Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Pal. lat. 1994

Konrad Kyeser, Bellifortis

Papier · 3, 162, 3 Bll. · 40,4–41,1 × 28,1–28,5 cm · Südwestdeutschland (Straßburg?) · um 1410


Schlagwörter (GND)
Kriegführung / Reißbuch.
Entstehungsort
Südwestdeutschland (Straßburg?).
Entstehungszeit
um 1410.
Typus (Überlieferungsform)
Codex.
Beschreibstoff
Papier.
Umfang
3, 162, 3 Bll.
Format (Blattgröße)
40,4–41,1 × 28,1–28,5 cm.
Zusammensetzung (Lagenstruktur)
(I-1)1a + I3a + 10 VI119 + 2 III131 + VI143 + (VII+I)158* + (II-1)161*. 1a bildet mit dem Vorderspiegel ein Doppelbl. Das folgende Doppelbl. (2a–3a) ist ein früheres Vorsatz. 4a gehört zur ersten Lage. Das äußere Doppelbl. der letzten Lage wurde nachträglich um die Lage gelegt und weist anderes Papier auf als diese (s. Wasserzeichen).
Seiten-, Blatt- und Lagenzählung
Tintenfoliierung, Rom 17. Jh. (1–157). Foliierung des 15. Jhs., oben links eingetragen, nur auf 4r–21r (3–20). Eine weitere Zählung, mittig angebracht, beginnt zunächst als Blattzählung, bezeichnet im Fortgang dann jedoch nur noch die Bilder, auch wenn sie verso stehen, z. B. auf 16v (3r: primus, 2us, 3–155). Die Bezeichnung unfoliierter Bll. folgt dem Digitalisat (1a–4a, 143a, 158*–161*). Lagenzählung vorne, links unten (i–xiiii). Anfangs zudem unten rechts: 4a: primus bis 24r: tercius. Die Blattsignaturen in den Lagen 11 und 12 mögen auf Unsicherheiten bei der Abfolge der Seiten deuten (z. B. 120r l6; 121r l[?]; 122r l1; 129r l2; 130r l3; 132r m1).
Zustand
Im Wesentlichen recht gut erhalten. Bl. 4a und 1–18 im Bereich des unteren Seitenrandes leichte Bräunungen durch Wasserschaden, bei Bl. 4a–1 mit Ausbrüchen (angefasert). Die Hs. wurde 2008 restauriert.
Wasserzeichen
Bl. 2a im Wappenschild ein kniender Heiliger mit Kreuz (vergleichbar WZIS DE4230-FolMsMus54b_999). Vorsatzbl., wahrscheinlich des 17. Jhs.; Bl. 4a–142, 145–157 Buchstabe B mit eingerollten Serifen (WZIS IT6810-PO-26812, 1410 Pavia); Bl. 143a, 158* Maurenkopf mit Stirnband (vergleichbar WZIS DE6300-PO-20060; WZMA AT5000–993_27, 1419/1420 Vicenza).

Schriftraum
2,0–27,3 × 12,0–19,4 cm.
Spaltenanzahl
1 Spalte.
Zeilenanzahl
Stark schwankende Zeilenzahlen, je nach Umfang des Eintrags.
Angaben zu Schrift / Schreibern
Textura von einer Hand. Die Titeleinträge von späteren Händen: 4ar Kursive, Anfang 16. Jh., 1v flüchtige Kursive des 15. Jhs. (s. Geschichte der Handschrift).
Buchgestaltung
Blockhafte Anordnung des Textes, die sich an den Zeichnungen orientiert. Überschriften, rot gerahmt, Rubriken, rote Lombarden am Beginn der Einträge, Gliederung durch Satzmajuskeln mit üblichen Rubrizierungen und rote Paragraphzeichen. Rubrikatoranweisungen vorhanden.
Buchschmuck
196 farbig lavierte Federzeichnungen. Auffällig ist die starke Verwendung von schwarzen Hintergründen, auf die mit Weiß angemischte Deckfarben aufgetragen werden, z. B. zur Darstellung von Laub und Pflanzen (z. B. 70v, 72v, 74v). Hinsichtlich der Bildgestaltung im Detail finden sich enge Parallelen zu Chantilly, Musé Condé, Ms. 348 (vgl. auch Cermann, Der Bellifortis, s. Lit., S. 75–78). S. die Bildbeschreibung in heidICON.

Nachträge und Benutzungsspuren
Zumeist deutsche (selten auch lateinische) Interliniearglossen und Teilübersetzungen am Rand von einer etwas späteren Hand (15. Jh.). Z. B. 1v Im stritt ist besser stechen dan hauwen; 93r strepam [!] - stegreyff; 143r: ulmus arbor sterilis ligni durissimi; 146v: Achilleos - filius Pelei; 147r Hanibal - dux Karthaginensium; 154r venusta - zirlich, lieplich; armillis - armbant; mentum - kine. Zu den Kapiteleinleitungen auch Verweise auf die jeweiligen Bildseiten, z: B. 1v Die strittwegen sint am 14/ 15/ 16/ 19/ 30. 2v von der gleichen Hand ein langer Textabsatz zu Saturn: In der warheyt Saturnus ist gewesen eyn künig in Candia, vertriben uss dem rych von sym süne Juppiter. Er kam mit schyffen in welsche lant … – … syn wyp ist Opis syn kinder hatt er fressen. Was das bedutte ist kluger synne anderswo kostlich beschriben und hie nit zu melden. Der Mythos von Saturn, der von seinem Sohn Jupiter vetrieben nach Latium gelangt und dort den Ackerbau einführt, vgl. Berg / Friedrich, Wissenstradierung, s. Lit., S. 177, Anm. 29. Die Schreibsprache der Nachträge ist südrheinfränkisch.

Einband
Weißes Pergament auf Pappen. Rom um 1780. Rücken mit vier erhabenen Doppelbünden. Am Kopf handschriftlich die Zahl 8. Zwei Signaturschilder, oben achteckig mit blauem Rand und handschriftlicher Signatur (1994), darunter handschriftlich der Titel: Istrom. et machinarum bellicarum liber. Es folgt das blaue, gedruckte Signaturschild der BAV. Kapital mit Seidenfäden in Gelb und Braun umwickelt. Zwei textile Schließenbänder. Schunke, Einbände 2.2, S. 902, vgl. ebd. 1, S. 255f.
Provenienz
Heidelberg.
Geschichte der Handschrift
Die Wasserzeichen deuten auf eine Entstehungszeit um 1410. Das zugefügte Doppelbl. 143a/158* ist wohl später zu datieren, wohl um 1420 (vgl. Cermann, Der ‚Bellifortis’, s. Lit., S. 18, Anm 62). Die Falzverstärkungen zeigen Fragmente einer Hs. des "Secretum secretorum" - wahrscheinlich Teile der selben makulierten Hs., aus der auch die Falzverstärkungen in Pal. lat. 1986 geschnitten wurden (siehe dort). Die Hs. wurde wahrscheinlich in der Zeit um 1420–1430 neu gebunden und zwar in der selben Werkstatt wie Pal. lat. 1986. Zwischen den Bll. 143 und 143a findet sich ein Rest, wahrscheinlich eines älteren Spiegelblattes, mit einer Urkundenschrift des 14. Jhs. Die Nennung von Propst, Kapitel und Kanonikern einer ecclesia Sancti Arbogasti dürfte auf das Augustinerchorherrenstift St. Arbogast vor den Toren von Straßburg weisen (Germania Sacra http://klosterdatenbank.germania-sacra.de/gsn/3470, abgerufen am 13.06.2022). Die Indizien deuten somit darauf hin, dass sich die Hs. in dieser Zeit in Straßburg oder im Straßburger Umland befand. Die deutschsprachigen Einträge weisen südrheinfränkische Merkmale auf. Später befand sich der Band in Heidelberg, wo er spätestens 1610 nachweisbar ist. Im Katalog der Schlossbibliothek Kf. Friedrichs V. (Heidelberg, UB, Cod. Pal. germ. 809, 132r) erscheint er als Streitbuch von vielem gezeug uff papier geschrieben. Dies entspricht dem Titeleintrag 4ar (Streutbuech von viel Gezeugs), so dass davon auszugehen ist, dass es sich um diesen Codex handelte. 1v Weiterer Titel: Jtem eyn stritbuch. 1623 mit der Heidelberger Palatina in die vatikanische Bibliothek verbracht. 4ar Capsa-Nummer: C. 155 [verbessert aus: 165] und Allacci-Signatur: 1090. Entsprechend im Allacci-Register (Pal. lat. 1949, 31v: 1090 Liber instrumentorum bellicorum. fol. C. 155.).
Besonderheiten
Die meisten Falzverstärkungen lassen Text einer Hs. erkennen, die im 14. Jh. von mehreren Händen in einer einfachen Bastarda geschrieben wurde. 29v/ 30r … quasi excitatio comedendi voluptatis. Deinde induere vestibus optimis et lepidissimis … . 55v/ 54r … ante prandium macilentum reddit corpus et desiccat humiditatem ejus … . 150v/ 151r … frigidus, quia hiis temporibus aperiuntur pori propter calorem et diffunditur … . Ps.-Aristoteles, Secretum secretorum. Roger Bacon, Opera hactenus inedita, hrsg. von Robert Steele, Bd. 5, Oxford 1920, S. 25–172, dort S. 69, S. 74, S. 81. Für diese Falzverstärkungen scheint die selbe Hs. makuliert worden zu sein, die auch die entsprechenden Verstärkungen in Pal. lat. 1986 lieferte. Die beiden Bellifortis-Hss. dürften somit in der selben Werkstatt gebunden worden sein (s. Geschichte der Handschrift).

Faksimile
https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/bav_pal_lat_1994
Literatur
Theresia Berg / Udo Friedrich, Wissenstradierung in spätmittelalterlichen Schriften zur Kriegskunst: der ‘Bellifortis’ des Konrad Kyeser und das anonyme ‘Feuerwerksbuch’, in: Wissen für den Hof. Der spätmittelalterliche Verschriftungsprozess am Beispiel Heidelberg im 15. Jahrhundert, hrsg. von Jan-Dirk Müller, München 1994, S. 169–232, S. 175, S. 177, S. 182, S. 197 (online: https://daten.digitale-sammlungen.de/~db/0004/bsb00042624/image_1); Regina Cermann, Der ‚Bellifortis’ des Konrad Kyeser (Codices Manuscripti et Impressi, Supplementum 8), Purkersdorf 2013, S. 18, S. 68–72 und öfter; Regina Cermann, Astantes stolidos sic immutabo stultos – Von nachlässigen Schreibern und verständigen Buchmalern. Zum Zusammenspiel von Text und Bild in Konrad Kyesers Bellifortis, in: Christine Beier / Evelyn Theresia Kubina (Hrsg.), Wege zum illuminierten Buch. Herstellungsbedingungen für Buchmalerei in Mittelalter und früher Neuzeit, Wien 2014, S. 245–270, S. 246, S. 249, S. 251, S. 262, S. 270; Udo Friedrich, Herrscherpflichten und Kriegskunst. Zum intendierten Gebrauch früher ‚Bellifortis’-Handschriften, in: Der Codex im Gebrauch, Akten des Internationalen Kolloquiums 11.-13. Juni 1992, hrsg. von Christel Meier / Dagmar Hüpper / Hagen Keller, München 1996, S. 197–210, S. 199, S. 207; https://handschriftencensus.de/24998; Rainer Leng, Feuerwerks- und Kriegsbücher, in: Katalog der deutschsprachigen illustrierten Handschriften des Mittelalters, Bd. 4/2, München 2009, Nr. 39, S. 145–512, zur Hs. S. 206 und S. 238; Rainer Leng, Bellifortis (Konrad Kyeser), in: Historisches Lexikon Bayerns, 2010, online: https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Bellifortis_(Konrad_Kyeser), abgerufen 07.06.2022; Christoph Graf zu Waldburg Wolfegg, Der Münchener 'Bellifortis' und sein Autor, in: Bayerische Staatsbibliothek, Konrad Kyeser, Bellifortis, Clm 30150, München 2000 (Kulturstiftung der Länder, Patrimonia, 137), S. 21–60, S. 25.
Verzeichnis der im Katalogisierungsprojekt abgekürzt zitierten Literatur

1) 1v–195r Digitalisat

Verfasser
Konrad Kyeser (GND-Nr.: 119310872).
Titel
Bellifortis.
Angaben zum Text
(1v–30v) cap. 1, Planetenreiter und Kriegswagen; (31r–53v) cap. 2, Katapulte und Belagerungsmaschinen; (54r–74v) cap. 3, Mittel zum Angriff auf eine Burg, Steigtechniken; (75r–98v) cap. 4, Mittel zur Verteidigung von Burgen; (99r–118r) cap. 5, Gerätschaften zur Nutzung von Wasser; (118v–139v) cap. 6, Gerätschaften zur Nutzung von Feuer; (140r–157v) cap. 7, Gerätschaften zur Nutzung von Luft. Endet 157v mit der Darstellung eines Streitwagens. Die lateinische Fassung des durchgehend illustrierten militärtechnischen Handbuchs des Eichstätters Konrad Kyeser (1366-nach 1405; NDB 13, S. 355f.) in der "geordneten" 7-Kapitel-Fassung. Pal. lat. 1994 ist dafür neben der Hs. Chantilly, Musé Condé, Ms. 348 das älteste erhaltene Exemplar. Ein etwas späterer Überlieferungsträger liegt in Pal. lat. 1986 vor (um 1430). Vgl. Cermann, Bellifortis, s. Lit.; Leng, Konrad Kyeser, s. Lit.; Volker Schmidtchen / Hans-Peter Hils, Kyeser, Konrad, in: VL 5, Sp. 477–484 und VL 11, Sp. 904. – 1ar–v, 1v, 2v leer. – 2r bis auf Besitzvermerk leer. – 158*r–161*v leer.
Incipit
1v Capitulum primum Martis quod tendit ad ymum
Explicit
155v … A quo post peruncto capiet solem rosa lunaris.


Bearbeitet von
Dr. Wolfgang Metzger, Universitätsbibliothek Heidelberg, 2024.


Zitierempfehlung:


Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Pal. lat. 1994. Beschreibung von: Dr. Wolfgang Metzger (Universitätsbibliothek Heidelberg), 2024.


Katalogisierungsrichtlinien
Die Katalogisierungsrichtlinien finden Sie hier.

Beschreibung erstellt im Rahmen des Projektes Erschließung von 876 mittelalterlichen und frühneuzeitlichen lateinischen Handschriften der Heidelberger Bibliotheca Palatina in der Vatikanischen Bibliothek in Rom.