Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Pal. lat. 29

Psalterium feriatum

Pergament, Papier · 1, 108, 1 Bll. · 18,9–19,5 × 12,2–13,4 cm · Süddeutschland / Kloster Holzen · Ende 12., Anfang 13. Jh.


Schlagwörter (GND)
Bibel, Altes Testament / Psalter / Liturgie.
Entstehungsort
Süddeutschland / Kloster Holzen.
Entstehungszeit
Ende 12., Anfang 13. Jh.
Typus (Überlieferungsform)
Codex.
Beschreibstoff
Pergament, Papier.
Umfang
1, 108, 1 Bll.
Format (Blattgröße)
18,9–19,5 × 12,2–13,4 cm.
Zusammensetzung (Lagenstruktur)
(I-1)1a + II4 + 13 IV108* + (I-1)109*. 1a bildet mit dem Vorderspiegel ein Doppelbl., 109* bildet mit dem Hinterspiegel ein Doppelbl.
Seiten-, Blatt- und Lagenzählung
Eine ältere Foliierung auf den Versoseiten ([i] ii-[c]vi∙), gleichlaufend mit der römischen; römische Foliierung des 17. Jhs. (1–107), altes, heute abgelöstes Spiegelbl. nicht gezählt; moderne Foliierung (1–107 bzw. 108: vom letzten Pergamentbl. ist die obere Ecke ausgerissen, vermutlich mit der Foliierung [?]), danach erfolgen die Folioangaben in der vorliegenden Beschreibung; Vor- und Nachsatzbl. sind nicht gezählt, daher wird hier bei der Beschreibung die Zählung des Digitalisats übernommen. Lagenzählung auf dem ersten Bl. jeder neuen Lage, zum Teil durch Beschnitt verderbt ([1us] 2us-14us). Bei der ersten Lage fehlt die Zählung, da deren Anfang gestört ist. Ob bei dieser Lage allerdings Bll. fehlen, erscheint unwahrscheinlich, da die Textfolge am Lagenwechsel (4v–5r) nicht gestört ist. Offenbar war trotz des ansonsten gleichmäßigen Aufbaus der Hs. aus Quaternionen die erste Lage auch ursprünglich schon ein Binio gewesen, bei dem jetzt nur das Bl. 2 zu einem späteren Zeitpunkt ersetzt wurde. Möglicherweise steht dies im Zusammenhang mit einer Neubindung der Hs., die zu einem Zeitpunkt erfolgte, als arabische Ziffern bereits üblich waren. Darauf deutet die Lagenzählung hin, die nicht mehr in römischen Zahlzeichen erfolgte, wie sie zum Entstehungszeitpunkt des Codex allgemein gebräuchlich waren.
Zustand
Pergament zum Teil stark gebräunt, verschmutzt und teilweise stockfleckig, mit Knicken, Falten sowie Fehlstellen und Rissen, meist ausgebessert; Ränder durch Wasser-und Moderschäden zum Teil stark beschädigt, teilweise mit kleineren Textverlusten, Fehlstellen ergänzt (in der Regel Hinterklebungen mit Pergament bzw. Goldschlägerhaut). Vereinzelt Wurmlöcher und Insektenfraß. Stellenweise sind Haar-und Fleischseite deutlich zu unterscheiden; gelegentlich noch sichtbare Bearbeitungsspuren des Pergamenters. Ehemals lose Bll. durch neue Fälze bzw. Pergamentstreifen wieder befestigt; verschiedentlich neuere Falzverstärkungen. Tinte stellenweise abgegriffen, berieben und verblasst. Von Bl. 2 fehlt die gesamte untere Hälfte, mit Pergament ersetzt. Da aber der wohl im 15. Jh. nachgetragene 1. Psalm vollständig ist (Ps 1,1–6), war das Bl. schon vor der Beschreibung beschädigt.

Schriftraum
14,2–15,2 × 8,5–10,2 cm.
Spaltenanzahl
Textblock; 2 Spalten (Litanei).
Zeilenanzahl
22 Zeilen (Haupttext), Nachträge mit variierender Zeilenzahl.
Angaben zu Schrift / Schreibern
Das Psalterium, die Cantica sowie die Litanei wurden von einer Haupthand des ausgehenden 12. bzw. beginnenden 13. Jhs. in einer gotischen Minuskel geschrieben (3r–107v), die nachgetragenen Texte am Beginn der Hs. in einer gotischen Minuskel bzw. einer Bastarda des 14. Jhs. von drei verschiedenen Händen (1r–v). Die Hand des Totenoffiziums ist wohl dieselbe wie die der Marginalnachträge. 2r–v bringt den 1. Psalm in einer gotischen Minuskel des 15. Jhs. mit kursiven Elementen. Bl. 108 stammt aus einem Psalterium des 12. Jhs. (Ps 64,12 oder 13 [?]-67,14), beschrieben mit einer Übergangsschrift zwischen karolingischer und gotischer Minuskel.
Buchgestaltung
Psalmentitel, Incipits und Explicits in roter Tinte; die Anfänge der Psalmen durch rote Lombarden mit unterschiedlichen Verzierungen (Schaftspaltungen, Nodi, kleineres Fleuronné) in unterschiedlicher Größe gekennzeichnet, gelegentlich ist darüber hinaus auch das gesamte erste Wort des Psalmtextes in Majuskeln mit üblichen Rubrizierungen ausgeführt; innerhalb der Psalmen sind die einzelnen Verse durch Satzmajuskeln hervorgehoben. Gelegentlich fehlen die Lombarden und Satzmajuskeln; vereinzelt dann in schwarz-brauner Tinte nachgetragen. Die Gruppen der Ferialteilung der Psalmen werden durch größere rote Initialen auf grünem Grund mit arkanthusartigen Verzierungen eigens gekennzeichnet; für die Kennzeichnung der formalen Dreiteilung werden nochmals größere Initialen mit Polypenrankenverzierungen verwendet. Zusätzlich werden die Gruppen durch Bl.-Weiser markiert, die wie die Pressel bei abhängenden Siegeln gestaltet wurden: am Bl.-Rand wurde ein etwa halbzentimeter breiter Streifen abgeschnitten, der an einer Seite noch mit dem Bl. selbst zusammenhing, und dann durch einen parallel zum Rand befindlichen Schnitt gezogen (exemplarisch Bl. 18, 28, 36 oder 46 und öfter); teilweise abgerissen und verloren, dann offenbar durch angenähte Streifen ersetzt, wie noch vorhandene Fadenreste andeuten (exemplarisch Bl. 67 und öfter). Blindlinierung teilweise noch erkennbar; stellenweise sind noch Zirkellöcher sichtbar. Vereinzelt sind noch die Anweisungen für den Rubrikator schemenhaft erkennbar. Der Abschnitt mit den Cantica folgt in seinem Layout dem Psalter: rote Lombarden mit unterschiedlichen Verzierungen für die Anfänge der Cantica, Versunterteilung durch rote Satzmajuskeln angegeben. Der Beginn der Litanei wird durch eine Rubrik sowie eine rote Lombarde gekennzeichnet, die weiteren Abschnitte, wie die Heiligennamen oder die Gebetsanfänge, durch einfache rote Satzmajuskeln bzw. durch Majuskeln mit üblichen Rubrizierungen.

Nachträge und Benutzungsspuren
Vereinzelt Korrekturen, Verbesserungen und Ergänzungen, von der Schreiber- und einer (?) weiteren zeitgenössischen Hand sowie weiteren Händen des 14.–16. Jhs. Mehrfach Federproben von späteren Händen (15. Jh.?). Zahlreiche Randnoten, die von verschiedenen Händen des 13. bis 15. Jhs. hinzugefügt wurden. Die Nachträge umfassen: Invitatorien, Antiphone und Fürbitten sowie Gebete der Totenvesper. S. auch Besonderheiten.

Einband
Römischer Einband zwischen 1878 und 1889: Helles Pergament über Pappe, Deckel ohne Verzierungen; Rücken mit rotem, goldgeprägten Rückenschild: PAL. 29. Darunter ein querrechteckiges, blaues Signaturschildchen der BAV: Pal. lat. 29; zwei goldene Wappenstempel: Papst Leo XIII. (reg. 1878–1903) und Kardinalbibliothekar Jean-Baptiste Pitra (amt. 1869–1889). Vgl. Schunke, Einbände 2.2, S. 813. Hinterdeckel mit braunen und nicht mehr aktivem Schimmel.
Provenienz
Süddeutschland, Oberschwaben, vielleicht Kloster Holzen (?) / Augsburg / Heidelberg.
Geschichte der Handschrift
Vorderspiegel mit blauem aufgeklebtem Signaturschildchen der BAV: Pal. lat. 29; 1r Capsa-Nummer: C ∙175∙ [?], darunter die Allacci-Signatur: 760 [?], aktuelle Signaturen: 29, am unteren Rand: 29- Pal., ältere römische Signatur: 24 [gestrichen], ältere vorrömische Signatur: 552, dahinter die Bleistiftsignatur aus dem Fuggerinventar: p. 237 b. F No … [die laufende Nummer nicht mehr lesbar]; 3r aktuelle Signatur: Cod∙ Palatin∙ 29, darunter eine ältere Signatur 34 [gestrichen]. 1r, 2r (fragmentarisch), 3r, 106v und 107v Stempel der BAV. Geschrieben wurde der Codex Ende des 12., Anfang des 13. Jhs. in Süddeutschland; Bannister, Monumenti, S. 170, bringt auch die Schweiz als Ursprungsort ins Spiel. Die in der Litanei genannten Heiligen machen eine Entstehung in diesem Raum wahrscheinlich. Die (Nord-)Schweiz kann nicht von vornherein ausgeschlossen werden; die Heiligen Ulrich und Afra würden für das Bistum Augsburg sprechen. Darüber hinaus sind u.a. der hl. Benedikt und die hl. Scholastica, seine Schwester, aufgenommen, was möglicherweise den Hinweis auf ein Benediktinerkloster bedeutet. Stellt man die Formulierung animabus famulorum famularumque in der Totenvesper in Rechnung (1v), könnte es sich sogar um ein Doppelkloster gehandelt haben. Dies vorausgesetzt, könnte das Kloster Holzen (Gde. Allmannshofen, LKr. Augsburg) Entstehungs- bzw. zumindest seit dem 14. Jh. Aufbewahrungsort gewesen sein; vgl. zur Geschichte des Klosters zusammenfassend http://www.hdbg.eu/kloster/web/index.php/detail?id=KS0219 (20.08.2014). Auch das Abgabenregister gibt zur Vermutung Anlass, dass die Hs. in einem oberschwäbischen Kloster aufbewahrt wurde: bei Newtrachprugg, Oberhusen und Eberhard von Schónnegg sowie Heinrich (?) von Schónnegg handelt es sich vermutlich um Neutrauchburg (Stadt Isny im Allgäu), Oberhausen an der Donau (LKr. Neuburg-Schrobenhausen) und die aus Oberschönegg (LKr. Unterallgäu) stammenden Reichsministerialen Eberhard und Heinrich von Schönegg, die beide um 1300 erwähnt sind; alle genannten Orte gehörten im Spätmittelalter zum Bistum Augsburg. Im Anschluss gelangte die Hs. in die Bibliothek des Ulrich Fugger, was durch den Hinweis auf das Fuggerinventar belegt ist: p. 237 b. F No … (1r). Mit der Bibliothek Fuggers kam dieser Band 1567 nach Heidelberg und wurde 1571 in der Heiliggeistkirche auf der Empore aufgestellt. Nicht in Lehmann, Fuggerbibliotheken 2; dort nur ein hs. Nachtrag S. 472. Nach Ehrensberger, Libri liturgici, S. 30, gehörte das Psalterium in ein deutsches Nonnenkloster. Er bleibt aber eine Begründung für seine Einschätzung schuldig; die nachgetragene Totenvesper lässt jedoch eher ein Doppelkloster vermuten. Salmon, Manuscrits liturgiques, S. 16, schließt sich Ehrensberger an und weist, Bannister, Index, 23v, referierend, auf einen möglichen Gebrauch der Hs. durch Passauer Nonnen hin, wobei auch hier nicht klar ist, wie Bannister zu seiner Aussage kommt. Möglicherweise bezieht er das im Abgabenregister genannte Oberhusen (1v) auf die Passauer Festung Oberhaus.
Besonderheiten
Offenbar ist die Hs. am Anfang verstümmelt; es fehlt wohl das erste Bl. mit Psalm 1 und der zugehörigen B-Initiale. Psalm 1 wurde später zweimal nachgetragen: nämlich auf 1r von einer Hand des 14. Jhs. und auf 2r–v im 15. Jh. Da das heutige Bl. 1 den Leimresten nach zu urteilen aber wohl das alte Spiegelbl. war, muss dieses bereits 14. Jh. abgelöst gewesen sein, da auch die Rectoseite dieses Bls. heute beschrieben ist. Die Antiphone, die durch eine Hand der zweiten Hälfte des 13. Jhs. als Marginalien ergänzt wurden, sind teilweise mit linierten Neumen (vier Linien; Hufnagelnotation?) versehen.

Faksimile
http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/bav_pal_lat_29
Literatur
Henry M. Bannister, Index codicum manuscriptorum ad liturgicam rem spectantium, Bibliotheca Vaticana (sala cons. mss., num. 509), 23v; Bannister, S. 170; Ehrensberger, Libri liturgici, S. 30; OVL, Pal.lat.29; Salmon, Mss. liturgiques, S. 16 (mit älterer Literatur); Schunke, Einbände 2.2, S. 813; Stevenson, Latini, S. 4.
Verzeichnis der im Katalogisierungsprojekt abgekürzt zitierten Literatur

) 1r–108v Digitalisat

Titel
Psalterium.
Angaben zum Text
(1. 1r–v) NACHTRÄGE des 14. Jhs. Ps 1,1–6 (1r). Fragment eines Totenoffizium zur Vesper (1r–v). [Antiphon:] Placebo Domino [Ps 114:] dilexi quoniam … (Ps 114,1). Fragment eines Abgabenregisters (1v). - (2. 2r–97r) PSALMEN nach der Septuaginta. Die Psalmen sind in zehn Gruppen unterteilt; markiert sind in Kombination die Anfänge der Matutinen und der Sonntagsvesper nach der liturgischen Achtteilung (Ps [1], 26, 38, 52, 68, 80, 97 und 109) mit Ps [1], 51 und 101 nach der rein äußerlichen und formalen Einteilung des Psalters in drei Teile. Vgl. dazu Günther Haseloff, Die Psalterillustration im 13. Jahrhundert. Studien zur Geschichte der Buchmalerei in England, Frankreich und den Niederlanden, Kiel 1938, S. 5f.
(3. 97r–106r) CANTICA. (3.1. 97r–v) Canticum Isaiae, Is 12,1–6. (3.2. 97v–98r) Canticum Ezechiae, Is 38,10–14 und 17–20. (3.3. 98r–v) Canticum Annae, I Rg 2,1–10. (3.4. 98v–99v) Canticum Moisi, Ex 15,1–4, 8–13 und 17–18. (3.5. 99v–100v) Canticum Habacuc, Hab 3,2–4, 13 und 15–19. (3.6. 100v–102v) Canticum Moisi, Dt 32,1–12. (3.7. 102v–103r) Canticum trium puerorum, Dan. 3,57–88 und 56. (3.8. 103r–v) Te deum laudamus. (3.9. 103v) Canticum Zachariae, Lc 1,68–79. (3.10. 103v–104r) Canticum Mariae virginis, ‚Magnificat’, Lc 1,46–55. (3.11. 104r) Canticum Syimeonis, Lc 2,29–32. (3.12. 104r–v) Vaterunser. (3.13. 104v) Apostolische Glaubensbekenntnis. (3.14. 104v–106r) Athanasianisches Glaubensbekenntnis. (4. 106r–107v) HEILIGENLITANEI MIT FÜRBITTEN UND ORATIONEN. ›LeTaNia‹ [!] Kyrielyson. Christelyson. Christe audi nos. … 107v … Deus in adiutorium meum intende [Hiermit endet der Text; es ist freilich nicht sicher, ob nicht der Schluss der Hs. fehlt.].
108r–v Fragment eines Psalteriums.
Incipit
1r Beatus uir qui non abijt in consilio inpiorum [!] …; Ps 1,1.
Explicit
107v … Deus in adiutorium meum intende.
Edition
Biblia sacra iuxta Vulgatam versionem, hrsg. von Robert Weber / Roger Gryson, Stuttgart 52007, S. 770–954.


Bearbeitet von
Dr. Uli Steiger, Universitätsbibliothek Heidelberg, 2024.


Zitierempfehlung:


Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Pal. lat. 29. Beschreibung von: Dr. Uli Steiger (Universitätsbibliothek Heidelberg), 2024.


Katalogisierungsrichtlinien
Die Katalogisierungsrichtlinien finden Sie hier.

Beschreibung erstellt im Rahmen des Projektes Erschließung von 876 mittelalterlichen und frühneuzeitlichen lateinischen Handschriften der Heidelberger Bibliotheca Palatina in der Vatikanischen Bibliothek in Rom.