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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 19.1908

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Ein Versuch zur künstlerischen Belebung des Gewerbes
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https://doi.org/10.11588/diglit.4882#0149

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EIN VERSUCH ZUR KÜNSTLERISCHEN BELEBUNG

DES GEWERBES

SO bereitwillig im allgemeinen der künstlerische
Segen einer neuartigen Richtung in Kunst und
Gewerbe anerkannt worden ist, so hat es doch,
seit die moderne Bewegung im Gange ist, auch nie
an solchen gefehlt, die die neue Kunst verantwortlich
machen für den wirtschaftlichen Rückgang solcher
Gewerbe, die den Anschluß an die neue Kunst nicht
finden konnten. Alle, die an eine gewisse Beharr-
lichkeit des alten Geschmackes in weiten Kreisen
unseres Volkes glauben und der retrospektiven Ge-
schmacksträgheit der großen Menge jeden Standes
dienen, kamen in ihrem Urteil über den wirtschaftlichen
Wert der modernen Richtung darin zusammen, daß die
Initiative junger künstlerischer Kräfte, die geschäftliche
Ausbeutung der altgewohnten Waren erschwere, wenn
nicht gar schädige. Große industrielle Unternehmen
gerieten in ernstliche Gefahr, wenn sie plötzlich die
gewohnheitsmäßige Produktion aufgaben, und viele
Handwerker, die hinter den gesteigerten künstlerischen
Anforderungen zurückgeblieben waren, kamen in ernst-
liche Schwierigkeiten.

Kein Wunder, wenn sowohl aus dem Lager der
Großindustrie als auch ganz besonders aus dem Ge-
werbestand die Klagen über die erschwerten Produk-
tionsbedingungen und über die Tyrannei der modernen
Kunst nicht verstummen. Namentlich von den Po-
samentierern und ihren wichtigsten Abnehmern, den
Tapezierern, wurde darüber geklagt, »daß die neuere
Kunst durch Ablehnung der Verwendung von Posa-
menten insbesondere bei der Ausstattung von Möbeln
und Zimmern« diese Gewerbe schwer benachteilige.
Als auch die Drechsler, Stukkateure und Holzbild-
hauer mit ähnlichen Anklagen gegen die neue Rich-
tung hervortraten, ist an verschiedenen Stellen die
Berechtigung dieser Klagen untersucht worden. So
hatte auch bereits vor anderthalb Jahren das Ministerium
des Innern in Dresden die sächsischen Gewerbekammern
aufgefordert, sich zur Sache zu äußern.

In der Leipziger Gewerbekammer wurde die An-
gelegenheit sehr eingehend besprochen und man be-
schloß, einen Gewerbeausschuß mit der Einleitung
einer Art von Hilfsaktion zu betrauen. Nachdem in-
folge dieser Beratungen Ende 1907 ein Ausschreiben

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für den Bezirk der Gewerbekammer zu einer Aus-
stellung von Entwürfen für neuartige künstlerische
Innenausstattung ergangen war und zur Aufmunterung
der Einsender vom Staate, von der Stadt Leipzig, von
der Leipziger Gewerbekammer und vom Leipziger
Kunstgewerbeverein Mittel für die Verteilung von
Geldprämien an die besten Einsender bereit gestellt
worden waren, glaubte die ausschreibende »Gewerbe-
kommission« im Frühjahr igo8 auf eine rege Be-
teiligung rechnen zu dürfen.

Allein es hatten sich von den Künstlern, die man,
um dem Niveau der Ausstellung eine gewisse Höhe
von vornherein zu sichern, eingeladen hatte, nur
wenige mit geeigneten Arbeiten eingefunden, und was
die ansässigen Vertreter der klageführenden Gewerbe
beigesteuert haften, war nur Weniges und wenig Gutes.

Da aber zahlreiche Künstler und Gewerbetreibende
ihre Abwesenheit auf der Ausstellung damit ent-
schuldigten, daß die Zeit zur Herstellung geeigneter
Arbeiten zu kurz gewesen sei und da der Kommission
noch reichliche Mittel zur Verteilung übrig blieben,
wurde eine Wiederholung des Ausschreibens beschlossen.
Gewiß sind sich auch viele, die sich an der Ausstellung
beteiligen wollten, nicht ganz klar gewesen über die
Aufgabe und das Ziel des ganzen Unternehmens,
wie wohl sich die Presse wiederholt mit der Sache
beschäftigt hatte.

Aus diesem Grunde und auch weil die ganze
Angelegenheit eine allgemeine, keine bloß lokale Wich-
tigkeit hat, wird es vielen willkommen sein, etwas
mehr über die Entwickelung und das nächste Ziel
der Unternehmung zu hören.

Wie die Sache infolge einer ministeriellen Ver-
ordnung ins Rollen gekommen ist, das geht deutlich
aus dem gedruckten »stenographischen Bericht über
die Sitzung des Gewerbeausschusses« der Leipziger
Gewerbekammer vom 15. November 1906 hervor.

Die Regierung wünschte von der Kammer eine
Auskunft darüber, ob die Klagen der Posamentierer,
Tapezierer, Drechsler, Stukkateure, Holzbildhauer be-
gründet wären und welche Mittel etwa ins Auge zu
fassen wären, um Abhilfe zu schaffen, insbesondere

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