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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 29.1935

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Ritoók, Emma von: Die Wertsphäre des Tragischen, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.14176#0314
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Die Wertsphäre des Tragischen

Von

Emma von Ritoök

(Schluß)

Diese Formen oder Masken des Schicksals in der Tragik bergen in
sich und verraten doch zugleich Unerbittlichkeit, Unentrinnbarkeit, Not-
wendigkeit, den blind statischen Widerstand, den nach Hölderlins Wor-
ten „der alte stumme Fels des Schicksals" der Bewegtheit des Wollens
entgegenstellt. So kann für das Ich alles Schicksal werden; selbst der
Zufall wird Notwendigkeit als Maske des Schicksals, wenn das Ich
ihn so empfindet und empfängt, darin eine so hohe Macht fühlt, daß
in ihm die Ahnung einer transzendenten Gewalt aufsteigt, die die Not-
wendigkeit erfüllen hilft. Der Zufall bedeutet hier im wesentlichen die
Grenze der Möglichkeit menschlicher Zwecktätigkeit (Nie. Hartmann
a. a. O. S. 189); er deutet auf die Schicksalsgrenze hin. Er wird allein
in der Tragik diese Bedeutung haben, nie im Leben, was manche Theo-
rien mißverstehen und daher dem Zufall in der Tragödie keine Berech-
tigung gönnen. Im Leben hat nämlich der Zufall nicht jenen Notwendig-
keitscharakter, daß er nicht vermeidbar gewesen wäre. Der tragische
Zufall hat dagegen jene Unvermeidbarkeit, die, vom Schicksal ge-
schenkt, ihn zu einer seiner Formen stempelt; doch er kann an sich nie
tragisch werden. Desdemonas Taschentuch oder Hamlets Degenverwechs-
lung, die Verspätung des Briefes in „Romeo und Julia", die Zufälle in
Ibsens „Hedda Gabler" oder in Hauptmanns „Elga" u. a. sind keine
Zufälligkeiten wie im Leben, denn die immanente tragische Situation
durch den Konflikt würde auch ohne diese Zufälle zur tragischen Lö-
sung führen: ihre Sinnlosigkeiten selbst tragen einen Schicksalscharakter.
Sie sind Waffen des Schicksals, das auch mit anderen Waffen seines
Sieges gewiß sein könnte; als solche aber sind sie keine eigentlichen
Zufälle, sondern unvermeidlich und schicksalsschwer.

Wenn wir vom tragischen Wollen und Schicksal sprechen, so meinen
wir damit selbstverständlich nicht, daß jedes Wollen und jedes Schicksal
tragisch sei. Nicht nur die einheitliche Richtung, die Heftigkeit des Wol-
lens, die Höhe, die Werthaftigkeit des Zieles bestimmen das tragische
 
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