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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 30.1936

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Jahn, Johannes: August Schmarsow zum Gedächtnis
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Kühlhorn, Walther: Dichtung und Tendenz
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https://doi.org/10.11588/diglit.14193#0196
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Als mir Schmarsow die in diesem Nachruf erwähnte kleine Abhandlung schickte,
legte er ein Kärtchen bei; darauf stand in den klaren und festen Zügen seiner Hand-
schrift: „Mit einem letzten Beweis der Treue 5. Juli 1935." Dankbar gedenke ich
seiner Treue.

Der Herausgeber

Dichtung und Tendenz.

Von

Walther Kühlhorn.

Mit der Tendenzkunst steht es doch so, daß sie von verschiedenen Seiten kräftig
abgelehnt wird. Die einen mögen sie nicht, weil die in ihnen verfolgte Tendenz nicht
ihre Tendenz ist; die andern aber sind ihr gram, weil die darin gebotene Kunst für
sie keine Kunst ist.

Über den ersten Grund zur Absage braucht man in einer Überlegung, die auf
Kunsterkenntnis ausgeht, kein Wort zu verlieren. Der zweite aber ist wichtig, weil
er zu grundsätzlicher Betrachtung über das Wesen der Tendenzkunst führt und von
dort aus vielleicht auch auf allgemeingültige Merkmale weist, die für die Tendenz-
kunst bezeichnend sind. Denn zu einer solchen grundsätzlichen Beurteilung eines
Kunstwerkes als Tendenzkunst genügt es nicht, daß man „die Absicht merkt und ver-
stimmt wird". Solches Urteil beruht auf einem Gefühl und wird wohl meistens richtig
sein; wie ja denn überhaupt in Sachen der Kunst das Gefühl am Anfange der Her-
vorbringung und der Betrachtung stehen muß, und begriffliche Lehren gegenüber der
Kunst als einer besonderen Form des geistigen Lebens nur bedingte, formelhafte,
ordnende Gültigkeit haben. Wie will man aber vor dem prüfenden Verstände die Rich-
tigkeit des oben genannten Gefühls begründen? Wie will man einem andern Men-
schen diese Richtigkeit klarmachen (beweisen wäre schon zu viel gesagt), wenn man
nicht immer wieder wenigstens die Möglichkeit einer begrifflich ordnenden Betrach-
tung des Wesens der Tendenz versuchte? Nur wenn man das Wesen der Tendenz-
kunst möglichst genau bestimmt, kann man ihr den Platz im geistigen Leben zu-
weisen, auf den sie gehört.

Um zu einer solchen notwendigen, allgemeingültigen Klärung zu kommen, dürfen
wir also nicht bei der gefühlsmäßigen Feststellung der Wirkung eines Werkes als
Tendenzkunst stehen bleiben. Nicht immer hebt die Moral so deutend ihren Finger
wie in der Fabel, deren Tendenzhaftigkeit ja offenkundig ist. Wir dürfen auch nicht
etwa meinen, daß ein Werk durch diesen oder jenen Stoff von vornherein Tendenz-
kunst werde.

Wir müssen schon tiefer graben, wenn wir die grundsätzliche Wahrheit heraus-
heben wollen, wir müssen uns, soweit das begrifflich und einem Laien möglich ist, auf
den Vorgang des künstlerischen Schaffens besinnen; und zwar soll, um eine gewisse
Einfachheit der Betrachtung zu gewährleisten, im folgenden nur vom Schaffen des
Dichters die Rede sein.

I.

Zwei Fähigkeiten machen den Menschen zum Dichter: seine besondere, weit-
greifende und empfindliche Erlebniskraft und sein Gestaltungsvermögen, das unter
dem zeugenden Einflüsse von Erlebnissen eine Art neuen Lebewesens von nur ihm
eigentümlicher Gestalt und persönlichem Gepräge hervorzubringen vermag. Das ist
 
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