Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Pal. lat. 1986

Konrad Kyeser, Bellifortis

Papier, Pergament · 1, 201, 1 Bll. · 28,9 × 21,4 cm · Oberdeutschland (Strassburg?) · um 1430 (nach 1423)


Schlagwörter (GND)
Kriegführung / Reissbuch.
Entstehungsort
Oberdeutschland (Strassburg?).
Entstehungszeit
um 1430 (nach 1423).
Typus (Überlieferungsform)
Codex.
Beschreibstoff
Papier (Bl. 1 Pergament).
Umfang
1, 201, 1 Bll.
Format (Blattgröße)
28,9 × 21,4 cm.
Zusammensetzung (Lagenstruktur)
(I-1)1a + 11 + (VI-1)12 + 10 VI132 + (IX-1)149 + 2 VI173 + IV181 + VII195 + III201 + (I-1)202*. 1a bildet mit dem Vorderspiegel ein Doppelbl. Bl. 1 ist ein mit der ersten Lage eingeheftetes Pergamentbl., der Rand tritt nach Bl. 12 zutage. Das letzte Bl. der ersten Lage fehlt (kein Textverlust). 202* bildet mit dem Hinterspiegel ein Doppelbl.
Seiten-, Blatt- und Lagenzählung
Stempelfoliierung der Vaticana (1–201). Die Bezeichnung nicht foliierter Bll. folgt dem Digitalisat (1a, 202*). Durchgehende Lagenzählung jeweils unten links: 13r iius, 25r iiius etc.
Zustand
Leichte Bräunung und Verschmutzungen der Bll. Im hinteren Teil des Buchblockes unten ein Wasserrand. Ränder zum Teil leicht bestoßen. Farben schlagen gelegentlich durch. Bindung gelockert, Lagen z. T. lose.
Wasserzeichen
Bl. 2–12, 72, 144 Waage, Schalen sichelförmig, Aufhängung Öse, Waagebalken einkonturig, in zwei Varianten (ähnlich WZIS FR5460-PO-116484); - Bl. 13–21, 28–60 Krone mit Kugelkreuz, zwei Varianten (ähnlich Briquet, Les filigranes, Nr. 4634); - Bl. 22–23, 100–102, 109–119, 199–201 Ochsenkopf ohne Gesichtsmerkmale mit Kreuz (einkonturig) darauf ein Kreis, in mindestens zwei Varianten (WZIS DE2730-PO-56806, 1427 ohne Ort; DE8100-CodTheol2167_21, um 1432 Kloster Zwiefalten); - Bl. 67–71, 76–95, 106–108, 121–142, 145–194 Karrenpflug (ähnlich WZIS CH0780-PO-122808); - Bl. 202* im Wappenschild ein kniender Heiliger mit Kreuz (vergleichbar WZIS DE4230-FolMsMus54b_999). Vorsatzbl., wahrscheinlich des 17. Jhs.

Schriftraum
18,0–19,5 × 10,0–12,0 cm.
Spaltenanzahl
1 Spalte.
Zeilenanzahl
stark schwankende Zeilenzahlen, je nach Umfang des Textes.
Angaben zu Schrift / Schreibern
Bastarda von einer Hand.
Buchgestaltung
Regelmäßige Anordnung von Text und Bildern. Die Textblöcke von unterschiedlichem Umfang stehen den Bildern (auf den recto-Seiten) jeweils auf der vorausgehenden verso-Seite gegenüber (Ausnahme: 189v). Rubriziert. Rote Lombarden am Beginn der Textblöcke. Zeilenanfänge rot gestrichelt.
Buchschmuck
167 farbig lavierte Federzeichnungen einer Hand. Gelegentlich finden sich zu den Bildern Anmerkungen einer zeitgenössischen Hand, zumeist unten rechts, wohl als Handreichung für den Zeichner, z. B. 173r lectus, 174r est Florentinarum caput, 175r recipe pannum ut superio folio [?], 180r mucro. Die Illustrationen stimmen bis auf 1r–12r detailgenau mit dem im Format deutlich größeren Pal. lat. 1994 überein, ohne dessen Qualität zu erreichen. Ein direkter Zusammenhang scheint wahrscheinlich. S. auch die Bildbeschreibung in heidICON.

Nachträge und Benutzungsspuren
Die meisten Zeichnungen wurden von späterer Hand "abgehakt", d. h. mit einem Doppelhaken markiert, möglicherweise im Zuge eines Kopiervorganges. Einige Zeichnungen wurden auch zusätzlich mit einem "Kringel" markiert (z. B. 173r, 175r etc.). 195v Notiz: Item ich gab das pfert Durg Gothin [?].

Einband
Weißes Pergament auf Pappen. Rom um 1780. Glatter Rücken mit zwei Signaturschildern, oben achteckig mit blauem Rand und handschriftlicher Signatur (1986), darunter das blaue, gedruckte Signaturschild der BAV. Kapital mit Seidenfäden in Gelb und Braun umwickelt. Schunke, Einbände 2.2, S. 902, vgl. Schunke, Einbände 1, S. 255f.
Provenienz
Strassburg / Heidelberg.
Geschichte der Handschrift
Die Wasserzeichen der Hs. deuten auf eine Entstehung in den Jahren um 1430. 2r Besitzvermerk: Jtem diß bůch ist min Bernharts Fener. Es handelt sich dabei um Bernhard, einen Angehörigen der Familie Vener die im 14. und 15. Jh. in Schwäbisch Gmünd und Strassburg nachweisbar ist. Ob es sich um den älteren Bernhard handelt, der ab 1408 vorwiegend in Gmünd dokumentiert ist, oder um den jüngeren, Sohn oder Neffe des ersteren, der 1437–1474 mehrfach als "Konstoffler" in Strassburg auftritt, ist unklar. Siehe: Hermann Heimpel, Die Vener von Gmünd und Straßburg 1162–1447. Studien und Texte zur Geschichte einer Familie sowie des gelehrten Beamtentums in der Zeit der abendländischen Kirchenspaltung und der Konzilien von Pisa, Konstanz und Basel, Göttingen 1982 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 52), Bd. 1, S. 61, 147f., Hermann Heimpel, Die Vener von Gmünd und Straßburg 1162–1447. Studien und Texte zur Geschichte einer Familie sowie des gelehrten Beamtentums in der Zeit der abendländischen Kirchenspaltung und der Konzilien von Pisa, Konstanz und Basel, Göttingen 1982 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 52), Bd. 2, S. 986f. Eine weitere Hs. des älteren Berhard Vener (Wien, ÖNB, Cod. 407) gelangte in den Besitz seines Bruders Job (um 1370–1447). Dieser war Protonotar unter Kg. Ruprecht I., Rat Kf. Ludwigs III. von der Pfalz und Professor an der Universität Heidelberg (Heimpel, Die Vener, Bd. 1, S. 157–633, Heimpel, Die Vener, Bd. 2, S. 987). Pal. lat. 1986 könnte über diesen Job Vener nach Heidelberg und in die Palatina gelangt sein. Der frühe Besitzer sowie das makulierte Notariatsinstrument für dessen Bruder als altes Vorsatzbl. (s. Text 1), 1423 in Konstanz für Rainoldus Vener ausgestellt, deuten darauf hin, dass der Codex wahrscheinlich im oberrheinischen Bereich mit den Zentren Strassburg und Konstanz entstanden ist. Die Falzverstärkungen zeigen Fragmente einer Hs. des "Secretum secretorum" - wahrscheinlich Teile der selben makulierten Hs., aus der auch die Falzverstärkungen in Pal. lat. 1994 geschnitten wurden. Die Hs. wurde wahrscheinlich in der selben Werkstatt gebunden wie Pal. lat. 1994. Diese Hs. oder ein eng verwandter Codex dürfte die Vorlage für Pal. lat. 1986 gewesen sein. 1r Capsa-Nummer: C. 155 und Allacci-Signatur: 1093. Entsprechend im Allacci-Register (Pal. lat. 1949, 29v: 1093 Instrumenta bellica. fol. C. 155.). Vorderspiegel mit Signaturschildchen und römischer Signatur.
Besonderheiten
In den Lagenmitten zeigen sich Falzverstärkungen aus beschriebenem Pergament, die zum Teil Text erkennen lassen. An mehreren Stellen ist Text aus Ps.-Aristoteles, Secretum secretorum identifizierbar: 30v/ 31r … latitudo vero pectoris et grossicies humerorum et igitur significat probitatem et audaciam cum … . 102v/ 103r … Qui vero habet latum os est bellicosus et audax et qui habet labia grossa stultus est … . 126v/ 127r … [prosper]abitur in omnibus operibus suis. Et cuius passus sunt breces … – … bene compositus in natura qui habet carnes molles humidas … . 155v/ 156r … probabiliorem partem. Complectus est tractatus de signis et moribus naturalibus … . Roger Bacon, Opera hactenus inedita, hrsg. von Robert Steele, Bd. 5, Oxford 1920, S. 25–172, hier S. 169-172.
Als weitere Texte, wohl der selben makulierten Hs. lassen sich identifizieren: 140v/141r … maximum et omnium regum ultimus qui quando regnum suum feliciter gubernaverit ad [ultimum] Ierosolimam veniens in montem oliveti sceptrum et coronam deponet. Hic … . Ps-Augustinus, De antichristo. Migne PL 40, Sp. 1133. 167v/ 168r … erit ut eos qui in semitis iusticie ambulant feriat et veneno sue mali occ[idat] nascetur … . Epistola Adsonis ad Gerbergam reginam de ortu et tempore Antichristi, in: Sibyllinische Texte und Forschungen. Pseudomethodius, Adso und die Tiburtinische Sibylle, hrsg. von Ernst Sackur, Halle an der Saale 1898, S. 106. Zudem finden sich jeweils Kommentarspalten zu den Texten in kleinerem Schriftgrad. Für diese Falzverstärkungen scheint die selbe Hs. makuliert worden zu sein, die auch die entsprechenden Verstärkungen in Pal. lat. 1994 lieferte. Die beiden Bellifortis-Hss. dürften somit in der selben Werkstatt gebunden worden sein.

Faksimile
https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/bav_pal_lat_1986
Literatur
Theresia Berg / Udo Friedrich, Wissenstradierung in spätmittelalterlichen Schriften zur Kriegskunst: der ‘Bellifortis’ des Konrad Kyeser und das anonyme ‘Feuerwerksbuch’, in: Wissen für den Hof. Der spätmittelalterliche Verschriftungsprozess am Beispiel Heidelberg im 15. Jahrhundert, hrsg. von Jan-Dirk Müller, München 1994, S. 169–232, hier S. 177, S. 182, S. 197 (online: https://daten.digitale-sammlungen.de/~db/0004/bsb00042624/image_1); Regina Cermann, Der ‚Bellifortis’ des Konrad Kyeser (Codices Manuscripti & Impressi, Supplementum 8), Purkersdorf 2013, S. 9, S. 18–21, S. 35, S. 58, S. 68f., S. 70–74, S. 76, S. 79, S. 84f., S. 89, S. 92, S. 94f., S. 97, S. 104; Regina Cermann, Astantes stolidos sic immutabo stultos – Von nachlässigen Schreibern und verständigen Buchmalern. Zum Zusammenspiel von Text und Bild in Konrad Kyesers Bellifortis, in: Christine Beier / Evelyn Theresia Kubina (Hrsg.), Wege zum illuminierten Buch. Herstellungsbedingungen für Buchmalerei in Mittelalter und früher Neuzeit, Wien 2014, S. 245–270, S. 249, S. 270; Udo Friedrich, Herrscherpflichten und Kriegskunst. Zum intendierten Gebrauch früher ‚Bellifortis’-Handschriften, in: Der Codex im Gebrauch, Akten des Internationalen Kolloquiums 11.-13. Juni 1992, hrsg. von Christel Meier / Dagmar Hüpper / Hagen Keller, München 1996, S. 197–210, S. 199, S. 207; Rainer Leng, Feuerwerks- und Kriegsbücher, in: Katalog der deutschsprachigen illustrierten Handschriften des Mittelalters, Bd. 4/2, München 2009, Nr. 39, S. 145–512, zur Hs. S. 206 und S. 238; Rainer Leng, Bellifortis (Konrad Kyeser), in: Historisches Lexikon Bayerns, 2010, online: https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Bellifortis_(Konrad_Kyeser), abgerufen 7.06.2022; Christoph Graf zu Waldburg Wolfegg, Der Münchener 'Bellifortis' und sein Autor, in: Bayerische Staatsbibliothek, Konrad Kyeser, Bellifortis, Clm 30150, München 2000 (Kulturstiftung der Länder, Patrimonia, 137), S. 21–60.
Verzeichnis der im Katalogisierungsprojekt abgekürzt zitierten Literatur

1) 1r Digitalisat

Verfasser
Johannes Keller.
Titel
Notariatsinstrument.
Angaben zum Text
In nomine domini amen. Tenore presentis publici instrumenti cunctis ipsum intuentibus pateatanno a nativitate domini eiusdemQuadricentesimo vicesimoterciodie vero mercu[rii] [viginti]tercia mensis Juniiin civitate Constantiensi … – … vocatis specialiter et requisitis. Notariatsinstrument über ein Kreditgeschäft, ausgestellt 1423 in Konstanz von dem Notar Johannes Keller alias Schulmeister de Valle Masonis clericus Basiliensis diocesis für Reinbold Vener den Jüngeren (… existat obligatus unde honorabilem virum Argentinensem Rainoldum Vener in decretis licentiatum …). Datiert: Konstanz, Mittwoch 23. Juni 1423. Durch den Beschnitt des Blattes ging am rechten Rand Text verloren. Links unten Notariatssignet: Standkreuz, die Kreuzarme bilden zwei Schlüsselbärte, auf dem Fuß: Johannes Keller. Peter-Johannes Schuler, Notare Südwestdeutschlands. Ein prosopographisches Verzeichnis für die Zeit von 1300 bis ca. 1520, Bd. 1, Stuttgart 1987 (Veröffentlichungen der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg, Reihe B, 90), S. 224, Nr. 642. Zu Reinbold Vener dem Jüngeren (1375–1437): Heimpel, Die Vener von Gmünd und Straßburg, s. Geschichte der Handschrift, Bd. 1, Göttingen 1982, S. 140–146.
Incipit
1r Tenore presentis publici instrumenti cunctis ipsum intuentibus pateat
Explicit
1r … vocatis specialiter et requisitis.

2) 3r–195r Digitalisat

Verfasser
Johannes Keller.
Titel
Notariatsinstrument.
Angaben zum Text
Capitulum primum Martis quod tendit ad ymum … – … (194v) A quo post peruncto capiet solem rosa lunaris. Endet 195r mit der Darstellung des Blumenkranzes. (3r–34r) cap. 1, Planetenreiter und Kriegswagen; - (34v–57r) cap. 2, Katapulte und Belagerungsmaschinen; (57v–84r) cap. 3, Mittel zum Angriff auf eine Burg, Steigtechniken; (84v–114r) cap. 4, Mittel zur Verteidigung von Burgen; (114v–145r) cap. 5, Gerätschaften zur Nutzung von Wasser; (145v–169r) cap. 6, Gerätschaften zur Nutzung von Feuer; (169v–195r) cap. 7, Gerätschaften zur Nutzung von Luft. Trotz der offenkundigen Nähe zu Pal. lat. 1994 finden sich zahlreiche Abweichungen bei der Abfolge der Bilder und Beitexte. Die lateinische Fassung des durchgehend illustrierten militärtechnischen Handbuchs des Konrad Kyeser aus Eichstätt (1366–nach 1405; NDB 13, S. 355f., vgl. Cermann, Der Bellifortis, s. Lit., S. 42–54) in der "geordneten" 7-Kapitel-Fassung. Zum Bellifortis: Cermann, Der Bellifortis, s. Lit., mit weiterer Literatur, zur Einordnung der Hs. u.a. S. 18, Anm. 63 sowie S. 70f.; Leng, Feuerwerks- und Kriegsbücher, S. 203–504. Weitere Bellifortis-Hss. der Palatina: Pal. lat. 1888, Pal. lat. 1889 und Pal. lat. 1994.
Incipit
3r Capitulum primum Martis quod tendit ad ymum
Weiteres Initium
3r Sideris superni Saturni quippe vexillum
Explicit
1r … A quo post peruncto capiet solem rosa lunaris.


Bearbeitet von
Dr. Wolfgang Metzger, Universitätsbibliothek Heidelberg, 2013.


Zitierempfehlung:


Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Pal. lat. 1986. Beschreibung von: Dr. Wolfgang Metzger (Universitätsbibliothek Heidelberg), 2013.


Katalogisierungsrichtlinien
Die Katalogisierungsrichtlinien finden Sie hier.

Beschreibung erstellt im Rahmen des Projektes Erschließung von 876 mittelalterlichen und frühneuzeitlichen lateinischen Handschriften der Heidelberger Bibliotheca Palatina in der Vatikanischen Bibliothek in Rom.