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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 19.1908

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Kunstgewerbliche Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.4882#0224

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KUNSTGEWERBLICHE RUNDSCHAU

DIE ERSTE JAHRESVERSAMMLUNG

DES DEUTSCHEN WERKBUNDES

Bericht von Fritz Hellwag

In München hat am 11. und 12. Juli der »Deutsche
Werkbund* seine erste Jahresversammlung abgehalten, deren
Programm von uns in der vorigen Nummer schon mit-
geteilt worden war.

Nicht ohne besondere Absicht war München als Ort
der diesjährigen Tagung gewählt worden. Erstens wollte
man zeigen, daß die »Ausstellung München 1908« ge-
wissermaßen als erstes Dokument der Bestrebungen des
deutschen Werkbundes anzusehen sei. Zweitens sollte die
beinahe als »Volksinteresse« zu bezeichnende Teilnahme des
Publikums für diese Ausstellung geschickt für die Zwecke
des Werkbundes ausgenützt werden, indem man die erste
öffentliche Versammlung in die große Bierwirtschaft der
Ausstellung selbst verlegte. Diese »Geschicklichkeit« stand
aber nur, oder besser: nicht einmal auf dem Papier.
Ob ein Regiefehler vorlag, daß man in den Zeitungen und
durch Plakate nicht genügend auf die Ausstellung auf-
merksam gemacht hat, oder ob man glaubte, die Aus-
stellungsbesucher, deren Zahl übrigens morgens um 10 Uhr
noch gering war, würden die Gelegenheit, Vorträge über
das Kunstgewerbe hören zu können, ohnedies wahrnehmen,
weiß ich nicht. Jedenfalls gab es in dieser Hinsicht eine
Enttäuschung, denn außer den Angehörigen des Bundes
kam nur wenig »Publikum«, auf das die Vorträge eigent-
lich berechnet waren.

Dagegen brachten die Regierungen den Beratungen
und Vorträgen des Werkbundes vom Anfang bis zum
späten Ende ein sehr lebendiges und dankenswertes In-
teresse entgegen. Als Vertreter des bayerischen Ministeriums
des königlichen Hauses und des Äußeren wohnte der Re-
ferent für Handel und Gewerbe, Ministerialdirektor von
Rauck der Versammlung bei, als Vertreter des bayerischen
Kultusministeriums Ministerialrat Dr. von Blaul, als Ver-
treter der oberbayrischen Kreisregierung Regierungsrat Pr/nz,
als Vertreter der Stadt München Oberbürgermeister Dr. von
Borscht mit Stadtschulrat Dr. Kerschensteiner, Rechtsrat Dr.
Kühles und Baurat Rekten, ferner als Vertreter des preußi-
schen Handelsministeriums Geheimer Oberregierungsrat
Dönhoff

Den ersten Vortrag hielt der Vorsitzende des Werk-
bundes, Prof. Th. Fischer. Er sprach über den »Einfluß
moderner Produktionsformen auf die künstlerische Gestaltung*
und beklagte, daß wir in den letzten hundert Jahren auf
den Standpunkt des technischen Virtuosentums herunter-
gekommen seien. Unser Spiel sei glänzend, aber leer.
Infolgedessen sei man gegen die Technik überhaupt etwas
mißtrauisch geworden und hätte schließlich erkannt, daß
man von ihr bisher einen falschen Gebrauch gemacht habe.
Insbesondere das Maschinenwesen sei mit uns wie ein
wild gewordenes Pferd durchgegangen, über das wir jetzt
die Herrschaft wieder erlangen müßten. Die Maschine
darf nicht: die Form, namentlich nicht die durch das Werk-
zeug mitbestimmte, durch Handarbeit hervorgebrachte Form
nachahmen. Die Maschine muß: notwendig knapp in der
Form arbeiten, wobei die unerläßliche Exaktheit nicht
Selbstzweck, Endziel der Arbeit (?) zu sein braucht. Wenn

man die Maschine »wirklich als ein Werkzeug verwendet,
bleibt auch bei ihrer Arbeit noch genug Raum für kleine,
aber höchst wirksame Verschiedenheit, durch die nicht
im mindesten die Solidität der Arbeit berührt wird«.

(Ich glaube, daß dieser letzte Satz nur sehr bedingt
Geltung haben kann, denn bei der maschinellen Massen-
produktion wird ja das einzelne Stück in mehrere Teile
zerlegt, die, jeder für sich, mit minutiöser Genauigkeit in
die Maschine eingespannt und in einförmiger Wiederholung
mechanisch gefräst, gedreht, poliert oder sonstwie bearbeitet
werden. Wehe dem Arbeiter, der sich das, materiell bei-
nahe unmögliche, Experiment gestatten wollte, seine Ma-
schine als ein Werkzeug in handlichem Sinne zu verwenden.
Eine Abwechslung in der maschinellen Arbeit können nach
meiner Auffassung wohl nur die Zufälligkeiten des Materials
und eine handmäßige Bearbeitung beim »Fertigmachen«
des ganzen Stückes bringen. Unter »Fertigmachen* verstehe
ich aber nicht z. B. die Fälschung, kupferne Maschinenteile
nachträglich zu behämmern, damit sie das Aussehen von
Handarbeit bekommen, — sondern das Ausgleichen usw.
beim Zusammensetzen der einzelnen Teile, das Oxy-
dieren usw.)

Prof. Fischer nannte seine auf die Massenproduktion
und die Arbeitsteilung bezüglichen Betrachtungen selbst
nur »gefühlsmäßige Andeutungen«. Die Wirkung jener
beiden Faktoren liege freilich auf einem Gebiete, das dem
Künstler sehr fremd sei.

(Deshalb wäre es wohl eigentlich besser, wenn die
Künstler eine gefühlsmäßige Einwirkung auf den Maschinen-
Arbeiter vermeiden würden. Der große Irrtum der Künstler,
der allerdings durch ihre rein subjektive Produktionsweise
entschuldbar ist, liegt darin, daß sie glauben, durch eine
andere Bedienung der Maschine eine andere Produktion
hervorrufen zu können. Gott bewahre! Die Macht, Kraft
und Wirkung der maschinellen Arbeit liegt nicht in der
Behandlung, sondern in der Konstruktion der Maschinen
und der zweckmäßigen Aufteilung der Form. In den
Händen der Maschinenkonstrukteure liegt nicht zum gering-
sten Teil die Zukunft der kunstindustriellen Produktion.
Sie müssen kongeniale Freunde der Künstler, künstlerisch
empfindende Nachschöpfer des künstlerischen Gedankens
sein. Können tut die Maschine heutzutage Alles. Es wird
kaum eine Form geben, die nicht durch eine oder
mehrere Maschinen nachgeschaffen werden könnte. Das
»Was« wird von unserer Technik spielend gelöst, dagegen
finden sich für das »Wie« nur selten die richtigen Kräfte.
Statt also von sich aus die mechanisch Ausführenden be-
einflussen zu wollen, sollten die Künstler besser in den
künstlerisch verständigen Maschineningenieuren ihre Mit-
arbeiter und Berater sehen.)

Die Gefahren der Massenproduktion, die heute von
einer wahnsinnig hastenden Konkurrenz gehetzt, jedes Jahr
möglichst viel Muster auf den Markt werfen muß und
ihre Seele deshalb, nach anfänglichem Wehren, sehr schnell
der Mode verschreibt, wurden von Prof. Fischer richtig
geschildert. Der zweite Fehltritt nach der Modemuster-
produktion ist die Anwendung minderwertiger Surrogate.
Am deutlichsten ist diese schädliche Einwirkung auf die
Qualität in der chemischen Industrie, die durch diese Fal-
scherkünste zu einer der am meisten gewinnbringenden
 
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