Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Pal. lat. 1968

Martin Le Franc, Le champion des dames

Papier · 2, 188, 1 Bll. · 27,0 × 20,5 cm · Basel / Savoyen · 1441/1445


Schlagwörter (GND)
Versepos / Lyrik / Traumdichtung / Allegorie.
Entstehungsort
Basel / Savoyen.
Entstehungszeit
1441/1445.
Typus (Überlieferungsform)
Codex.
Beschreibstoff
Papier.
Umfang
2, 188, 1 Bll.
Format (Blattgröße)
27,0 × 20,5 cm.
Zusammensetzung (Lagenstruktur)
(I-1)1a + 12a + VII14 + (VII-2+2)28 + (VII-1)41 + 9 VII167 + VI179 + (V-1)188 + (I-1)189*. Vorderspiegel Gegenbl. von 1a, Hinterspiegel Gegenbl. von 189*. Offenbar trennte der Autor selbst die ersten beiden Bll. aus der ursprünglich zweiten Lage heraus und fügte stattdessen zwei neue Bll. ein. Das fehlende Bl. nach Bl. 40 in Lage 3, die mit Bl. 41 endet, ist ursprünglich; wie der Vergleich mit der Edition ergab, ist hier kein Textverlust zu verzeichnen (vgl. Edition Bd. 2, S. 42, Vers 5444f.). S. Angaben zum Inhalt.
Seiten-, Blatt- und Lagenzählung
Römische Foliierung (1–188). Bei ungez. Blättern folgt die Zählung dem Digitalisat (1a, 2a, 189*). ‒ Regelmäßig Lagenreklamanten, zum Teil durch Beschnitt verderbt; Lagenzählung, wobei die erste und die letzte Lage nicht gezählt wurden.
Zustand
Im Wesentlichen gut erhalten. Textspiegel gebräunt; Tinte schlägt durch, stellenweise etwas verblasst. Stockfleckig, v.a. am oberen Rand, zahlreiche weitere Flecken.
Wasserzeichen
Anker, aufgrund der zahlreichen vergleichbaren Formen nicht eindeutig zuweisbar, aber ähnlich Briquet, Les filigranes, Nr. 378 und Nr. 381 (vgl. Section romane, Notice), nachweisbar bei Papieren, die 1447 in Troyes und 1450 in Antwerpen Verwendung fanden. Zudem ähnlich Wzz. von Papieren, die laut WZIS 1458 in Xanten (DE9090-PO-118466) und 1457 in Frankfurt am Main (DE2730-PO-118266) verwendet wurden.

Schriftraum
21,0 × 17,5 cm.
Spaltenanzahl
2 Spalten.
Zeilenanzahl
34 Zeilen.
Angaben zu Schrift / Schreibern
Bastarda von einer Hand, wobei die nachträglich eingefügten Bll. 15 und 16 wohl von einer anderen Hand beschrieben wurden.
Buchgestaltung
Zweispaltige Anordnung des Textes. Kapitel beginnen mit unterstrichenen Überschriften und roter Lombarde als Initialmajuskel. Im Fließtext kleinere rote Lombarden als Initialmajuskeln zur Unterteilung der Abschnitte. In der ersten Zeile zuweilen verlängerte Oberlängen. Anweisungen für den Rubrikator nahezu durchgängig sichtbar.
Buchschmuck
Am Beginn des Textes eine blaue Schmuckinitiale auf Goldgrund. S. auch Buchgestaltung.

Nachträge und Benutzungsspuren
Mehrfach Korrekturen, Streichungen und Ergänzungen, in der Regel von späteren Händen; s. Angaben zum Inhalt. Vereinzelt Maniculae und Nota-Zeichen.

Einband
Römischer Einband um 1780: helles Pergament über Pappe. Rücken mit hs. Signatur: PAL 1968 [geändert aus: 1826] und blauem Signaturschildchen. Vgl. Schunke, Einbände 2.2, S. 901.
Provenienz
Heidelberg.
Geschichte der Handschrift
Vorderspiegel mit Signaturschildchen und einem aus der Hs. stammenden eingeklebten Lesezeichen mit deutschsprachigen Textresten. 1ar mit Capsa-Nummer: C. 46. (auf 2ar wiederholt) und der älteren römischen Signatur: 1826. 2ar mit weiterer Signatur: no. 1248; auf der Bl.-Mitte ein Buchstabenrest (?). 1r Heidelberger Titel des 16. Jhs.: Castrum amicitiæ seu uoluptatis carmine gallico. Der Palatinus überliefert das Hauptwerk des Martin le Franc, Sekretär des Gegenpapstes Felix V., vor seiner Wahl Amadeus VIII. von Savoyen. Des Letztgenannten Tochter Margarethe, späterhin in zweiter Ehe mit Kurfürst Ludwig IV. verheiratet, könnte die Besitzerin dieser Hs. gewesen sein. Zwar meldete Martina Backes diesbezüglich Zweifel an, da in vorliegendem Exemplar der Lobpreis auf Margarethes Eltern und Schwester fehlt. Demgegenüber führen Jean-Baptiste Lebigue und Marie-Laure Savoye ins Feld, dass in dieser Ausgabe des Werks, das eigentlich dem burgundischen Herzog Philipp dem Guten (1396–1467) gewidmet war, auch die panegyrischen Verse auf den Herzog, seine Gattin Isabella von Portugal (1397–1471), seine Schwester Anna (1404–1432), verheiratete Herzogin von Bedford, sowie die Würdenträger des burgundischen Hofs ausgelassen sind. Auf 5v sind gar zwei Achtzeiler gestrichen und geschwärzt, die Philipp den Guten rühmen. Darüber hinaus wurde Bl. 15 entfernt. Der Text, welcher Isabella und Anna pries, wurde durch einen Lobpreis ersetzt, der sich an die Dauphine Margarethe von Schottland richtet (15vb): Las cest ma dame la daulphine / Du hault sang d’Escoce semee (Lebigue / Savoye, Des origines). Dazu passt, dass die Bll. 15 und 16, die wohl nachträglich eingefügt wurden, von anderer Hand beschrieben wurden. Diesen Eingriff führen Jean-Baptiste Lebigue und Marie-Laure Savoye darauf zurück, dass Martin Le Franc offenbar die fehlende Resonanz seines Werkes am burgundischen Hof bewusst wurde und er in Margarethe von Schottland (1424–1445) eine neue Mäzenin suchte, was vor 1445, dem Todesjahr der Dauphine, geschehen sein muss. Das legt zudem nahe, dass sich der Palatinus im Besitz des Autors befand (Lebigue / Savoye, Des origines). Ein weiteres Indiz für diese Provenienz bietet der Schluss des hier vorliegenden Texts. Der Bearbeiter der Hs. in den ‚Archives de Littérature du Moyen Âge‘ erkennt zurecht, dass im vorletzten Vers Veullez pour Martin requerir / La roÿne de paradis (Vers 24383f. der Edition) der auch in anderen Hss. überlieferte Name des Autors durch ein Moy ersetzt wurde (vgl. ARLIMA, BAV / Pal. lat. 1968 und 188v). In das Jahr 1445 fällt aber nicht nur der Tod der erhofften Mäzenin, sondern auch die Heirat der Margarethe von Savoyen mit dem Pfälzer Kurfürsten – wobei sich die zeitliche Reihenfolge dermaßen gestaltete, dass Margarethe von Savoyen im Mai 1445 in Genf aufbrach, im Juni Basel passierte, wo die Übergabe der Braut stattfand, und im August die Dauphine plötzlich verstarb. Da Martin Le Franc sein Werk offenbar nicht Margarethe von Schottland überreichte, dürfte ihr plötzlicher Tod dies verhindert haben. Daraufhin könnte der Autor seinen Codex der Tochter seines Dienstherrn zum Geschenk gemacht und diesen ihr nachgeschickt haben, wenn nicht schon zuvor ein Sinneswandel eingesetzt hatte und Martin Le Franc das Buch Margarethe von Savoyen bereits im Rahmen der Heirat zudachte, deren Tugenden überdies im Text auf 156v gepriesen werden und auf 157r wie folgt enden: Neantmoins en son nom proprement / Marguerite de Savoye / Vous trouvez tout rondement / Vertu me garde sa joye. Unklar bleibt dabei auch, wo der Palatinus entstand. Martin Le Franc hielt sich zwischen 1441 und 1445 auch lange Zeit auf dem Konzil zu Basel auf, sodass die Stadt am Rhein wie auch Savoyen in erster Linie in Frage kommen. Nach dem Tod der Margarethe, die in dritter Ehe mit einem Grafen von Württemberg verheiratet war, fielen ihre Bücher an ihren einzigen Sohn Kurfürst Philipp und gingen damit in die Schlossbibliothek ein (Zimmermann, Handschriften, S. 103–105). In dieser ist der Palatinus auch Mitte des 16. Jhs. nachweisbar, als Castrum amicitiæ seu voluptatis, carmine Gallico, auf papir, geschrieben (Pal. lat. 1934, 7v, ebenso in der Abschrift Pal. lat. 1936, 9v; vgl. auch Christ, Handschriften, S. 16), ehe er unter Kurfürst Ottheinrich in die Bibliothek der Heiliggeistkirche verbracht wurde. Im dort, nach 1581 entstandenen Katalog findet sich: Castrum voluptatis, gallice, reimen, weiß papir, bretter, rot leder, bucklen (Pal. lat. 1931, 306v, vgl. auch Christ, Handschriften, S. 18).

Faksimile
https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/bav_pal_lat_1968
Literatur
ARCA, Biblioteca Apostolica Vaticana – Pal. lat. 1968; ARLIMA, BAV / Pal. lat. 1968; Backes, Leben, S. 179–181; Backes, Margarethe, S. 163; Berschin, Palatina, S. 134; Bertelsmeier-Kierst, Fürstinnen, S. 178; Pascale Charron, Les réceptions du Champion des dames de Martin Le Franc à la cour de Bourgogne. „Tres puissant et tres humain prince […] veullez cest livre humainement recepvoir.“, in: Bulletin du bibliophile 1 (2000), S. 9–31, hier S. 9 A. 4; Christ, Handschriften, S. 64–66; DEAF, LeFrancChampD; Die Tochter des Papstes: Margarethe von Savoyen. Begleitbuch und Katalog zur Ausstellung des Landesarchivs Baden-Württemberg, Hauptstaatsarchiv Stuttgart, bearb. von Peter Rückert / Anja Thaller / Klaus Oschema, unter Mitarbeit von Julia Bischoff, Stuttgart 2020, S. 128f.; David Fallows, The Contenance Angloise. English Influence on Continental Composers of the Fifteenth Century, in: Renaissance Studies 1 (1987), S. 189–208, hier S. 206–208; Henrike Lähnemann, Margarethe von Savoyen in ihren literarischen Beziehungen, in: ‚Encomia-Deutsch‘. Sonderheft der Deutschen Sektion der International Courtly Literature Society, hrsg. von Ingrid Kasten / Andrea Sieber, Berlin 2002, S. 158–173, hier S. 158f.; Lebigue / Savoye, Des origines; Montuschi, Dai duchi, S. 240, 255, 257; OVL, Pal.lat.1968; Arthur Piaget, Martin Le Franc. Le Champion des dames, première partie, Lausanne 1968 (Mémoires et documents publiés par la Société d’Histoire de la Suisse Romande 3/8), S. VII; Peter Rückert, Margarethe von Savoyen in Basel 1445. Herrschaftsrepräsentation und ihre Medien im städtischen Kontext, in: Raum und Medium. Literatur und Kultur in Basel in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, hrsg. von Johanna Thali / Nigel F. Palmer, Berlin / Boston 2020 (Kulturtopographie des alemannischen Raums 9), S. 201–218, hier S. 209, 217; Schunke, Einbände 2.2, S. 901; Section romane, Notice, in: Jonas-IRHT / CNRS, http://jonas.irht.cnrs.fr/manuscrit/65649; Thaller, Buchkultur, S. 79.
Verzeichnis der im Katalogisierungsprojekt abgekürzt zitierten Literatur

1) 1r–188vb Digitalisat

Verfasser
Martin Le Franc (GND-Nr.: 118731297).
Titel
Le champion des dames.
Angaben zum Text
Es handelt sich um eine Abschrift der 1440–1442 entstandenen, Herzog Philipp dem Guten von Burgund gewidmeten Dichtung ‚Le champion des Dames‘ des französischen Klerikers und Dichters Martin Le Franc (um 1408–1461; vgl. Marc-René Jung, Art. Martin Le Franc, in: Historisches Lexikon der Schweiz, https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/012758/2009-03-18/; ARLIMA, https://arlima.net/no/898). Martin le Franc machte sich zum Verteidiger der Frauen und verurteilte die Zügellosigkeit des Adels. Dieses Vorgehen rechtfertigte er später in einem Klagelied (‚Complainte du livre du champion des dames‘). Dem Prosa-Prolog, der im Palatinus fehlt, folgen im vollständigen ‚Champion‘ 24384 achtsilbige Verse, die in 3084 Strophen zu jeweils acht Versen zusammengefasst sind, denen das Reimschema ababbcbc zu Grunde liegt. Die Hs. zeigt zahlreiche Ergänzungen und Korrekturen von mehreren Händen. Eine ältere Hand verbesserte die Fehler des Schreibers; eine jüngere erneuerte die Beschreibung des Cymetiere le quel estoit autour de la chappelle d’amours (Bl. 15r–16v) und gestaltete durch einige Textänderungen die der Anna von Burgund, der Schwester Philipps des Guten, gewidmeten Strophen in eine Huldigung für Margarethe von Schottland um, die 1445 verstorbene erste Frau Ludwigs XI. Vgl. Christ, Handschriften, S. 65. Dafür hat der spätere Schreiber die ursprünglichen Bll. 15 und 16 der Hs. offenbar durch zwei von ihm beschriebene Bll. ersetzt, was hier zu einem Bruch in der Textfolge führte. So beendete der jüngere Schreiber auf 15ra das Kapitel 10 mit der vorvorletzten Strophe und ließ die beiden letzten Strophen des Kapitels, die sich mit Isabella von Portugal, der Frau Philipps des Guten, beschäftigen, aus. Versehentlich schrieb er dann Afin qu’il ne mostast sa grace als letzten Vers auf 16v, obwohl dieser bereits als erste Zeile auf 17ra stand und daher von ihm gestrichen werden musste. Da die Bll. 15 und 16 ersetzt worden waren, wurden offenbar pergamentene Falzverstärkungen eingehängt, die heute noch sichtbar sind und zu Unsicherheiten bei der Angabe der Lagenformel führten; s. oben Zusammensetzung (Lagenstruktur). Eine Liste der überlieferten Hss. bietet Helen J. Swift, Gender, Writing, and Performance, Oxford 2008, S. 251f. (Appendix 2). Die Edition erfolgte nach der Hs. B1 = Brüssel, Bibliothèque Royale 9466. Diese enthält die Verse 16921–16968, die dort auf Bl. 184v mit einem Verweis auf Bl. 129v stehen, also dort hingehören. Nach Angabe des Herausgebers wurden diese Verse in der Edition von ihm eingefügt, fehlen aber in den anderen Hss. des ‚Champion‘, so auch im Palatinus [Edition Bd. 4, S. 94–96, hier S. 94, A. 22]. – 1ar–v leer. – 182*r–183*v leer.
Incipit
1ra A l’assault dames a l’assault / A l’assault dessus la muraille
Explicit
188vb …Et [: von anderer Hand vor den Versbeginn gesetzt] Vueillez pour moy [: geändert aus Martin, wobei -in noch sichtbar ist; s. oben Angaben zu Schrift] requerir / La royne de paradis.
Edition
Martin Le Franc, Le Champion des dames (Les classiques français du Moyen Âge 127–131), 5 Bde., hrsg. von Robert Deschaux, Paris 1999.


Bearbeitet von
Dr. Uli Steiger, Dr. Thorsten Huthwelker, Universitätsbibliothek Heidelberg, 2024.


Zitierempfehlung:


Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Pal. lat. 1968. Beschreibung von: Dr. Uli Steiger, Dr. Thorsten Huthwelker (Universitätsbibliothek Heidelberg), 2024.


Katalogisierungsrichtlinien
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Beschreibung erstellt im Rahmen des Projektes Erschließung von 876 mittelalterlichen und frühneuzeitlichen lateinischen Handschriften der Heidelberger Bibliotheca Palatina in der Vatikanischen Bibliothek in Rom.