen Fähigkeiten in weiteren Kreisen zur Entwickelung und
Ausbildung zu bringen, so daß sie in gesteigertem Maße
in die Erscheinung treten.

Hierfür ist zunächst während der Ausbildungszeit ein
Unterricht nötig, der sich aber weniger auf formale Dinge
erstrecken soll und keinesfalls das schematische Erlernen
historischer Stilarten und Aufzeichnen von Architekturformen
bezwecken darf, sondern die angehenden Ingenieure in
den Geist der Sache, in den besonderen Stil des Ingenieur-
baues, der ja allerdings noch im Werden begriffen ist, ein-
führen, ihnen an guten und schlechten Beispielen zeigen
muß, worauf es ankommt und wie durch einfachste Mittel,
durch richtige Behandlung und Anwendung des Materials,
durch Durchbildung und Betonung, nicht Verdeckung der
Konstruktion und ohne schmückendes Beiwerk eine be-
friedigende Wirkung erzielt werden kann, zu deren Er-
kenntnis der durch schlechte Beispiele verdorbene und
irregeleitete Geschmack der Menge rücksichtslos erzogen
werden muß. Keinesfalls dürfen demselben Konzessionen
gemacht werden, soll die Möglichkeit bestehen bleiben,
daß der Sachstil des Ingenieurbaues rückwirkend einen
günstigen und befruchtenden Einfluß auf die Entwickelung

Kunstgewerbeblatt. N. F. XVIII. H. 8

der architektonischen Stilbildung unseres Jahrhunderts aus-
üben wird. Mit dieser Möglichkeit sind aber unsere Hoff-
nungen auf das Werden eines neuen Stils in starkem Maße
verknüpft.

Es muß ferner betont werden, daß gerade auch bei
den häufig vorkommenden einfacheren Ingenieurbauten
wie Über- und Unterführungen, Stützmauern, Rampen,
Treppen, Brüstungen, Uferbauten usw. eine ästhetische
Durchbildung notwendig und möglich ist, und hierbei weise
Beschränkung in derVerwendungarchitektonischerSchnmck-
formen und dekorativen Beiwerks in der Regel von Vorteil
für eine günstige Wirkung sein wird. Als weiterer be-
achtenswerter Punkt bei der Ausführung von Ingenieur-
bauten ist das Einfügen in die Landschaft, die Erhaltung
landschaftlicher Schönheiten, sowie auch in mancher Be-
ziehung die Verwendung ortsüblicher Baustoffe und Bau-
weisen zu betrachten.

Der für die ästhetische Ausbildung der Ingenieure be-
stimmte Unterricht muß nun besonders für deren Bedürf-
nisse zugeschnitten und darf nicht ein allgemeiner, gleich-
zeitig für Architekten berechneter sein. Mit Erteilung des
Unterrichtes muß eine hierfür besonders befähigte Kraft,
und zwar entweder ein künstlerisch begabter Ingenieur
oder ein mit den Ingenieurwissenschaften durchaus ver-
trauter Architekt beauftragt werden. Ein lediglich künstle-
risch befähigter Architekt würde zweifellos weniger in der
Lage sein, den besonderen Erfordernissen zu entsprechen.
Es ist zu befürchten, daß er, anstatt die Entstehung und
Durchbildung der Konstruktion in neue ästhetisch verfei-
nerte Bahnen zu lenken und auf die nutzbringende Ver-
wertung der konstruktiven Elemente für die äußere Er-
scheinung und ihre ausschlaggebende Bedeutung für deren
Gestaltung hinzuweisen, leicht in den Fehler verfallen wird,
seine Schüler mit der Erlernung von Architekturformen
und deren nachträglichem Ankleben an die konstruktiven
Teile zu befassen.

Um nun aber auch die in der Praxis stehenden In-
genieure mit der ästhetischen Durchbildung von Ingenieur-
bauten vertraut zu machen bez. die während der Ausbil-
dungszeit in dieser Beziehung angeeigneten Fähigkeiten
lebendig zu erhalten und weiter fortzubilden, erscheint es
zweckmäßig, in den Fachvereinen wiederholt auch Vorträge

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