Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Pal. lat. 1990

Aldebrandin de Sienne, Lien du corps à l’âme

Pergament · 3, 140, 2 Bll. · 33,8–33,9 × 23,0–23,3 cm · Brügge / Gent (?) · um 1480


Schlagwörter (GND)
Regimen / Diätetik / Gesundheit / Medizin.
Entstehungsort
Brügge / Gent (?).
Entstehungszeit
um 1480.
Typus (Überlieferungsform)
Codex.
Beschreibstoff
Pergament.
Umfang
3, 140, 2 Bll.
Format (Blattgröße)
33,8–33,9 × 23,0–23,3 cm.
Zusammensetzung (Lagenstruktur)
(II-1)2a + 13a + (I+1)6a + (IV+1)8 + 6 IV56 + III62 + IV70 + (IV-2)77 + (IV-1)84 + (IV-1+1)91 + 3 IV115 + (IV-1)122 + IV130 + (II-1)133 + I135 + (I+1)138* + (II-1)140*. ‒ Vorderspiegel Gegenbl. von 1a, Hinterspiegel Gegenbl. von 140*. Zählfehler: nach Bl. 6 und 85 ungez. Bl., Bl. 73 nicht gez. Vor bzw. nach den Miniaturen ist jeweils ein Papierbl. zum Schutz der Malerei (nachträglich?) beigebunden; Bl. 4a mit der römischen Inhaltsübersicht wurde nachträglich eingeklebt.
Seiten-, Blatt- und Lagenzählung
Reste einer zeitgenössische Foliierung unten rechts auf den Rectoseiten, meist durch Beschnitt weggefallen. Fehlerhafte römische Foliierung (1–72, 74–136), Bl. 73 wurde bei der Zählung übersprungen; der Bestand der Hs. ist jedoch korrekt, wie die zeitgenössische Lagenzählung an der Stelle zeigt. Bei ungez. Blättern folgt die Zählung dem Digitalisat (1a–6a, 6*, 85a, 137*–140*). ‒ Reste einer doppelten alphabetischen Lagenzählung in Kombination mit einer numerischen Lagenfoliierung am linken Rand und unten rechts der Rectoseiten sowie einem Korrektur- bzw. Prüfvermerk (?), meist durch den Falz verdeckt bzw. durch den Beschnitt verderbt; die Lagenmitte ist durch ein Kreuz gekennzeichnet. Vgl. zu diesem System Pal. lat. 1989, eine Hs., die von Lievin Stuvaert in Brügge gebunden wurde.
Zustand
Im Wesentlichen gut erhalten. Gelegentlich Tinte leicht berieben und verblasst; stellenweise leichte Bräunungen und Flecken. Wenige Löcher und Risse, meist zeitgenössisch ausgebessert.

Schriftraum
19,3–19,6 × 12,3–12,9 cm.
Spaltenanzahl
1 Spalte.
Zeilenanzahl
20 Zeilen.
Angaben zu Schrift / Schreibern
Sorgfältige Bastarda von einer Hand.
Buchgestaltung
Einspaltige Anordnung des Textes. Rubriken, zahlreiche größere und kleinere Goldinitialen mit rot-blauem bzw. rotem oder blauem Grund und weißer Musterung, rote und blaue Paragrafenzeichen. Anweisungen für den Rubrikator nahezu durchgängig sichtbar.
Buchschmuck
Drei seitenfüllende Deckfarbenmalereien am Beginn der Bücher, üppig mit Gold ausgestattete farbige Miniaturen, deren thematischer Bezug zur Hs. nicht gänzlich klar ist. Vierseitige Bordürenrahmen. Ausführlich beschrieben bei Christ, Handschriften, S. 105. S. auch Bildbeschreibung in heidICON, sowie Buchgestaltung.

Nachträge und Benutzungsspuren
Wenige Korrekturen und Ergänzungen (von der Schreiberhand?).

Einband
Römischer Einband zwischen 1779 und 1799: braunes Leder mit Perlbandverzierungen auf den Deckeln (über Pappe?). Rücken mit goldgeprägten Wappen von Papst Pius VI. und des Kardinalbibliothekars Francesco Saverio de Zelada (1717–1801) und Goldprägungen sowie zwei, zum Teil leicht beschädigten Signaturschildchen. Vgl. Schunke, Einbände 2.2, S. 902. Goldschnitt.
Provenienz
Heidelberg.
Geschichte der Handschrift
Vorderspiegel mit Signaturschildchen. 1av mit der römischen Signatur. 3ar mit älteren Signaturen: No. 1815 und der Capsa-Nummer: C. 155. und der Allacci-Signatur: 1261., alle gestrichen. Die Hs. entstand wohl in Flandern. Während Friedrich Winkler und auch Georges Dogaer dies im Umfeld des „Meisters Eduards IV.“ vermuten (Winkler, Buchmalerei, S. 198; Dogaer, Flemish Miniature Painting, S. 117), widerspricht dem Scot McKendrick (McKendrick, Painting, S. 296 A. 3). Luís M.C. Ribeiro nimmt hingegen den „Meister von Waddesdon Manor 8“ an (Ribeiro, Appendix II, S. XXXVIII), Hanno Wijsman einen Nachahmer des Loyset Liédet (Wijsman, Luxury Bound, S. 303 A. 244), Marilyn Nicoud die Schule von Gent und Brügge (Nicoud, Les régimes, S. 496). Françoise Féry-Hue hat eine Fürstin als Adressatin des Texts angenommen, da aufgrund der Transformation des Texts durch die Aufnahme des Themas der Devotion, der Frau ein weiter Raum gegeben wird (Féry-Hue, Le Régime du corps, S. 124f.). Dem gegenüber steht die Miniatur auf 74r, die in Form eines Stifterbilds einen Fürsten zeigt, erkennbar am Hermelinbesatz seines Mantels und Huts, dem mehrere Bücher beigegeben sind, die ihn als Bibliophilen kennzeichnen dürften. Daher scheint die Herstellung für einen Bücher sammelnden Fürsten wahrscheinlicher. Leider wurden die Wappendarstellungen nicht ausgeführt, für die in den Bordürenrahmungen eigens Raum ausgespart worden war. Dass die Hs. gleich nach ihrer Entstehung von einem pfälzischen Kurfürsten gekauft wurde, wie dies Weis, in: Ausst.-Kat. Palatina, S. 315, implizit formuliert hat, erscheint als unwahrscheinlich, da der Codex auf 6av einen Kaufvermerk enthält, der von derselben Hand stammt, wie jene in Pal. lat. 1989 und Pal. lat. 1995. Diese legen nahe, dass alle drei Hss. wohl im 16. Jh. von derselben Person erworben wurden (s. die Beschreibung von Pal. lat. 1995). So sind sie auch alle drei in dem um 1610 erstellten Bücherverzeichnis der Schlossbibliothek nachweisbar, vorliegende Hs. als Ein buch, vf bergament geschrieben, deßen titulus: Lien te [!] corps a l’ame, mitt etlich figürenn, in schwartz leder vnd vergulten schniedt (Heidelberg, UB, Cod. Pal. germ. 809, 79r); vgl. auch Christ, Handschriften, S. 20).

Faksimile
https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/bav_pal_lat_1990
Literatur
ARCA, Biblioteca Apostolica Vaticana – Pal. lat. 1990; Berschin, Palatina, S. 134, 140; Christ, Handschriften, S. 105f; Marguerite Debae, La bibliothèque de Marguerite d’Autriche. Essai de reconstitution d’après l’inventaire de 1523–1524, Löwen u. a. 1995, S. 158; Georges Dogaer, Flemish Miniature Painting in the 15th and 16th Centuries, Amsterdam 1987, S. 117; Paul Durrieu, Notes sur quelques manuscrits à peinture d’origine française ou flamande conservés en Italie, in: Bulletin de la Société française de reproductions de manuscrits à peintures 1 (1911), S. 85–106, hier S. 103; Françoise Féry-Hue, Le Régime du corps d’Aldebrandin de Sienne. Tradition manuscrite et diffusion, in: Santé, médecine et assistance au Moyen âge. Actes du 110ème Congrès national des Sociétés savantes, Montpellier, 1985, Bd. 1, Paris 1987, S. 113–134, hier S. 124f; Monica H. Green, The Possibility of Literacy and the Limits of Reading. Women and the Gendering of Medical Literacy, in: Monica H. Green, Women’s Healthcare in the Medieval West. Texts and Contexts, Aldershot 2000, Text VII, S. 27f; Libri manoscritti e stampati del Belgio nella Biblioteca vaticana, secoli IX-XVII, Vatikanstadt 1979, Nr. 70, S. 35; Scot McKendrick, Painting in Manuscripts of Vernacular Texts, circa 1467–1485, in: Illuminating the Renaissance. The Triumph of Flemish Manuscript Painting in Europe, hrsg. von Thomas Kren / Scot McKendrick, Los Angeles 2003, S. 223–311, hier S. 296 A. 3; Miniature del Rinascimento. Catalogo della mostra, Vatikanstadt 1950, Nr. 111, S. 60; Montuschi, Dai duchi, S. 255; Marilyn Nicoud, Les régimes de santé au Moyen Age. Naissance et diffusion d’une écriture médicale (XIIIe-XVe siècles), Rom 2007 (Bibliothèque des Ecoles françaises d’Athènes et de Rome 333), S. 408 A. 27, 461 A. 85, 462 A. 86, 496, 540 A. 42, 958; OVL, Pal.lat.1990; Luís M. C. Ribeiro, Picturing Medieval Health. Artistic Production and Visual Discourse in Le Régime du corps of the Ajuda Library (COD 52-XIII-26), Diss. Lissabon 2016, http://hdl.handle.net/10362/19735, S. 90, 110 A. 110, 112–114, 175, Appendix I, S. V, Appendix II, S. XXXVIII; Sara Ritchey, Acts of Care. Recovering Women in Late Medieval Health, 2021 (TOME-funded Monographs 2), https://trace.tennessee.edu/utk_tome/2, S. 195; Schunke, Einbände 2.2, S. 902; Section romane, Notice, in: Jonas-IRHT / CNRS, http://jonas.irht.cnrs.fr/manuscrit/65654; Markus Weis, in: Ausst.-Kat. Palatina, S. 315, E 17.3 (mit weiterer Literatur); Hanno Wijsman, Luxury Bound. Illustrated Manuscript Production and Noble and Princely Book Ownership in the Burgundian Netherlands (1400–1550), Turnhout 2010 (Burgundica 16), S. 303 A. 244; Friedrich Winkler, Die flämische Buchmalerei des XV. und XVI. Jahrhunderts, Leipzig 1925, S. 198.
Verzeichnis der im Katalogisierungsprojekt abgekürzt zitierten Literatur

1) 1r–136r Digitalisat

Verfasser
Aldebrandin de Sienne (GND-Nr.: 100969674).
Titel
Lien du corps à l’âme.
Angaben zum Text
Bei dem Text handelt es sich um eine Neubearbeitung des ‚Le régime du corps‘ des italienischen Arztes Aldebrandin de Sienne (erw. 1277, † um 1296/99; LMA 1, Sp. 348), die möglicherweise von dem am Schluss genannten J. Markant (136r) geschaffen wurde (ARLIMA, https://arlima.net/no/693). Der Bearbeiter nahm zahlreiche Kürzungen vor, v. a. innerhalb des dritten Buchs; demgegenüber stehen allerdings mehrere Erweiterungen (Vorreden, Überleitungen und Gebete). Anstelle des vierten Buchs ist ein Abschnitt aufgenommen, der sich mit der Prognose und Therapien von Krankheiten nach dem Stand der Gestirne beschäftigt (Le jugement des medechine[s], 128r–136r): [Prolog und Inhalt:] 1r En contendant pour plus parfettement employer mon temps et apliquier au biens parfaits tant comme pour la sancté du corps et de l’ame … 7r ›Cy commence la [!] prologue de ce present livre‹. Je prie a toy souverain dieu … 11r … [Buch I:] ›Cy commence nostre prumier chapitre et fait sa demoustrance du bon ayr‹. En cestui premier chapitre vous voeul moustrer et faire amplement congnoistre la maniere et nature du bon air … 74r … [Buch II:] ›Cy commence nostre second livre intitulé comme dessudit appellé lyen du corps a l’ame‹. Premierement nous devons savoir … 86r … [Buch III:] ›Cy commence nostre tiers livre lequel commence par son premier chapitre comment la personne doit prendre sa viande pour entretenir vive couleur a tous jours mais que bien on se garde des choses avant dittes‹. Premierement nous convient savoir … 128r … [Teil IV:] ›Cy commence le jugement des medechine[s] lequel apertient atous medechins le congnoistre comme le nous certefye[nt] Aristote, Galyen, Ypocras, Avincaine et Rasis‹. Pour ce que tous medechins doivent savoir … 136r … Car par vraye amour leur abandonne la sience que ycy s’entonne. Explicit.Icy est finé mon derrenier liv[r]e apellé lyen du corps a l’ame et de l’ame au corps et se nomme le secret des medecines – J. Markant‹. Das gesamte, eigentlich medizinische Werk, wurde in dieser Version moralisch-spirituell überformt. Dieselbe Version enthalten Brüssel, Bibliothèque Royale 1110–1132 aus der ersten Hälfte des 15. Jhs. sowie Valenciennes, Bibliothèque municipale 329 aus dem 15. Jh. Der Text der Diätetik Aldebrandins findet sich in einer älteren Redaktion auch in Pal. lat. 1967; vgl. Féry-Hue, Le Régime du corps, S. 118, 124f. – 1ar leer (Marmorpapier). – 1av bis auf Signatur leer. – 2ar–v leer. – 3ar älteres Vorsatzbl. (?): Fragment der Neubearbeitung des ‚Lien du corps‘ (Schluss des 2. Buchs in anderem Wortlaut und von anderer Hand, „Von der Gesichtsfarbe“; vgl. Christ, Handschriften, S. 106, A. 4). – 3av leer. – 4ar–v französische Inhaltsübersicht (17./18. Jh.?). – 5ar–6av leer. – 6v bis auf Zeilengerüst leer. – 85r, 85ar–v leer. – 136v bis auf Zeilengerüst leer. – 137*r–140*r leer. – 140*v leer (Marmorpapier).
Rubrik
1r ›Cy commence ce present livre intitulé [übergeschrieben, vielleicht von Schreiberhand: et] appellé lien du corps a l’ame et de l’ame au corps et est ce dessudit livre parti en trois et contient en soy pour sa premiere part xix chapitres particuliers. Et premierement se commenche la [!] prologue de l’acteur‹.
Incipit
1r En contendant pour plus parfettement employer mon temps et apliquier au biens parfaits tant comme pour la sancté du corps et de l’ame
Explicit
136r … Car par vraye amour leur abandonne la sience que ycy s’entonne. Explicit.Icy est finé mon derrenier liv[r]e apellé lyen du corps a l’ame et de l’ame au corps et se nomme le secret des medecines – J. Markant‹.
Edition
Die erste Fassung ist ediert in: Le Régime du corps de maître Aldebrandin de Sienne. Texte français du XIIIe siècle, hrsg. von Louis Landouzy et Roger Pépin, Paris 1911.


Bearbeitet von
Dr. Uli Steiger, Dr. Thorsten Huthwelker, Universitätsbibliothek Heidelberg, 2024.


Zitierempfehlung:


Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Pal. lat. 1990. Beschreibung von: Dr. Uli Steiger, Dr. Thorsten Huthwelker (Universitätsbibliothek Heidelberg), 2024.


Katalogisierungsrichtlinien
Die Katalogisierungsrichtlinien finden Sie hier.

Beschreibung erstellt im Rahmen des Projektes Erschließung von 876 mittelalterlichen und frühneuzeitlichen lateinischen Handschriften der Heidelberger Bibliotheca Palatina in der Vatikanischen Bibliothek in Rom.