Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Pal. lat. 1963
Guillaume de Tyr, Eracles
Pergament · 1, 258, 2, 1 Bll. · 35,3–35,5 × 26,9–27,0 cm · Antiochia (?) · 1260–1268 (?)
- Schlagwörter (GND)
- Geschichte / Kreuzzug / Levante / Kreuzfahrerstaaten / Chronik.
- Entstehungsort
- Antiochia (?).
- Entstehungszeit
- 1260–1268 (?).
- Typus (Überlieferungsform)
- Codex.
- Beschreibstoff
- Pergament.
- Umfang
- 1, 258, 2, 1 Bll.
- Format (Blattgröße)
- 35,3–35,5 × 26,9–27,0 cm.
- Zusammensetzung (Lagenstruktur)
- (I-1)1a + 31 IV248 + V258 + 2260 + (I-1)261*. Vorderspiegel Gegenbl. von 1a, Hinterspiegel Gegenbl. von 261*.
- Seiten-, Blatt- und Lagenzählung
- Römische (?) Foliierung (1–258); moderne Foliierung (259–260). Das römische Vor- und Nachsatzbl. wurde nicht gez., daher wird hier bei der Beschreibung die Zählung des Digitalisats übernommen (1a, 261*). ‒ Regelmäßig Lagenreklamanten, meist durch Beschnitt verderbt.
- Zustand
- Bll. zum Teil stark gebräunt, beschädigt und verschmutzt (v. a. am Anfang der Hs.). Pergament immer wieder wellig mit Falten, Rissen und Löchern (teilweise genäht und ausgebessert); stellenweise Flecken und kleinere Wasserschäden (?). Gelegentlich Tinte berieben und verblasst. Initialen mit Abblätterungen und Abplatzungen (v. a. des Goldes); Initiale zu Buch III herausgeschnitten (Bl. 23), mit Textverlust. Lose im Gelenk.
- Schriftraum
- 21,5–21,9 × 14,3–15,5 cm.
- Spaltenanzahl
- 2 Spalten.
- Zeilenanzahl
- 40–42 Zeilen.
- Angaben zu Schrift / Schreibern
- Textura von der Hand eines unter französischem Einfluss stehenden Schreibers, vermutlich aus dem Mittelmeerraum.
- Buchgestaltung
- Zweispaltige Anordnung des Textes. Historisierte Initialen am Beginn der Bücher; Kapitelanfänge durch alternierend rote und blaue Lombarden mit Fleuronné in Gegenfarbe gekennzeichnet; Satzmajuskeln. Anweisungen für den Rubrikator vereinzelt noch sichtbar.
- Buchschmuck
- Am Beginn der Bücher I–II und IV–XXII historisierte Initialen (purpurfarbene bzw. blaue Buchstabenkörper, Deckfarbe auf Goldgrund; zum Teil beschädigt), die sich auf Geschehnisse im Text beziehen, mit Ausnahme von Buch III (Initiale herausgeschnitten, mit Textverlust, worauf ein Vermerk vom 22. Februar 2001 auf dem Vorderspiegel hinweist) und Buch XXIII. Die Initiale von Buch I wurde zu einem späteren Zeitpunkt erneuert und zeigt den Autor Guillaume de Tyr. S. auch Buchgestaltung und Bildbeschreibung in heidICON.
- Nachträge und Benutzungsspuren
- Korrekturen, Ergänzungen und Anmerkungen von verschiedenen Händen, zum Teil von der Schreiberhand (dann meist interlinear). Nach Christ, Handschriften, S. 58, A. 2, stammen Teile der Marginalien von einem englischen Besitzer bzw. Nutzer, der sie 1395 eingetragen hat: 78va (Hinweis auf den Jahrestag der Eroberung von Jerusalem, quod infrascripto die hoc anno domini Mocccmo nonagesimo quinto), 226va (zu Thomas von Canterbury), 234r (über König Eduard III.), 254r (Erwähnung einer Steuer, quod dicunt anglice yheldis), 236v (englisch-sprachige Verse: My reuerende lady, quene of loue / Ye saue ye godest St. Jacobus). Verschiedentlich sind die Anmerkungen mit kleineren Skizzen und Zeichnungen kombiniert (z. B. 158r: Kleidung, 159v: Hasenkopf [?], 160r: Einhornkopf [?] oder 255v: menschlicher Kopf). Vereinzelt Nota-Vermerke und -Zeichen. Federproben.
- Einband
- Römischer Einband um 1780: helles Pergament über Pappe. Rücken mit hs. Signatur, ältere Nummer nahezu erloschen (vgl. beispielhaft Pal. lat. 1962 bzw. Pal. lat. 1967) und blauem Signaturschildchen. Vgl. Schunke, Einbände 2.2, S. 901.
- Provenienz
- Norwegen / England (?) / Augsburg / Heidelberg.
- Geschichte der Handschrift
- Vorderspiegel mit Signaturschildchen und Verweis auf die herausgetrennte Initiale am Beginn von Buch III (Bl. 23). 1ar mit älteren Signaturen: 1260 [gestrichen], No. 1260., 469 [gestrichen]. sowie der Capsa-Nummer: C. 139 [?, geändert aus C O.?]; Christ, Handschriften, S. 56, liest dagegen: C. 89., was so nicht recht nachvollziehbar ist. Auf 1r ist offenbar die Capsa-Nummer wiederholt worden: C. O [?]. Da bisher allerdings nur Capsa-Nummern „C. 1–184“ bzw. „C. N“ oder „C. +“ bekannt sind, müsste es sich hier um eine neue Variante oder eine Verschreibung handeln. Da aber diese Form bislang nur in der vorliegenden Hs. nachgewiesen ist, erscheint ein Versehen bei der Angabe der Capsa-Nummer wahrscheinlich, zumal auch der erste Eintrag zeitgenössisch verbessert worden ist. 1r unterhalb der beiden Textspalten Reste eines gelöschten zweizeiligen Eintrags (evtl. ein älterer Besitzvermerk?) und Federproben; weitere gelöschte Anmerkungen und Einträge 17r, 177r/v und 236v. Der Entstehungskontext der Hs. ist in der Forschung umstritten. Karl Christ vermutet einen Franzosen als Schöpfer der Miniaturen, allerdings sei dieser stark von byzantinischen und italienischen Einflüssen geprägt gewesen und wirkte vielleicht in einem unter französischen Einfluss stehenden Land im östlichen Mittelmeerraum (Christ, Handschriften, S. 56–60). Aufgrund einer Analyse der Miniaturen spricht sich Hugo Buchthal eher für ein westliches Skriptorium aus (Buchthal, Painting, S. 102). Jaroslav Folda vermutet nach eingehender stilistischer Untersuchung der historisierten Initialen eine Entstehung in Antiochia bzw. im zugehörigen Fürstentum, eine Zuordnung, die er letztlich auf eine vergleichbare Stilistik (v.a. eine übereinstimmende Kopfform) bei den Münzprägungen Bohemunds IV. zurückführt (vgl. Folda, Crusader manuscript, bes. S. 295). Peter Edbury setzt sich textkritisch mit der Hs. auseinander. Der Text unterscheide sich von den in Akkon entstandenen Hss. und lasse sich überlieferungsgeschichtlich kaum einer Gruppe zuordnen (Edbury, Translation, S. 92). Auch Philip Handyside unterstreicht die „unique characteristics“ der Hs., er verortet den Herstellungsprozess jedoch in Südfrankreich oder Italien (Handyside, Old French, S. 77), wobei die Schrift keinen typisch italienischen Charakter aufweise. Erste nachweisbare Besitzerin des Codex war zwischen 1293 und 1358 die norwegische Königin Isabella Bruce (um 1280–1358; https://nbl.snl.no/Isabella_Bruce; 11.03.2020), wie der zweimal angebrachte gleichlautende Besitzvermerk zeigt: + LIBER DOMINE ISABELLE DEI GRACIA REGINE NORWEGIE + (1r und 258r). Über vermutlich englische Zwischenbesitzer (Christ verweist hier besonders auf Marginalien, die seiner Meinung nach nur von englischen Besitzern bzw. Nutzern nachgetragen worden sein können und damit auf eine Aufbewahrung der Hs. in England bzw. Schottland hindeuten; vgl. u.a. 226v, 234r, 254r oder 236v [englisch-sprachige Verse!]) gelangte die Hs. in die Augsburger Bibliothek des Ulrich Fugger, wie die Fugger-Signatur auf 260r (pag. 71. F. No. 83.) deutlich zu erkennen gibt; vgl. auch den Fuggerkatalog Pal. lat. 1915, 196r: Chronicon gallica lingua scriptum, auf pergament; Christ, Handschriften, S. 19; Lehmann, Fuggerbibliotheken 2, S. 228, S. 550. Nach dessen Tod war die Hs. dann in der Heidelberger Schlossbibliothek aufgestellt, da der Codex nicht unter den in der Heiliggeistkirche befindlichen Hss. und Drucken von Allacci verzeichnet wurde (vgl. Pal. lat. 1949). Auch die untenstehende Ausleihanordnung des Kurfürsten weist auf diesen Standort hin, wenn dort die Rede davon ist, der kurfürstliche Bibliothekar Paulus Melissus solle die Hs. bei Jhrer Churf. gnaden Bibliothec aufsuchen (259r). Ob man allerdings einen Besitzer Colinus mit dem im September 1401 gestorbenen gleichnamigen Handschriftensammler und Cantor von St. Paul in Worms identifizieren kann, wie Christ, Handschriften, S. 58, dies hinsichtlich eines Besitzvermerks 258v andeutet, erscheint eher unwahrscheinlich: Dominus Guillelmus primo archidiaconus deinde archiepiscopus de Sur prout lectura istius libri testatur istam historiam composuit in latino habeat eius anima pro munere dei regnum precante Colino: Amen. Denn, wie schon Christ selbst zugeben musste, ist dieser Name in der fraglichen Zeit nicht selten und entzieht sich daher einer gesicherten Zuordnung. Zudem befinden sich unter den der Universität Heidelberg hinterlassenen Büchern unseres Colinus nur juristische Werke und keinerlei Hinweise auf den Palatinus (vgl. Die Rektorbücher der Universität Heidelberg, Bd. 1, 1386-1410, hrsg. von Jürgen Miethke, bearb. von Heiner Lutzmann / Hermann Weisert, Heidelberg 1986-1999 [Acta Universitatis Heidelbergensis 1], S. 511–517, Nr. 469); und es hätte sich daraus die wenig wahrscheinliche Besitzabfolge: Colinus – Universität Heidelberg – Ulrich Fugger, Augsburg – kurfürstliche Bibliothek Heidelberg ergeben. 1598/99 war die Hs. vorübergehend an den französischen Humanisten, Gelehrten und Diplomaten Jacques Bongars (1554–1612; https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/042540/2010-04-01/) ausgeliehen, der den Codex für die Edition seiner 2-bändigen Quellensammlung zur Geschichte der Kreuzzüge benutzte, die 1611 unter dem Titel ‚Gesta Dei per Francos […]‘ in Hanau erschien (259r: Anordnung des pfälzischen Kurfürsten vom 19. Juni 1598, Bongars den Codex zur zeitweiligen Benutzung zu überlassen); vgl. zur Quellenedition zusammenfassend: Andreas Ammann, Das Quellenwerk zur Geschichte der Kreuzzüge, in: Jacques Bongars. Humanist, Diplomat, Büchersammler, hrsg. von der Burgerbibliothek Bern, Bern 2012, S. 68–71.
- Literatur
- ARCA, Biblioteca Apostolica Vaticana – Pal. lat. 1963; Bjørn Bandlien, A Manuscript of the Old French William of
Tyre (Pal. lat. 1963) in Norway, in: Studi mediolatini e volgari 62 (2016), S.
21–80; Berschin, Palatina, S. 134f.; Hugo Buchthal, Miniature Painting in the Latin Kingdom of
Jerusalem, Oxford 1957, S. 102; CALMA,
http://www.mirabileweb.it/calma/guillelmus-tyrensis-archiepiscopus-n-1130-ca-m-29-/4249; Christ, Handschriften, S. 19, 56–60; DEAF,
GuillTyrB; Peter W. Edbury, The French Translation of William of
Tyre’s Historia. The Manuscript Tradition, in: Crusades 6 (2007), S. 69–105,
hier S. 73–75, 77, 91–93, 95, 102, 104; Jaroslav Folda, A Crusaders Manuscript from Antioch, in:
Rendiconti 42 (1969/70), S. 283–298; Jaroslav Folda, Manuscripts of the ‚History of outremer‘
by William of Tyre. A Handlist, in: Scriptorium 27 (1973), S. 90–95, hier S.
92; Jaroslav Folda, Crusaders Art in the Holy Land. From the
Third Crusade to the Fall of Acre, Cambridge 2005, S. 347–350; Grace Frank, English Manuscripts in the Vatican Library,
in: PMLA 40 (1925), S. 98–102, hier S. 101 A. 2; Philip Handyside, The Old French William of Tyre, Leiden
2015 (The Medieval Mediterranean. Peoples, Economies and Cultures, 400–1500
103), S. 132ff.; Philip Handyside, A Crusader Manuscript from Antioch?
Reappraising the Provenance of Biblioteca Apostolica Vaticana, ms. Pal. lat.
1963, in: Crusades 16 (2017), S. 65–78; Lehmann, Fuggerbibliotheken 2, S. 228,
550; Emilie Maraszak, Les manuscrits enluminés de l’Histoire
ancienne jusqu’à César en Terre Sainte. Saint-Jean d’Acre, 1260–1291, Dijon
2015, S. 309; Mirabile, Guillelmus Tyrensis archiepiscopus (n. 1130 ca., m.
29-9-1186); Mirabile, Città del Vaticano, Biblioteca Apostolica Vaticana, Pal. lat.
1963; Mirabile, Guillelmus Tyrensis archiepiscopus n. 1130 ca., m. 29-9-1186,
Historia rerum in partibus transmarinis gestarum; Montuschi, Dai duchi, S. 255, 257; OVL,
Pal.lat.1963; Paul Riant, Expéditions et pèlerinages des Scandinaves en
Terre Sainte au temps des croisades, Paris 1865, S. 440 A. 4; Paul Riant, Inventaire sommaire des manuscrits de
l’Eracles, in: Archives de l’Orient latin 1 (1881), S. 247–256, hier S.
248; Victor Saxer, Le calendrier de l’Eglise latine d’Antioche
à l’usage du patriarche Opizzo Ier Fieschi (1254–1255), in: Rivista di storia
della Chiesa in Italia 26 (1972), S. 105–123, hier S. 107; Schunke, Einbände 2.2, S. 901; Section romane,
Notice de „Vaticano (Città del), Biblioteca apostolica Vaticana, Pal. lat.
1963“ dans la base Jonas-IRHT / CNRS,
http://jonas.irht.cnrs.fr/manuscrit/73996.
Verzeichnis der im Katalogisierungsprojekt abgekürzt zitierten Literatur
1) 1r–258vb
- Verfasser
- Guillaume de Tyr (GND-Nr.: 11863304X).
- Titel
- Eracles.
- Angaben zum Text
- Vgl. zur Hs.-Überlieferung: Folda, Manuscripts, S. 90–95; zur Textkritik: ARLIMA, https://arlima.net/no/5024. – 1ar bis auf Signaturen leer (zum Teil auf einem eingeklebten Stück des älteren Vorsatzbls.). – 1av leer. – 259r Ermächtigung des Kurfürsten, dass es dem Heidelberger Bibliothekar Melissus gestattet ist, die Hs. an Jacques Bongars zur Benutzung für seine Ausgabe der ‚Gesta Dei per Francos‘ (1611) auszuleihen, Heidelberg 19. Juni 1598. Darunter Abschrift verschiedener Besitzvermerke von 258r–v. – 259v leer. – 260r Kollationierungsvermerk von der Hand des Jaques Bongars (?) und Fugger-Signatur: pag. 71. F. No. 83. – 260v–261*v leer.
- Incipit
- 1ra Les ancienes estoires dient que Eracles qui fu mult bons crestiens governa l’empire de Rome …
- Explicit
- 258vb … ou autrement ne [pooit] estre la terre en bon point tandis com lor dui roi estoient si non puissant se toz li fes et li governemanz n’estoit bailliez au conte de Triple. ›Explicit iste liber qui scripsit […; Christ, Handschriften, S. 58 A. 3, ergänzt hier: Francus; im Text ist jedoch hinter scripsit nur eine knappe Lücke, die für den Namen zu kurz erscheint] hoc est homo liber‹ [es folgen noch verschiedene, zum Teil gelöschte Explicits und Besitzvermerke; s. oben Kommentar zur Provenienz].
- Edition
- Recueil des historiens des croisades. Historiens occidenteaux, Bde. 1.1–2, Historia rerum in partibus transmarinis gestarum a tempore successorum Mahumet usque ad annum domini MCLXXXIV edita a Willermo Tyrensi archiepiscopo / L’estoire de eracles empereur et la conqueste de la terre d’outremer, translation de l’estoire de Guillaume Arcévêsque de Sur, Paris 1844.
- Bearbeitet von
- Dr. Uli Steiger, Dr. Thorsten Huthwelker, Universitätsbibliothek Heidelberg, 2024.
Zitierempfehlung:
Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Pal. lat. 1963. Beschreibung von: Dr. Uli Steiger, Dr. Thorsten Huthwelker (Universitätsbibliothek Heidelberg), 2024.