Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Pal. lat. 1989

Boccace, Decameron

Pergament · 1, 332, 1 Bll. · 29,5–29,7 × 22,1–22,8 cm · Paris · 1414/1418


Schlagwörter (GND)
Höfischer Roman / Novellen.
Entstehungsort
Paris.
Entstehungszeit
1414/1418.
Typus (Überlieferungsform)
Codex.
Beschreibstoff
Pergament.
Umfang
1, 332, 1 Bll.
Format (Blattgröße)
29,5–29,7 × 22,1–22,8 cm.
Zusammensetzung (Lagenstruktur)
(I-1)I + IIV + 41 IV328 + (I-1)VI. Bl. 105 doppelt gez., Bl. 106 ohne Bl.-Zählung. – Vorderspiegel Gegenbl. von I, Hinterspiegel Gegenbl. von VI.
Seiten-, Blatt- und Lagenzählung
Zeitgenössische Foliierung unten rechts auf den Rectoseiten (j–xvjxx et vij [= 327]); fehlerhafte römische Foliierung (1–105, 105, 107–327), lässt Bl. 106 aus, zählt dafür Bl. 105 doppelt; moderne Foliierung (I–V, 328, VI), für römische Vorsatzbll. sowie für die ursprünglich nicht gez. vorrömischen Vorsatzbll. und das letzte unbeschriebene Bl. des Buchblocks. ‒ Regelmäßig Lagenreklamanten auf Bl.-Mitte am unteren Rand. Alphabetische Lagenzählung in Kombination mit einer numerischen Lagenfoliierung am linken Rand der Rectoseiten ([a], a j, a ij, a iij … – z, z j, z ij, z iij … ē, ē j, ē ij, ē iij, aa, aa j, aa ij, aa iij … – kk iij), teilweise durch den Falz verdeckt; die Lagenmitte ist durch ein X gekennzeichnet. König, Boccaccio, S. 20, vermutet, dass diese „Bindermarken“ dem Buchbinder Lievin Stuvaert, aktiv in Gent und Brügge, zugeschrieben werden müssen, da sie von der in den französischen Hss. der Zeit üblichen Nummerierung erheblich abweichen.
Zustand
Im Wesentlichen gut erhalten. Gelegentlich Tinte leicht berieben und verblasst; stellenweise leichte Bräunungen, Verfärbungen und (Wachs-)Flecken. Farbe der Illuminationen und Initialen schlägt teilweise durch. Pergament stellenweise mit Falten und Rissen, meist ausgebessert; an verschiedenen Stellen auch durchscheinend.

Schriftraum
23,5 × 13,5 cm.
Spaltenanzahl
2 Spalten.
Zeilenanzahl
42 Zeilen (die letzte Lage ist allerdings zu 41 Zeilen eingerichtet).
Angaben zu Schrift / Schreibern
Sorgfältige Textura von einer Hand. Nach Durrieus Ansicht wurde der Codex unter der Leitung des Übersetzers Laurent de Premierfait geschrieben. Ob man allerdings in Teilen darin ein Autograph Premierfaits sehen kann, wie Durrieu mutmaßt, erscheint fraglich; vgl. Durrieu, Découverte, S. 66f. Der Schreiber ist aber offenbar derselbe wie auch bei Ms. 5193 der Arsenal-Bibliothek, einer Übersetzung des ‚De casibus virorum illustrium‘ von Boccaccio; vgl. Bozzolo, Manuscrits, S. 164.
Buchgestaltung
Zweispaltige Anordnung des Textes. Rot und blau alternierende Initialen zu Beginn der Novellen auf quadratischem Goldgrund, Stamm mit weißem Ornament gefüllt. Rot unterstrichene Überschriften für die Kapitel, deren Anfänge durch meist dreizeilige rot und blau alternierende Lombarden mit Fleuronné in Gegenfarbe hervorgehoben werden; die weitere Strukturierung des Textes erfolgt durch rot und blau alternierende Paragrafenzeichen mit Fleuronné in Gegenfarbe sowie Satzmajuskeln und rot-blaue Zeilenfüller. Seitentitel, Zählung der Novellen und zugehörigen Tage.
Buchschmuck
Am Anfang der Novellen von Rahmen umgebene nahezu halbseitige und texspiegelbreite vielfarbige Miniaturen, die jede der 100 Novellen illustrieren und dem Meister der Cité des dames und seiner Werkstatt zugeschrieben werden, wobei der Meister wohl die Miniaturen auf 11r, 34v und 105v ausführte (Meiss, French Painting, S. 356). Bordürenstab, besetzt mit Dornblattranken in der Höhe des gesamten Textspiegels. S. auch Bildbeschreibung in heidICON, sowie Buchgestaltung.

Nachträge und Benutzungsspuren
Vereinzelt Ergänzungen und Anmerkungen.

Einband
Römischer Einband zwischen 1779 und 1799: braunes Leder mit Perlbandverzierungen auf den Deckeln (über Pappe?). Rücken mit goldgeprägten Wappen von Papst Pius VI. und des Kardinalbibliothekars Franciscus X. de Zelada (1717–1801), sowie goldgeprägtem Titel in rotem Schild: BOCCACCIO DECAMERONE TRADOTTO IN FRANCESE. Goldschnitt (?). Vgl. Schunke, Einbände 2.2, S. 902.
Provenienz
Dijon / Brügge / Heidelberg.
Geschichte der Handschrift
Vorderspiegel mit Signaturschildchen. IIr mit Exlibris Maximilians I. von Bayern und Signatur; IIIr Capsa-Nummer: C. 155. und Allacci-Signatur: 1262. IIr mit der römischen Signatur in Rötel. IIv Buchbindervermerk: Stuvaert Lievin / Me lya ainsin / A Brugez [Lievin Stuvaert; vgl. zu ihm: Joris Reynaert, Boekbinders, scrivers en boekproductie te Gent ca. 1430–1530, in: Geschreven en gedrukt. Boekproductie van handschrift naar druk, in overgang van Middeleeuwen naar moderne tijd, hrsg. von Herman Pleij / Joris Reynaert, Gent 2004, S. 85–102, hier S. 92–94] und Federproben. Die Hs. Pal. lat. 1989 stellt das älteste überlieferte Zeugnis einer Übersetzung des ‚Decamerone‘ ins Französische dar. Zuerst nachweisbar ist sie im Bücherinventar des Herzogs Johann Ohnefurcht von Burgund (1371–1419) aus dem Jahr 1420, wonach der Codex in der herzoglichen Bibliothek in Dijon untergebracht war. Noch 1467 ist der Palatinus im Brügger Bibliothekskatalog Herzog Philipps III. des Guten von Burgund (1396–1467) aufgeführt. Zu diesem Zeitpunkt war der Codex offenbar bereits neu gebunden worden, worauf der Buchbindervermerk (IIv) sowie der ausführliche Katalogeintrag mit der Beschreibung des Einbands hinweisen, der sich deutlich von dem ursprünglichen Einband, wie er im Katalog von Herzog Johanns Sammlung beschrieben ist, unterscheidet. Im Inventar der herzoglichen Bibliothek von 1536 ist die Hs. nicht mehr verzeichnet. Der Kaufvermerk auf Vv – dieselbe Hand schrieb auch solche in Pal. lat. 1990 und Pal. lat. 1995 – macht deutlich, dass diese drei Handschriften offenbar im Laufe des 16. Jhs. von derselben Person erworben wurden und daraufhin nach Heidelberg gelangten (s. dazu auch die Beschreibung von Pal. lat. 1995). So werden auch alle drei in Heidelberg zum ersten Mal in dem um 1610 erstellten Bücherverzeichnis der Schlossbibliothek fassbar, im Fall vorliegender Hs. als Bocatij Decamero, frantzösisch, vff pergament geschrieben, mit figuren (Heidelberg, UB, Cod. Pal. germ. 809, 125r); vgl. auch Christ, Handschriften, S. 20).

Faksimile
https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/bav_pal_lat_1989
Literatur
ARCA, Biblioteca Apostolica Vaticana – Pal. lat. 1989; Berschin, Palatina, S. 134, 142f; Bertelsmeier-Kierst, Fürstinnen, S. 179; Carla Bozzolo, Manuscrits des traductions françaises d’œuvres des Boccace XVe siècle, Padua 1983 (Medioevo e umanesimo 15), S. 163–165 (mit weiterer Literatur); Christ, Handschriften, S. 104f; DEAF, LaurPremDecD; El Decamerón de Boccaccio. Códice Palatino latino 1989 Biblioteca Apostolica Vaticana, Estudios y Comentarios, Madrid 2006; Giovanni Bocaccio, El Decamerón (Faksimile), Studienbuch, Valencia / Paris 2009, S. 146–149; Paul Comte Durrieu, Le plus ancient manuscrit de la traduction française du „Décaméron“, in: Comptes-rendus des séances de l’Académie des Inscriptions et Belles-Lettres 1909, S. 342–350; Paul Comte Durrieu, Découverte de deux importants manuscrits de la „Librairie“ de ducs de Bourgogne, in: Bibliothèque de l’École des Chartes 71 (1910), S. 58–71, bes. 64–69; Eberhard König, Boccaccio Decameron. Alle 100 Miniaturen der ersten Bilderhandschrift, Stuttgart 1989; E.-G. Léonard, Périodiques, in: Romania 45 (1918/1919), S. 564f; Millard Meiss, French Painting in the Time of Jean de Berry. The Limbourgs and Their Contemporaries, Bd. 1, London 1974, S. 7, 21, 188, 356, 378, 382, 420, 435 A. 11, 436 A. 38; Montuschi, Dai duchi, passim (mit weiterer Literatur); OVL, Pal.lat.1989 (mit weiterer Literatur); Marie-Laure Savoye, Notice, in: Jonas-IRHT / CNRS, http://jonas.irht.cnrs.fr/manuscrit/65653 (mit weiterer Literatur); Schunke, Einbände 2.2, S. 901; Christine Schwall, Erzählstrukturen im illustrierten Decamerone Vat. Pal. lat. 1989, in: Palatina-Studien, Città del Vaticano 1997 (Studi e testi 365), S. 295–327; Markus Weis, in: Ausst.-Kat. Palatina, S. 312f., E 17.1.
Verzeichnis der im Katalogisierungsprojekt abgekürzt zitierten Literatur

1) 1ra–327vb Digitalisat

Verfasser
Boccace (GND-Nr.: 11851217X).
Weitere beteiligte Personen
Laurent de Premierfait (GND-Nr.: 100951562).
Titel
Decameron.
Angaben zum Text
Es handelt sich um die französische Übersetzung des Dichters und Frühhumanisten Laurent de Premierfait (1360/70–1418; vgl. zur Person und den Arbeiten umfassend: Un traducteur et un humaniste de l’époque de Charles V: Laurent de Premierfait, hrsg. von Carla Bozzolo, Paris 2004; ARLIMA, https://arlima.net/no/1494) des ‚Decamerone‘ von Giovanni Boccaccio, wobei er sich aufgrund seiner mangelnden Italienischkenntnisse der lateinischen Vermittlung des Antonio Cipriani Neri d’Arezzo bediente (vgl. Prolog, 1ra bzw. Kolophon, 327vb). Der Codex ist die älteste noch erhaltene Hs. dieser Übersetzung, die mit 100 Miniaturen vollständig illustriert ist. Vor- und Nachwort Premierfaits belegen, dass er die Übersetzung 1411 begonnen hatte und am 15. Juni 1414 zum Abschluss brachte (vgl. 327vb). Vgl. zusammenfassend König, Boccaccio, S. 19–26; Schwall, Erzählstrukturen; Giuseppe Di Stefano, Il „Decameron“ da Boccaccio a Laurent de Premierfait, in: Studi sul Boccaccio 29 (2001), S. 105–136. – Ir–v leer. – IIr bis auf Exlibris Maximilians I. von Bayern und Signatur leer. – IIv Buchbindervermerk: Stuvaert Lievin / Me lya ainsin / A Brugez. – IIIr bis auf Capsa-Nummer und Allacci-Signatur leer. – IIIv–Vr leer. – Vv bis auf ältere Bibliothekssignatur (?) leer. – 328r–v bis auf Zeilengerüst leer. – VIr–v leer.
Rubrik
1r ›Prologue‹ [=Seitentitel].
Incipit
1r Cy commence le proloque de Jehan Boccace en son livre appellé Decameron
Explicit
327v … par moy Laurent de Premierfait, familier du dict bureau, lesqueles deux translations par iij ans faictes furent accomplies le xve jour de juing l’an mil quatre cens et quatorze [15. Juni 1414]. ›Laurent de Premierfait‹.
Edition
Boccace, Decameron. Traduction de Laurent de Premierfait, hrsg. von Giuseppe Di Stefano, Montréal 1998 (Bibliothèque du moyen français 3) (nach dieser Hs.).


Bearbeitet von
Dr. Uli Steiger, Dr. Thorsten Huthwelker, Universitätsbibliothek Heidelberg, 2024.


Zitierempfehlung:


Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Pal. lat. 1989. Beschreibung von: Dr. Uli Steiger, Dr. Thorsten Huthwelker (Universitätsbibliothek Heidelberg), 2024.


Katalogisierungsrichtlinien
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Beschreibung erstellt im Rahmen des Projektes Erschließung von 876 mittelalterlichen und frühneuzeitlichen lateinischen Handschriften der Heidelberger Bibliotheca Palatina in der Vatikanischen Bibliothek in Rom.